Keine Illusion zulassen

11.01.11
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Soll der Arbeitsbegriff im Parteiprogramm der Linken weiter gefaßt werden, oder kommt das "Reich der Freiheit" auch schon im Kapitalismus?

Von Kornelia Möller

Im Rahmen der Programmdebatte erschienen zum Thema "Arbeit" in der jungen Welt ein Interview mit Katja Kipping und eine Antwort darauf von Herbert Schui. Im folgenden Text beziehe ich mich auf beide Veröffentlichungen. Zurecht weist Herbert Schui darauf hin, daß wir in einer arbeitsteiligen Gesellschaft leben. Das ist in dieser Region so wie anderswo und das seit langer Zeit. Zwei Punkte stören dabei allerdings die selbstgefällige Trivialität.

Kollektive Leistung

Zur Arbeitsteilung - und zur damit einhergehenden Produktivitätssteigerung - gehört untrennbar die Sphäre der gesellschaftlichen Reproduktion. Denn die entscheidende Qualität menschlicher Arbeitskraft, einen Wert zu schaffen, der das zur eigenen Erhaltung nötige übersteigt, ist eine kulturelle Leistung. Die Weitergabe grundlegenden Wissens, wie etwa das der sprachlichen Kommunikationsfähigkeit, ist in der Sphäre der Reproduktion angesiedelt und damit vor der Entstehung der Arbeitskraft selbst. Arbeitsteilung selbst entwickelt sich aus der reproduktiven Sphäre wie in konzentrischen Kreisen nach außen (schon bei Friedrich Engels findet sich, daß die Verschiebung der Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern der Klassenentstehung vorausgeht). Eine Wahrnehmung der wertschaffenden Qualität der Arbeitskraft ohne ihre Abhängigkeit von der Reproduktion macht sie zu einer individuellen Qualität und verkennt, daß sie eine kollektive Leistung ist. Will man hingegen ein stimmiges und komplexes Bild von Arbeit zeichnen, muß die Reproduktion zwingend mit einbezogen werden. Bereits Karl Marx und auch Engels hatten den Begriff "Arbeit" weiter gefaßt und auch diese zu dem Bereich der materiellen Arbeit gezählt.

In der Arbeiterbewegung findet sich schon früh die Überzeugung, daß jegliche Form der Arbeitsteilung, auch die sogenannte ursprüngliche, ein Ergebnis der Gesellschaft und nicht der Natur ist. Die Befreiung der Menschen aus dem "Reich der Notwendigkeit" bedeutet auch, die gegebenen Formen dieser Teilungen in Frage zu stellen. Hier war es eine logische Weiterentwicklung, daß die Frauenbewegung, feministische Studentinnen und Professorinnen, nicht nur, aber auch an der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg (HWP; an der Schui lange als Professor lehrte; d. Red.) gesellschaftliche Debatten geführt haben: über eine geschlechtergerechte Verteilung von Arbeit, über gerechte Entlohnung, über gleiche Teilhabe und über die Gleichwertigkeit von Lebensentwürfen. Es handelt sich hierbei schon lange nicht mehr darum, ob die Frauenfrage nun ein Haupt- oder ein Nebenwiderspruch sei. Wir leben in einer Zeit, in der sich immer mehr Männer nicht nur auf die traditionelle Männerrolle begrenzen lassen, sondern sich z.B. zunehmend auch der Kindererziehung widmen wollen. Eine andere Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern folgt dieser anderen Einstellung. Die Linke sollte mit an der Spitze dieser Entwicklung stehen, statt sich ihr zu verweigern.

Nicht verschleiern

Herbert Schui schreibt in seinem Artikel: "Deswegen sind wir aufs ›Geld-verdienen‹ angewiesen, also darauf, unsere Arbeitskraft in das System der Arbeitsteilung einzugliedern." Diesen Satz finden wir so oder ähnlich in unterschiedlichen Epochen. Wir finden ihn überall dort, wo Herrschaft verschleiert und/oder legitimiert werden sollte: in Sklavenhaltergesellschaften, in der ständischen Gesellschaftsform ebenso wie im Frühkapitalismus. Er läßt offen, wer mit "wir" gemeint ist, und suggeriert so, alle Teile der Gesellschaft arbeiten, und sie arbeiten alle Vergleichbares. Wäre es tatsächlich so, dann lebten wir nicht mehr im Kapitalismus, sondern im "Reich der Freiheit".

Leider sind wir davon weit entfernt. Denn es ist vielmehr so, daß viele reiche Mitglieder dieser Gesellschaft nicht arbeiten müssen, da sie auf Kosten derer leben, die den Mehrwert schaffen. So schrieb schon Marx: "Daß der Arbeiter Surplus arbeiten muß, ist identisch damit, daß der Kapitalist nicht zu arbeiten braucht", und das gilt noch heute. Die anderen von ihnen, die arbeiten, gebrauchen nicht notwendige Arbeitszeit, sondern von Arbeitenden geschaffene freie Zeit. Sie können auf der Grundlage der von Arbeitenden geschaffenen Basis sich den schönen Arbeiten, wie z. B. der Kunst oder der Muße (verstanden als schöpferische nicht entfremdete Arbeit), widmen.

Für die Lohnarbeitenden gilt das aber nicht. Für sie kann das Reich der Freiheit nicht im Kapitalismus beginnen, in dem ihre Arbeitskraft ausgebeutet, abgewertet und verachtet wird.

In der Beantwortung der Frage, ob das "Reich der Freiheit" in einem "gezähmten" Kapitalismus, in dem z. B. die Arbeitswelt humanisiert wurde, beginnen könnte, liegt der Unterschied zwischen Sozialdemokratie und Sozialismus.

Kornelia Möller ist Mitglied des Deutschen Bundestages und gehört der Fraktion Die Linke an. Sie ist Sozialökonomin und hat an der HWP Hamburg studiert. Der Artikel erschien zunächst in der Jungen Welt und wurde uns von der Autorin zur Veröffentlichung überlassen.

 



Leserbrief von Hans-Dieter Wege zum Artikel 'Keine Illusion zulassen' - 12-01-11 14:58




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