Oh, ich bin plötzlich rechter Flügel … (ein Kommentar)

12.09.22
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Von Udo Hase

Die „Junge Welt“ vom 9. September bewertete (natürlich unwissentlich) meine politische Einstellung so, dass ich überraschender Weise zu einem vermeintlichen Anhänger eines „rechten Flügels“ in der Partei der LINKEN sortiert wurde.

Unter dem Untertitel „Die Linke: Kesseltreiben nach Wagenknecht-Rede. Rechter Flügel verteidigt Sanktionspolitik und kann keinen Wirtschaftskrieg erkennen“ teilte Nico Popp die (Partei-) Welt in zwei Hälften. Das ist schon eine reduktionistische Leistung, lassen nach meiner Einschätzung die Anzahl der Flügelchen in der LINKEN inzwischen jede Libelle vor Neid erblassen.

Die Tonlage der Poppschen Weltenteilung erinnert mich an eine scherzhafte Beschreibung der „Linie der Partei“ aus alten, stalinistisch geprägten Tagen. Wer konsequent internationalistisch und wertorientiert - humanistisch argumentierte, war entweder „rechts“ oder „links“ daneben. Was jeweils der Fall war und wo die Parteilinie dieses Mal zu suchen sei, konnte man in der Prawda, dem Neuen Deutschland und in der BRD in der UZ nachlesen. Da hat die jW jetzt endlich zu dieser schönen Tradition zurückgefunden. Die Rede von Sarah Wagenknecht war ein Meisterstück der politischen Verdummdeuvelung (Plattdeutsch für „böswilliges in die Irre führen“) und weil das gut zu den überkommenen Traditionen einiger „traditioneller Antiimperialisten“ zu passen scheint, stimmen diese mehr oder weniger begeistert zu. Vielleicht noch ein bisschen erschrocken ob der neuen Liaison mit den knallharten Nationallinken und ihrer gewohnten Sprecherin.

Dabei wird, in der überraschend großen Freude über das Wiedererstarken alter und geliebter Überzeugungsplattitüden, jede aktuelle Bezugnahme auf Fakten mutig ausgeblendet.

Man ist sich im Einmal Eins der Imperialismus - Analyse einig:

Das deutsche Kapital und seine politischen Herrschaftsfiguren haben andere Interessen als das russische Kapital und seine Herrschaftsfiguren. Das ukrainische Kapital ist nicht so gerne im Machtbereich des russischen Kapitals. Das findet das amerikanische Kapital prima und unterstützt, gemeinsam mit den kapitalistischen Machtinhabern eines „westlichen Bündnisses“ die Ukrainer. Damit sind die Ukrainer astrein zugeordnet. Zwar verurteilen wir den Angriff der russischen Regierung auf ein Nachbarland (zwischendurch höre ich auch immer wieder Stimmen, die bezweifeln, dass die Ukraine überhaupt ein Land sein darf) und je nach Laune sogar „aufs Entschiedenste“, was in diesem Fall bedeutet, wir entscheiden auf jeden Fall gegen den Krieg zu sein. So weit ist alles im Lot. Jetzt ginge es nur noch darum, zu erklären, wie „gegen den Krieg sein“ denn aussehen könnte.

Selbst mit unreflektierten antiimperialistischen Vorstellungen aus dem vorigen Jahrtausend ist die Situation ausreichend verständlich. Versuchen wir, bezogen auf antiimperialistische Gewohnheiten, „beschädigungsfrei“ aus der Nummer rauszukommen:

Russland wird der Einfachheit halber in die Tradition der Sowjetunion gesetzt und ein vormaliger Systemkonflikt nolens volens zur Blaupause für die Analyse eines astreinen imperialistischen Raubkrieges, der seine materiellen Wurzeln in Ressourcenkontrollbedürfnissen und nicht im historischen Müllhaufen einer imperialistischen Politik von vor 30 Jahren hat. Wer hat jetzt den Weg des offenen Krieges durch Angriff gewählt? Oh, Russland. Was machen wir da nur? Bis jetzt hat die tradierte Wohlfühlanalyse doch auch gepasst. OK, wir sagen vor jedem Statement, dass es sich um einen nicht zu rechtfertigenden Angriffskrieg handelt.
Dann folgt: Wir machen die ukrainische Regierung und die USA, ersatz- oder ergänzungsweise auch die deutsche Außenministerin dafür verantwortlich, wenn es Tote im Zehntausenderbereich gibt. Die Ukrainer hätten schließlich aufgeben können. Wir stellen fest, dass der Imperialismus des „Westens“ schon immer böse war (da schließe ich mich an!) und schließen daraus, dass der Imperialismus des russischen Kapitals angesichts eines brutalen militärischen Überfalls … (jetzt wird’s unangenehm, also sofort mit Denken aufhören!). Anstelle eines weiteren Nachdenkens tritt hier ein gut eingespieltes Ensemble auf die Bühne:

  • Waffen liefern geht gar nicht – weil, die werden ja von Rheinmetall und Konsorten gebaut. Also keine Waffen.

  • Sanktionen gegen Russland treffen die „breite Bevölkerung“ (das muss ein traditioneller Friedenskämpfer nicht belegen, dass ist sozusagen gefühlte, vor allem aber absolute Urwahrheit ????) - also auch nicht.

Was raten wir also den ukrainischen Menschen, die sich nicht gerne von russischen Raketen die Welt erklären lassen?  Nichts! Gar Nichts!

Wir schwafeln von den Möglichkeiten zivilen Widerstandes (haben sie versucht, hunderte ukrainischer Zivilisten haben sich unbewaffnet vor die Panzer gestellt, hat nicht geholfen, wie man hätte wissen können, weil es noch nie geholfen hat), rufen zu Allah oder in den unbelebten, gottfreien Äther, „man“ möge doch bitte Verhandlungen aufnehmen, stellen zwischendurch korrekt fest, dass das westliche Kapital gerne bis zur letzten Ukrainerin kämpfen lassen möchte (demonstrieren u. A. deswegen auch ein bisschen vor der Zentrale der Grünen) und – bleiben fest im Glauben an die Deutungsmuster von vor 30 – 80 Jahren. Vor der russischen Botschaft demonstrieren wir nicht (passt nicht zu den Wohlfühl – Glaubenssätzen) Oder warum eigentlich nicht? Weil da auch die Westimperialisten demonstrieren? Oh, und ich dachte, das sei kein Argument (siehe Pellmanns Montagsdemo).

Um das klarzustellen: Es ist nicht so, als würden wir hier grade eine Patentlösung übersehen. Es ist wirklich schwierig!

Was hier passiert ist, dass vermeintliche Patentlösungen repliziert werden, die erstens noch nie so „patent“ waren und zweitens auf Realitätsmissachtung beruhen. Statt zu glauben, was wir sehen, sehen wir, was wir gerne glauben möchten.

Das eignet sich wunderbar für einen Frontalangriff der linken Nationalisten.

Nun spricht Frau Wagenknecht im Bundestag zur Energiepolitik. Hauptaussagen:

  • „Der Krieg ist nicht zu rechtfertigen“ (sauber nach Drehbuch!).

  • „Deutschland hat die dümmste Regierung der Welt, weil sie einen Wirtschaftskrieg mit Russland begonnen hat und zerstört die deutsche Wirtschaft“ (Verwirrung jetzt genehmigt)

Und nun stellt die jW (also wohl eher Nico Popp) fest: Wer das kritisiert, ist an einer Kampagne des rechten Flügels beteiligt. So einfach kann politische Analyse sein (Ironie off).

Insgesamt ist mir eine gewisse Ähnlichkeit im Argumentationsmuster aufgefallen: Frau Wagenknecht polemisierte unter Bezugnahme auf rechtsradikale Parolen („wer Gastrecht missbraucht, hat Gastrecht verwirkt“) seit Jahren gegen die Aufnahme von Geflüchteten. Zum „Trost“ gab´s die „Begründung“, den Menschen sei in ihrem Land doch weitaus günstiger (im Sinne von: „kostet uns nicht so viel“) zu helfen, als im teuren Deutschland. Zu dieser These gab es dann niemals auch nur einen konkreten Vorschlag, wie dass denn wohl umzusetzen sei, z.B. im Bürgerkriegsland Syrien, oder gar in Afghanistan. LINKE für die deutsche Arbeiterklasse - andere Klassengenoss:innen mögen ertrinken – hoch die nationale Arbeiterklasse. Linksnationalismus „as it´s best“.

Diese seltsame Abwesenheit von Forderungen zu praktischen humanitären Katastrophen ist ein typisches Dilemma linksnationalistischer Ideologie, dort dürfen „die Anderen“ gerne sterben, aber man redet nicht gerne darüber. Im Falle der Forderung nach „Verhandlungen“ der Kriegsparteien wiederholt sich das schmerzhaft. Der russische Außenminister erzählt dazu jede Woche das Gegenteil von der Woche davor, die russ. Regierung hat bis heute (außer propagandistischem Geblubber / „Ukraine von Nazis befreien …“ etc.) nicht gesagt, was das territoriale Kriegsziel sein soll. Ohne diese „Auskunft“ kann nicht verhandelt werden, da niemand weiß worüber.

Also doch vor der russischen Botschaft demonstrieren, damit klar wird, wodurch Verhandlungen unmöglich sind? Auf keinen Fall, sagt nun der geübte“ Antiimp“, wir bleiben lieber bei „NATO raus aus der Ukraine“ (das war ein Demoschild von LINKEN auf der Pellmannschen „Montagsdemo“) und „stoppt den Krieg“, damit wir keinen eigenen Glaubenssatz verletzen.

Leute: Das ist eine Fliegenfalle linksnationalistischer Argumentationsmuster.

Zu imperialistischen Kriegen gibt es keine realistische Position ohne das gefühlte „Linke – Gewissheiten“ berührt werden. Dieser Satz ist den „gewissheitsverliebten“ Linken offenbar zu viel. Die russische Regierung verbietet ihrer Bevölkerung per Gesetz einen Angriffskrieg „Krieg“ zu nennen. Das wird mit über 10 Jahren Gefängnis bestraft. Begriffe zu verbieten, ordne ich hier mal unter „faschistische Methodik“ ein, dass ist aber nur eines von vielen Beispielen.

Wenn nun die westliche imperialistische Propaganda aus solchen „Kleinigkeiten“ wie der offenen Aggression und der Anwendung diverser faschistoider Methoden durch die russische Regierung „erfolgreich“ nutzen zieht, liegt das an … (bitte hier, je nach Geschmack „Nato – Imperialisten“ oder „russischer Regierung“ einsetzen).

Ach, so zum Schluss: Ich will mit den Deutungen von Frau Wagenknecht nichts zu tun haben!








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