Von A. Holberg
Der Leipziger Parteitag der PdL hat den schon seit längerem, wenn nicht tobenden, so doch schwelenden Dissenz zwischen zentrale Positionen, für die Sahra Wagenknecht steht, und denen, für die Katja Kipping steht, mühevoll verkleistert. In einer „Partei“, die in Wirklichkeit ohnehin seit jeher aus mehreren Parteien besteht, wird der Kleister aber nicht lange halten.
In der „jungeWelt“ vom 11.6.2018 schreibt Jana Frielinghaus, offensichtlich eher Kiping & Co zuneigend: “Keine Frage: der Rechtsruck in den Gesellschaften Europas ist beängstigend, die Kriegsgefahr zugleich so groß wie noch nie seit dem Ende des letzten Weltenbrandes. Es besteht also die Notwendigkeit, dass Antikapitalisten darüber nachdenken, wie sie ihre Kräfte bündeln können. Doch die Sammlungsbewegung, die die Linksfraktionschefin und der saarländische Linke-Chef Oskar Lafontaine derzeit organisieren, dürfte kein geeignetes Mittel dafür sein. Denn ob erfolgreich oder nicht: Die Partei Die Linke wird in jedem Fall beschädigt.“ Als Kronzeugen für ihre Schlussfolgerung zitiert sie auch das PdL-Vorstandsmitglied Thies Gleiss aus dem Lager der pabloistischen Trotzkisten. Er habe kürzlich zu Wagenknechts Projekt einer linken Sammlungsbewegung ein “Bin-ich-nicht-und-will-ich-nicht-Projekt, das selbst die am leichtesten zugänglichen« Gruppen »mit Missachtung« strafe“ genannt. Die Autorin fasst zusammen: “Tatsächlich steuern dessen Protagonisten ihren Dampfer an der Partei Die Linke vorbei. Man legt höchstens mal kurz an, um denen Zutritt zu gewähren, die keine Fragen mehr haben. Und davon, dass Leute aus Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und Wissenschaft mit dabei sind, ist bislang nichts bekanntgeworden.“ Aber als schlagendstes Argument gegen Wagenknecht führt sie an, dass das, was über ihr Projekt bislang bekannt geworden sei, auf eine Art Rheinischer Kapitalismus hinauslaufe, der seinerzeit nur als Ergebnis des strukturellen Drucks des realen Sozialismus denkbar gewesen und folglich nach dessen Untergang heute „vollkommen realitätsfern“ sei.
Ohne Zweifel wäre eine nach einem richtig verstandenen demokratischen Zentralismus funktionierende Avantgardepartei für die Organisierung eines dringend geboteten revolutionär-sozialistischen Prozesses unverzichtbar. Aber die PdL ist weit davon entfernt, eine solche Partei zu sein oder auch nur sein zu können (s.o.), und – was aktuell wichtiger ist - der grundsätzlich notwendige revolutionäre Prozess steht nirgendwo und schon gar nicht in der BRD auf der Tagesordnung. Was hingegen auf der Tagesordnung zu stehen hätte, wäre die Aktivierung aller mit den sozialen Verwerfungen . die mit der herrschenden Wirtschaftsordnung einhergehen, Unzufriedener. Ein Teil davon wählt bereits die PdL, die ja in der Tat in erster Linie eine auf den bürgerlichen Wahlprozess orientierte und keineswegs eine soziale Kampfpartei ist. Zu diesen gehören sicher auch die oben erwähnten “Leuten aus Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und Wissenschaft“. Das sind dann auch die, die z.B. am wenigsten Probleme mit offenen Grenzen für Migranten haben, da sie die damit verbundenen Unkosten vergleichsweise leicht tragen können, Unkosten, die in erster Linie der ansässigen Arbeiterklasse jedwelcher Herkunft erwachsen, weil der Staat im Zuge seiner neoliberalen Wende, deren Hauptglaubensartikel da lautet “sowas wie Gesellschaft gibt es nicht“ die Erfüllung seiner sozialen Aufgaben schon seit Jahrzehnten gezielt eingeschränkt hat.
Nun haben wir es aber leider (nicht nur in der BRD) seit geraumer Zeit mit dem Phänomen zu tun, dass ein wachsender Teil der von der staatlichen Vernachlässigung schon Betroffenen oder derer, die mit mehr oder weniger Recht befürchten, bald betroffen zu werden, sich nicht hinter linken Parteien wie der PdL versammeln, sondern hinter rechten Demagogen wie denen der AfD. Alles deutet darauf hin, dass die PdL ihr soziales Potential mit Wahlergebnissen von +- 10% im Wesentlichen ausgeschöpft hat. Wenn die Linke also der Rechten die Hegemonie unter den vom herrschenden Regime Vernachlässigten, über es Unzufriedenen und Empörten streitig machen will, muss sie nicht in erster Linie die genannten “am leichtesten zugänglichen“ Gruppen gewinnen, sondern die Gruppen – oder zumindest eine Großteil von ihnen – die weniger zugänglich sind, z.T. einmal zugänglich waren, die man aber an die Rechte (AfD & Co) verloren hat. Wenn man sie an rechte Demagogen verloren hat, deutet das darauf hin, dass man sie nicht mit Orientierungen z.B. auf ““Rot“/Grün“ und auch nicht mit moralischen Gutmenschentum z.B. in Form der Parole „open the borders“ erreichen kann, einer Parole, die natürlich so verstanden wird (selbst wenn sie völlig unhip auf Deutsch verkündet wird), dass jeder Mensch auf der Welt, dem es schlechter geht als dem Gros der hier Lebenden, einreisen und hier bleiben kann – mit oder ohne Job (das Argument, dass die Meisten ohnehin nicht kommen können, ist zynisch, bedeutet es doch: weil wir ja wissen, dass Ihr zum Glück gar nicht kommen könnt, sind wir unwahrscheinlich human und internationalistisch und laden Euch alle ein).
Da nun die sozialistische Weltrevolution leider nicht auf der Tagesordnung steht, ist auch die Kritik an der Wagenknechtschen Orientierung auf den „Rheinischen Kapitalismus“ völlig verfehlt, zumindest soweit es um aktuelle Politik geht. Um die zumal für ein sozialistisches – also revolutionäres – Projekt unverzichtbare Menge der schon oder in baldiger Zukunft Abgehängten für eine linke Perspektive zu mobilisieren, bedarf es Übergangsforderungen – wohlbemerkt ohne mit der die Einschätzung, dass die zentralen Probleme der Menschheit innerhalb des Kapitalismus nicht zu lösen sind, hinter dem Berg zu halten. Es ist ja unbestreitbar, dass der Bruch mit dem herrschenden sozioökonomischen System nicht durch eine mehr oder weniger starke Präsenz der Anhänger einer solchen Perspektive im bürgerlichen Parlament zu bewerkstelligen sein wird. Wir können nicht wissen, wie genau er – wenn überhaupt – passieren wird, aber nach allen historischen Erfahrungen ist davon auszugehen, dass reale soziale Kämpfe die Voraussetzung sein. Wenn aber eine Arbeiterklasse und ihre potentiellen Verbündeten in Zeiten, da eine postkapitalistische Gesellschaft außerhalb ihres Denkens und Wollens ist, nicht einmal in der Lage sind, für eine ernsthafte Verteidigung ihrer früheren Errungenschaften, um von der Erkämpfung neuer Rechte erst gar nicht zu reden, zu kämpfen, brauchen wir über die theoretisch unter Marxisten unbestrittene Wahrheit, dass Reformen letztlich nur eine Sackgasse sind, gar nicht erst reden. Natürlich stimmt es einfach auch nicht, dass im Kapitalismus nur das möglich ist, was man gerade vorfindet. Soweit das aber doch der Fall ist, muss es der Arbeiterklasse und den benachbarten Klassen und Schichten in der Praxis deutlich gemacht werden, nämlich dadurch, dass sie selbst die Erfahrung machen, dass ihre Kämpfe an enge Grenzen stoßen. Die Voraussetzung für eine solche Erfahrung aber ist, dass sie kämpfen.
Sollte es also in der Tat so sein, dass die Protagonisten des Wagenknecht Projektes der „linken Sammlungsbewegung“ ihren Dampfer an der PdL vorbeisteuern, dann wohl deshalb, weil sie zu dem Schluss gekommen sind, dass die Partei, die beschädigt oder nicht schließlich kein Selbstzweck ist, u.a. wegen eines Teils ihrer realitätsfremden inhaltlichen Festlegungen nicht nennenswert über 10% herauskommen kann, was bedeutet, dass sie keinen realen Wandel in der BRD anschieben können wird. Eine solche Partei ist letztlich überflüssig und nur noch gut genug dafür, alle vier Jahre als das – hoffentlich - “kleinste Übel“ gewählt zu werden.
Beitrag zu A. Holberg zum Leipziger Parteitag - 14-06-18 20:42