Von TAP
Teil II.B meiner Antwort auf systemcrash (scharf-links v. 20.05.17)
In diesem Teil meiner Antwort auf systemcrash geht es um die Begründung, die systemÂcrash für seine These, „ich [kann] mir [...] auch bei aufwendung aller ‚soziologischen phanÂtasie’ keine ‚antipatriarchale’ oder ‚antirassistische’ revolution vorstellen, die nicht auch gleichzeitig ‚antikapitalistisch’ sein soll“, anführt.
2.4. systemcrash nennt folgendes Argument für seinen ‚soziologischen Phantasie-Mangel’, sich feministische und antirassistische Revolutionen, die nicht zugleich antikapitalistisch sind, vorstellen zu können:
„in der immanenten logik des antipatriarchalen und antirassistischen kampfes liegt das [nämlich Entfaltung einer system-transzendierende Dynamik] nicht zwingend, da sie ihre materielle basis nicht (wesenhaft) in der industriellen produktion als ‚dominante’ produktionsform, sondern mehr im kulturellen überbau haben.“ (meine Hv.)
Wenn ich richtig verstehe, scheint systemcrashs These also weniger zu sein, daß es unÂrealistisch sei, Patriarchat und Rassismus vor dem Kapitalismus abzuschaffen, als vielÂmehr, daß der Begriff „Revolution“ einer Abschaffung bloß des Patriarchats und des RasÂsismus nicht angemessen sei, weil „sie ihre materielle basis nicht (wesenhaft) in der indusÂtriellen produktion als ‚dominante’ produktionsform, sondern mehr im kulturellen überbau haben.“
Diese Begründung überzeugt mich nicht – und zwar aus mehreren Gründen:
a) Zwar gibt es patriarchale Verhältnisse und Xenophobie nicht nur in Gesellschaften mit moderner „industrielle[r] Produktion“, aber es gibt sie auch in Gesellschaften mit solcher Produktion – und sie betreffen dort (in Form von rassistischer und sexistischer ArbeitsteiÂlung und Lohndiskriminierung) auch die industrielle Produktion. Jene Arbeitsteilung, die diÂrekte Lohndiskriminierung (s. im Einzelnen den Anhang) und der – u.a. aufgrund der unterÂschiedlichen Hausarbeitsbelastung von Frauen und Männern – unterschiedliche ErwerbsÂarbeitszeitumfang von Frauen und Männern führen in der Summe zu stark unterschiedliÂchen Monatseinkommen.
Anteil der jeweiligen Einkommensgruppe an den (mikrozensus-befragten) Erwerbstätigen, die Angaben zu ihrem Einkommen gemacht haben[1]
Monatsnettoeinkommen | alle EinwohnerInnen | AusländerInnen |
Männer | Frauen | Männer | Frauen |
unter 1.100 Euro | 26,4 % | 51,1 % | 39,4 % | 67,5 % |
1.100 bis 2.000 Euro | 37,3 % | 34,7 % | 36,4 % | 24,6 % |
ab 2.000 Euro | 36,2 % | 14,2 % | 24,2 % | 7,8 % |
Eine Überwindung von Patriarchat und Rassismus würde also – auch im industriellen BeÂreich – eine massive Umverteilung von Arbeitsinhalten und Einkommen zwischen Männern und Frauen sowie zwischen Weißen und Schwarzen bedeuten; und eine solche ÜberwinÂdung würde auch nicht nur eine Umverteilung von Einkommen, sondern auch eine UmverÂteilung von schon akkumulierten Vermögen bedeuten, denn Weiße sind im Durchschnitt deutlich vermögender als Schwarze und Männer deutlich vermögender als Frauen (s. Graphiken am Ende).
Falls es nötig ist, dies klarzustellen: Ich bestreite nicht, daß – auf der Grundlage der gegeÂbenen rassistischen und patriarchalen Verhältnisse – ein Teil der genannten Einkommens- und Vermögensunterschiede ‚kapitalistisch rational’ ist[2]; aber dies schließt gerade ein, anÂzuerkennen, daß die kapitalistischen Strukturen nicht die einzigen Strukturen der hiesigen Gesellschaft sind. Eine Umwälzung allein der patriarchalen und rassistischen Strukturen (auch ohne Umwälzung der kapitalistischen Strukturen) rechtfertigt daher – und da sie alÂler Wahrscheinlichkeit nach gegen männliche und weiße Beharrungsinteressen durchgeÂsetzt werden müßte – die Begriffe der „feministischen“ und „antirassistischen Revolution“.
b) Die kapitalistische Produktionsweise ist zwar typischerweise (in Bezug auf die KlassenÂverhältnisse) in Ländern mit hochentwickelter Technik dominierend, aber den industriellen Charakter der Produktion würden nicht nur feministische und antirassistische RevolutioÂnen, sondern auch antikapitalistische Revolutionen nicht infragestellen. Daß es patriarchaÂle Verhältnisse und Xenophobie auch schon in noch nicht industrialisierten Ländern gab, tut also im vorliegenden Zusammenhang gar nichts zur Sache.
c) Mir scheint es – im Rahmen des marxistischen Sprachgebrauchs – ein Widerspruch in sich zu sein, zu sagen, etwas habe seine Basis im Überbau. Denn der Überbau heißt im Rahmen dieses Sprachgebrauchs ja gerade Überbau, weil er auf einer Basis ruht. Aber dies nur am Rande, da Patriarchat und Rassismus – wie gesagt – ohnehin nicht nur im Überbau existieren, sondern in Form rassistischer und sexistischer Arbeitsteilung sowie rassistischer und sexueller/sexualisierter Gewalt, ihre jeweilige eigene materielle Basis haÂben.
2.5. systemcrash setzt dann wie folgt fort:
„auch wenn patriarchat und rassismus auch ökonomische bedingungen aufweisen, sind diese aber für die kapitalistische produktion [als ‚reine’ wertverwertung, die es aber nie ‚rein’ gibt] von nachrangiger bedeutung; wenn sie sich nicht sogar direkt ‚produktivitätshemmend’ auswirken.“
Dies ist zwar auch m.E. zutreffend, aber doch eher ein Argument dafür, daß eine ÜberwinÂdung des Patriarchats möglich ist, ohne die kapitalistische Produktionsweise infragezustelÂlen – daß es also für Feministinnen aus feminismus-imanenten Gründen nicht notwendig ist, zugleich auch antikapitalistisch zu sein; daß es also eine feministische Revolution geÂben kann, die nicht antikapitalistisch ist.
Aber lesen wir den gerade zitierten Satz noch einmal zusammen mit dem – in systemÂcrashs Text – vorgehenden Satz:
„der unterschied ist nur der, dass der klassenkampf eine potentiell system-transzendierende dyÂnamik entfalten könnte, in der immanenten logik des antipatriarchalen und antirassistischen kampfes liegt das nicht zwingend, da sie ihre materielle basis nicht (wesenhaft) in der industrielÂlen produktion als ‚dominante’ produktionsform, sondern mehr im kulturellen überbau haben. auch wenn patriarchat und rassismus auch ökonomische bedingungen aufweisen, sind diese aber für die kapitalistische produktion [als ‚reine’ wertverwertung, die es aber nie ‚rein’ gibt] von nachrangiger bedeutung; wenn sie sich nicht sogar direkt ‚produktivitätshemmend’ auswirken.“
Dies scheint mir unter dem Strich darauf hinauszulaufen, ‚das System’ mit der „WertverÂwertung“ bzw. den kapitalistischen Klassenverhältnissen gleichzusetzen[3] – denn systemÂcrashs Kriterium für „potentiell system-transzendierende Dynamik“ scheint zu sein: Die „Wertverwertung“ in Frage stellen.
Nun würde ich zwar nicht für abwegig halten, einen strengen Begriff von „Revolution“ aufÂzustellen, nach dem nur eine solche Umwälzung „revolutionär“ ist, die nicht nur Patriarchat und Rassismus überwindet, sondern auch – perspektivisch – die „Wertverwertung“ infraÂgestellt (ich schreibe „perspektivisch“, da eine sozialistische Revolution noch nicht die „Wertverwertung“ beendet). Dies müßte dann m.E. freilich auch umgekehrt gelten: Eine ‚wahre’ Revolution wälzt nicht nur die kapitalistischen Klassenverhältnisse um bzw. beenÂdet die „Wertverwertung“, sondern auch Patriarchat und Rassismus.
Zwar wäre es prinzipiell möglich, auf meine Einrede mit der These zu antworten, daß die Überwindung der „Wertverwertung“ die Überwindung von Patriarchat und Rassismus einÂschließe – nur scheint mir nichts für diese These zu sprechen. Denn warum sollten MänÂner bereit sein, mehr reproduktive Arbeiten zu erledigen und das Vergewaltigen sein lasÂsen (also die materielle Basis des Patriarchats verschwinden), nur weil es keine „WertverÂwertung“ mehr gibt?
Die – von mir vorgezogene – Alternative zu einem solchen ‚wechselseitig strengen’ Begriff von Revolution wäre ein schwächerer und dann für alle drei Herrschafts- und AusbeuÂtungsverhältnisse separat geltender Begriff von Revolution. Auch in Bezug auf die Überwindung von Patriarchat und Rassismus von „Revolution“ zu sprechen, ist m.E. desÂhalb gerechtfertigt, weil auch sie den „Platz“ „große[r] Menschengruppen“ in dem „geÂschichtlich bestimmten System der gesellschaftlichen Produktion“ (LW 29, 410) betreffen.
2.6. Des weiteren schreibt systemcrash:
„auch wenn es also stimmt, dass die reproduktion in form der nachwuchserzeugung kein immaÂnent-logischer bestandteil des kapitalverhältnisses ist, so stimmt es aber auch, dass es ohne die kindererzeugung und die (weibliche) reproduktionsarbeit kein kapitalverhältnis geben könnÂte, jedenfalls nicht lange – und natürlich auch nicht die möglichkeit zu einer postkapitalistischen gesellschaft.“
In dieser Allgemeinheit stimme ich zu. Die entscheidenden Fragen, auf die systemcrash leider nicht eingeht, scheinen mir aber zu sein:
- Würde die kapitalistische Produktionsweise auch funktionieren, wenn die unentÂlohnte Reproduktionsarbeit weitgehend von Männern (statt von Frauen erledigt würÂde)?
- Würde die kapitalistische Produktionsweise auch funktionieren, wenn der unentÂlohnte Hausarbeitsumfang von Männern und Frauen angeglichen würde sowie der Erwerbsarbeitsumfang von Frauen (bei entsprechend steigenden MonatsverdiensÂten) erhöht und der Erwerbsarbeitsumfang von Männern (bei entsprechenden sinÂkenden Monatsverdiensten) gesenkt würde?
- Würde die kapitalistische Produktionsweise auch bei Veränderungen der vorbeÂschriebenen Art, aber gleichbleibenden Männer-Monatsverdiensten und – zur BeÂseitigung der Frauenlohndiskriminierung – einer weiteren Steigerung der Frauen-Stundenverdienste um 28,7 % funktionieren?
- Würde die kapitalistische Produktionsweise auch funktionieren, wenn die unentÂlohnte Hausarbeit durch entlohnte Dienstleistungen ersetzt würde und die LohnabÂhängigen die dadurch entstehenden Kosten dadurch aufbringen, daß sie an andeÂren Stellen auf Lebensstandard (Ausgaben) verzichten?
- Würde Letzteres auch dann funktioniere, wenn – statt der Ausgabenumverteilung – die Erwerbsarbeitseinkommen – im Umfang der durch die Kommerzialisierung der steigenden Lebenshaltungskosten – ihrerseits steigen würden?
Die analytischen Fragen 1, 2 und 4 sind m.E. klar zu bejahen. Modell 1 wäre – jedenfalls für die Lebenszeit der im Moment schon geborenen Frauen – darüber hinaus auch (also: hinsichtlich der politischen Bewertung) als ‚Ausgleich’ für mehrere tausende Jahre PatriarÂchat zumindest eine nette Geste.
Und auch Modell 2 wäre m.E. – trotz meiner grundsätzlichen Präferenz für ArbeitszeitverÂkürzung mit Lohnausgleich – ein politischer Fortschritt gegenüber dem status quo.
Und Modell 4 kann zumindest – je nach individueller Wahl – praktiziert werden.
Es spricht allerdings auch nichts dagegen, sondern aus kommunistischer Sicht alles dafür, zu versuchen, zusätzlich die Lohnerhöhungen aus Modell 3 bzw. 5 durchzusetzen.[4] Wenn die Lohnabhängigen (aller Geschlechter) allerdings für Letzteres den Kampf nicht aufnehÂmen wollen, würde dies einen Kampf von Frauen für Modell 2 nicht illegitim machen.
Und – um auch dies noch zu betonen – Modell 2 würde nicht erfordern, daß Feministinnen eine Erwerbsarbeitszeitverkürzung von Männern ohne Lohnausgleich explizit fordern (und ich würde es selbst auch nicht tun). Die entscheidenden feministischen Kampfziele sind vielmehr:
++ Erledigung der Hälfte der unentlohnten Arbeiten durch Männer.
++ Beseitigung der hierarchischen Arbeitsteilung und der Frauenlohndiskriminierung im Bereich der Erwerbsarbeit.
Wenn der erste Punkt (Erledigung der Hälfte der unentlohnten Arbeiten durch Männer) dann dazu führt, daß Männer ihre Erwerbsarbeitszeiten reduzieren wollen, dann ist das völlig okay; wenn sie dafür vom Kapital einen Lohnausgleich verlangen, ist es auch okay; wenn sie es nicht tun, ist es deren Ding – und nicht ‚Schuld der Feministinnen’.
2.7. Sodann schreibt systemcrash:
„der familienernährer-lohn ist selbst schon ein teil der patriarchalen arbeitsteilung. […]. nicht zuÂfällig begrenzt der ‚neoliberalismus’ (der den fordismus abgelöst hat) den ‚familienernährer-lohn’ auf die qualifizierteren schichten der lohnabhängigen [2]. dies ist zwar in erster linie ökonomisch motiviert, drückt aber bis zu einem gewissen grad auch eine erosion des traditionellen geÂschlechterverhältnisses aus. nur leider wirkt sich diese erosion nicht gerade ‚emanzipatorisch’ aus, sondern führt mehr zu einer verstärkten prekarisierung und im extremfall sogar ‚pauperisieÂrung’.“
In FN 2, auf die systemcrash an der gerade anführten Stelle verweist, ist folgendes Zitat angeführt:
„Es sind zum Beispiel vor allem Frauen, deren Arbeitskraft in der Hausarbeit sich die KapitalseiÂte unentlohnt aneignet – so etwa im männlichen Ernährermodell des Fordismus: Um den MehrÂwert zu erhöhen, wurde die Reproduktion der Ware Arbeitskraft ins Private ausgelagert. Für EsÂsen kochen, Kinder erziehen, Kopf des von der Arbeit erschöpften Mannes streicheln und vieles mehr waren (und sind) in erster Linie Frauen zuständig.“[5]
Dies ist m.E. der alte – operaistisch(-feministisch)e – Fehlschluß, der schon aus der „Lohn für Hausarbeits“-Debatte der 1970er Jahre bekannt ist: „männliche[s] Ernährermodell“ heißt ja vielmehr gerade, daß dem Kapital keine Kosten erspart und folglich auch der Mehrwert nicht erhöht wird. Dadurch, daß Frauen für die unentlohnte (aber nicht unbezahlÂte!) Hausarbeit von der Erwerbsarbeit ganz oder teilweise ‚freigestellt’ werden, entstehenÂden den Männern ja entsprechende Unterhaltskosten, die genauso wie Unterhaltskosten der Kinder – den Wert der (bei diesem Modell: männlichen) Lohnarbeitskraft erhöht.
Das von systemcrash – via Spartakist – angeführte Zitat aus dem Kapital ist prinzipiell zuÂtreffend (auch wenn ich im übrigen die Spartakist-Position zum Geschlechterverhältnis für vollständig falsch halte): „Die Summe der zur Produktion der Arbeitskraft notwendigen LeÂbensmittel schließt also die Lebensmittel [...] der Kinder der Arbeiter, […]“ ein (MEW 23, 186), denn die kapitalistische Produktionsweise bedarf – um in der jeweils nächsten GeneÂration zu existieren – nicht nur der Reproduktion der heute existierenden Arbeitskräfte selbst, sondern auch deren Reproduktion in dem Sinne, daß NachfolgerInnen in der nächsten Generation zur Verfügung stehen.
Unter gesellschaftlichen Verhältnissen, in denen beide Elternteile erwerbstätig sind, verteiÂlen sich die Unterhaltskosten für die Kinder freilich hälftig auf beide Elternteile; handelt es sich dagegen um gesellschaftliche Verhältnisse, in denen nur ein Elternteil erwerbstätig ist, erhöht sich der Wert der Arbeitskraft des erwerbstätigen Elternteils um die vollen Kosten des Unterhalts der Kinder.
Und entsprechend in Bezug auf den/die EhepartnerIn: Unter gesellschaftlichen VerhältnisÂsen, unter denen die Reproduktion der – aktuellen und nachwachsenden – Arbeitskräfte allein an einem (Ehe)Paar-Teil hängt, der dafür von der Erwerbsarbeit freigestellt wird, erÂhöht sich der Wert der Arbeitskraft des anderen Teils auch um die Unterhaltskosten des ersteren.
Folglich ist es ein Irrtum, zu sagen, die unentlohnte (v.a. Frauen-)Hausarbeit erspare dem Kapital Kosten oder erhöhe dessen Mehrwert, denn die Hausarbeit ist zwar unentlohnt, aber die Reproduktionskosten der nicht-erwerbstätigen Ehefrauen sind im sog. „FamilienÂlohn“ (deshalb heißt er ja so) gerade enthalten.
Und zur „Prekarisierung und im Extremfall sogar ‚Pauperisierung’“ im Neoliberalismus: Die hat m.E. Erachtens nichts mit (m.E. politisch richtigen Aufweichung der Hausfrauen-/FamiÂlienernährer-Ehe) zu tun. Denn
(1.) Zwar ist die Frauenerwerbsquote in den letzten Jahrzehnten gestiegen; das ErwerbsÂarbeitszeitvolumen von Frauen – jedenfalls bis 2003[6] – aber nicht. Es gibt also gar keine verstärkte Frauenerwerbstätigkeit gegenüber der fordistischen Hausfrauen-/FamilienerÂnährer-Ehe, sondern vielmehr eine Umverteilung der Erwerbsarbeitszeiten innerhalb des weiblichen Geschlechts: Die Quote der teilzeit-erwerbstätigen Frauen ist zwar gestiegen, aber die der vollzeit-erwerbstätigen gesunken – sodaß sich insoweit unter dem Strich gar nichts geändert hat(te): Von 1992 bis 2011 (neuere Zahlen scheinen doch nicht vorzulieÂgen, da die Zahl für 2011 aus dem „WSI GenderDatenPortal 2016“ stammt) ist die Vollzeitäquivalent-Erwerbstätigenquote von Frauen von 48,0 % bloß auf 48,2 % gestiegen (s. noch einmal FN 6), also praktisch gleichgeblieben.
2001/2002 betrug der durchschnittliche Erwerbszeitaufwand/Tag aller Männer ab einem Alter von 10 Jahren 3:12 Std.:Min. und der aller Frauen ab einem Alter von 10 Jahren 1:44 Std.:Min.; dies entsprach einem Anteil der Frauen an der Summe beider Werte von 35,1 %. 2012/13 betrugen die entsprechenden Werte dann 3:19 Std.:Min., 2:09 Std.:Min. und 39,4 %.[7] Die Summe des Erwerbsarbeitszeitaufwandes von Frauen und MänÂnern ist in diesem Zeitraum also um 25 Minuten – d.h.: um ca. 8,5 % gestiegen.
Die vorstehenden Zahlen beziehen sich auf den Erwerbsarbeitszeitaufwand aller Erwerbstätigen (also: abÂhängig Beschäftigte, Selbständige und unbezahlt mithelfende Familienangehörige). Nehmen wir zum VerÂgleich die Entwicklung des Erwerbszeitaufwandes der sog. „Arbeitnehmer“: Dieser ist von 2009 bis 2015 um ca. 7,4 % gestiegen.[8]
In etwa zeitlich parallel ist der Reallohnindex – wohl auf Monatsbasis[9] – von 93,1 Punkten im Jahre 2009 auf 100 Punkte im Jahre 2015 – also ebenfalls um 7,4 % (bzw. von 92,8 Punkten im Jahre 2007 auf 101,8 PunkÂte im Jahre 2016 – also um 9,7 %) gestiegen.[10] Auf Stundenbasis sind die Reallöhne also von 2009 bis 2015 also mindestens gleich geblieben.
Das heißt: Die neoliberale Tendenz zur „Prekarisierung und im Extremfall sogar ‚PauperiÂsierung’“ (systemcrash) ist nicht in der Aufweichung der Hausfrauen-/Familienernährer-Ehe begründet, sondern liegt daran, daß sich die Gewerkschaften auf eine Politik der Lohnspreizung eingelassen oder sie sogar aktiv vorangetrieben haben: ReallohnerhöhunÂgen für die sog. (zumeist männlichen und weißen) Kernbelegschaften und Schaffung von (vor allem weiblichen sowie migrantischen und post-migrantischen) Randbelegschaften! (Und das Sinken des Anteils der Löhne und Gehälter am Volkseinkommen [d.h.: der sog. Lohnquote][11] ist vor allem darauf zurückzuführen, daß die Gewerkschaften zugelassen haÂben, daß der Hauptteil der Produktivitätsgewinne in die Unternehmensgewinne geflossen ist.)
(2.) Selbst wenn Frauen vermehrt Erwerbsarbeit leisten würden und die Männer-MonatsÂverdienste im gleichen Ausmaß, wie die Frauen-Monatsverdienste dadurch steigen würÂden, sinken würden, würde dies keine Verminderung des Lebensstandards der LohnabÂhängigen bedeuten, da das Haushaltseinkommen unter dem Strich gleichbliebe (etwaige Veränderungen der Haushaltsgrößen an dieser Stelle außer Acht gelassen).
Trotzdem wäre letzteres Modell politisch nicht erstrebenswert, wenn es nur mit einem SinÂken der Männereinkommen und nicht auch mit einem Sinken der Männer-ErwerbsarbeitsÂzeiten einherginge. Denn Sinken der Männer-Einkommen bei gleichbleibenden Männer-Erwerbsarbeitszeiten (+ Steigen der Frauen-Einkommen bei steigenden Frauen-ErwerbsÂarbeitszeiten) hieße unter dem Strich, daß das Kapital bei gleicher Lohnsumme eine gröÂßere Arbeitszeitmenge bekäme. Unter diesem Gesichtspunkt kann also sogar gesagt werÂden, daß das fordistische Hausfrauen-/Familienernährer-Modell nicht nur nicht den „MehrÂwert [...] erhöht“, sondern sogar vielmehr begrenzt hat.
Aber auch aus dieser letzten Erwägung folgt kein Argument, für die These, daß es nicht möglich sei oder nicht legitim wäre, das Patriarchat zu überwinden, ohne auch den KapitaÂlismus zu überwinden. Denn – wie bereits gesagt –: Das feministische Anliegen ist nicht „Erwerbsarbeitszeitverkürzung für Männer ohne Lohnausgleich“, sondern u.a. „Erledigung der Hälfte der unentlohnten Hausarbeit durch Männer“ und „Steigerung der – männer-unabhängigen[12] – Frauen-Bedürfnisbefriedigung (u.a. = Konsummöglichkeiten; das heißt unter kapitalistischen Verhältnissen: Steigerung der Frauen-Monatseinkommen) mindestens auf das jetzige Männer-Niveau“.
Anhang
zu geschlechtshierarchischer Arbeitsteilung sowie Vermögensverteilung nach GeÂschlecht und Kontinenten
- Obwohl seit 2006 die Zahl der Hochschulabsolventinnen in Deutschland höher ist als die Zahl der -absolventen, und der Frauenanteil an den AbvolentInnen auch schon 1999 bei ca. 44 % lag[13], üben immer noch 35 % der Männer, aber nur 25 % der Frauen eine leitende oder herausgehobene Tätigkeit aus; dagegen ist die mittÂleren Ebene („Fachkräfte“) unter den Frauen um 8 Prozentpunkte und die untersten Ebene („ungelernt“) um 3 Prozentpunkte stärker vertreten als unter den Männern; die Kategorie „angelernt“ ist unter Männern und Frauen gleich stark vertreten[14]. Auch unter den 15- bis 64-jährigen Erwerbspersonen lag der Anteil der „hoch QualiÂfizierten“ unter Frauen und Männern 2011 schon fast gleich auf (BRD: 26 % : 29 %; zum Vergleich – EU-Durchschnitt: 32 % : 26 %).[15]
- Das produzierende Gewerbe (mit ca. 11 Mio. Erwerbstätigen) ist in der BRD weiterÂhin zu mehr als ¾ eine Männer-Domäne; die dortigen Selbständigen[16] – mit und ohne Beschäftigten – sind sogar zu fast 90 % Männer. (Der hohe Männer-Anteil erlaubt nicht den Schluß, daß das Geschlechterverhältnis dort keine Rolle spielt, sondern zeigt gerade, wie sehr sich dieser Bereich ändern würde, wenn denn das Geschlechterverhältnis revolutioniert würde. Der hohe Männer-Anteil gerade unter den Selbständigen zeigt außerdem, daß nicht nur lohnabhängige Frauen, sondern auch Frauen anderer Klassen nachteilig vom patriarchalen Geschlechterverhältnis betroffen sind – bzw. schlechtere ‚Klassen-Zugangs-Chancen’ haben.)
- Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei (mit etwas mehr als einer halben Million Erwerbstätigen), die beim heutigen Technisierungsgrad auch weitgehend als indusÂtriell zu bezeichnen sind[17], sind eine knapp 70-prozentige Männer-Domäne; wiederÂum mit überproportionalem Männer-Anteil unter den Selbständigen: Während die Zahl der Selbständigen und der abhängig Beschäftigten in dieser Branche unter den Männern in etwa gleich groß ist (173.000 ggü. 186.000), überwiegt unter den Frauen dieser Branche die Zahl der abhängig Beschäftigten (97.000) deutlich die Zahl der Selbständigen (30.000).
- Eine deutliche Frauen-Mehrheit von fast 2/3 gibt es dagegen im Bereich der sog. Sonstigen Dienstleistungen (welche dies sind, ergibt sich – im Umkehrschluß – soÂgleich aus dem nächsten Aufzählungspunkt) – mit ca. 18 Mio. Erwerbstätigen –, woÂbei die Frauen wiederum unter den abhängig Beschäftigten stärker vertreten sind als unter den Selbständigen.
- In den Bereichen Handel, Gastgewerbe; Information und Kommunikation (mit ca. 10 Mio. Erwerbstätigen), die – neben den „Sonstige[n] Dienstleistungen“ – zu einer eiÂgenen Rubrik zusammengefaßt sind, sind der Männer-Anteil von ca. 55 % und der Frauen-Anteil von ca. 45 % auf den ersten Blick relativ dicht beieinander[18]. Auf den zweiten Blick zeigt sich aber, daß auch dieser Wirtschaftsbereich (intern) stark seÂgregiert ist – und zwar in
++ den Bereich Gastgewerbe (mit einem Frauen-Anteil von ca. 57 %) und den BeÂreich Handel; Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen (mit einem Frauen-Anteil von 51 %, der im Handel allerdings höher und im KfZ-Bereich niedriÂger sein dürfte) einerseits
sowie
++ den Bereichen Verkehr und Lagerei, Medien, Telekommunikation, InformationsÂtechnologische und Informationsdienstleistungen andererseits mit eiÂnem Männer-Anteil von fast 72 %.[19]
- Auch der Bereich der Sonstigen Dienstleistungen ist intern zusätzlich segregiert: Trotz der fast 2/3-Mehrheit im gesamten Bereich gibt es sechs Teil-Bereiche mit Männer-Mehrheit und acht Teil-Bereiche mit Frauen-Mehrheit.[20] (Auch die DienstÂleistungsberufe sind m.E. beim heutigen Grad an Computerisierung und standardiÂsierten Leistungsvorgaben weitgehend als „industriell“ zu bezeichnen; als „nicht-industriell“ bleibt damit vor allem die unentlohnte Hausarbeit übrig.)
- In allen vier Haupt-Branchen ist der Frauen-Anteil unter den unbezahlten mithelfenÂden Familienangehörigen (deren Gesamtzahl mit 160.000 allerdings nicht besonÂders groß ist[21]) höher als der Frauen-Anteil an allen Erwerbstätigen der jeweiligen Branchen.
Branche u. Stellung | Männer-Anteil in % | Frauen-Anteil in % |
Land- u. Fortw.; Fischerei | 68,0 % | 32,0 % |
– Selbständige | 85,2 % | 14,8 % |
– Unbez. mithelfende Fam.angeh. | 30,3 % | 69,7 % |
– Abhängige Erwerbstätige | 65,7 % | 34,3 % |
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Produzierendes Gewerbe | 76,6 % | 23,4 % |
– Selbständige | 89,6 % | 10,4 % |
– Unbez. mithelfende Fam.angeh. | 37,5 % | 62,5 % |
– Abhängige Erwerbstätige | 75,7 % | 24,3 % |
| | |
Handel, Gastgew. u. Verkehr; InÂformation u. Kommunikation | 54,9 % | 45,1 % |
– Selbständige | 72,3 % | 27,7 % |
– Unbez. mithelfende Fam.angeh. | 37,8 % | 62,2 % |
– Abhängige Erwerbstätige | 53,0 % | 47,0 % |
| | |
Sonstige Dienstleistungen | 37,8 % | 62,2 % |
– Selbständige | 55,5 % | 44,5 % |
– Unbez. mithelfende Fam.angeh. | 25,0 % | 75,0 % |
– Abhängige Erwerbstätige | 35,5 % | 64,5 % |
Quelle:
eigene Berechnung anhand der a.a.O. (FN 1), 41 genannten absoluten Zahlen. Ich habe den Berechnungen die rechnerische Summe der gerundeten Zahlen zu Männern und Frauen zugrundgelegt, da die tatsächlichen Gesamtzahlen – aufgrund von RundungsdifferenÂzen – teilweise etwas niedriger sind als die Summen der Teilmengen ist. Hätte ich stattdessen die tatsächlichen Gesamtzahlen zugrunÂdegelegt, hätten sich Prozentzahlen für Frauen und Männern ergeben, deren Summe teilweise leicht über 100 % gelegen hätte.
- Mit der Vergeschlechtlichung der Branchen und „beruflichen Stellungen“ werden nicht nur Prestige, sondern auch Macht – wie u.a. der überproportionale Männer-Anteil unter den Selbständigen zeigt – und Einkommen ungleich auf die GeschlechÂter verteilt:
++ Während im Produzierende Gewerbe der Anteil der Erwerbstätigen mit einem Monatsnettoeinkommen von weniger als 1.100 Euro bei 16,1 % und der Anteil derÂjenigen mit einem Einkommen von 2.000 oder mehr Euro bei fast 43 % liegt,
++ liegt der Anteil der GeringverdienerInnen in beiden Großgruppen des DienstleisÂtungsbereichs bei ca. 30 % und der Anteil der Gutverdienenden unter 35 %.
++ Zur Land- und Forstwirtschaft sowie zur Fischerei lassen sich keine sinnvollen Angaben machen, da mehr als 2/3 der Befragten die Einkommensangabe verweiÂgert haben, während dies in den anderen Hauptbranchen nur ca. 2 % der Befragten taten.[22]
Die starken Unterschiede hinsichtlich der pro-Kopf-Monatseinkommen in den verÂschiedenen Branchen ergeben sich zwar auch aus den unterschiedlichen Quoten an Teilzeit-Erwerbstätigen in den verschiedenen Branchen; aber auch der Umstand, daß Frauen wesentlich häufiger teilzeit-erwerbstätig sind als Männer, ist Teil der geÂschlechtshierarchischen Arbeitsteilung.
++ Schließlich schneiden Frauen auch bei den Bruttostunden-Verdiensten deutlich schlechter ab als Männer: Der Durchschnittsverdienst von Männern liegt pro Stunde um 28,7 % über dem von Frauen[23]; 27 % der Frauen, aber nur 16 % der Männer haben einen Bruttostunden-Verdienst von weniger als 10 Euro[24]. 6,7 % der FrauÂen[25], aber nur 4,1 % der Männer[26] erhalten nur den gesetzlichen Mindestlohn.
++ In der Groß-Gruppe der ‚Nicht-Sonstigen Dienstleistungen’ (siehe oben) ist der Bruttostunden-Verdienst in der Männer-Domäne „Information und Kommunikation“ mit 23,41 Euro besonders hoch und in der Frauen-Domäne „Gastgewerbe“ mit 9,63 Euro besonders niedrig; in dem relativ ausgeglichenen Bereich „Handel; InstandhalÂtung und Reparatur von KfZ“ und der Männer-Domäne „Verkehr und Lagerei“ liegen die Brutto-Stundenverdienste jeweils bei ca. 14,50 Euro[27] (wobei die Löhne im fragÂlichen KfZ-Bereich höher sein dürften als im Handel).
2014 lag der durchschnittliche Bruttostunden-Verdienst von Männern um 28,7 % über dem von Frauen | Das Durchschnittsvermögen von Männern in der BRD war 2012 um mehr als 35 % höher als das Durchschnittsvermögen von Frauen |

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Quelle: Statistisches Bundesamt, Verdienste auf einen Blick, 2017, o.O., April 2017, 19 | Quelle: Markus M. Grabka und Christian Westermeier, Anhaltend hohe Vermögensungleichheit in Deutschland, in: DIW WochenbeÂricht Nr. 9/2014, 151 - 164 (160) |
Anmerkung:
In der Veröffentlichung zum Gender Pay Gap ist nicht erläutert, inwiefern sich der Beschäftigungsumfang auf den Stundenverdienst auswirken soll.
Aus alledem ergeben sich die in der Tabelle am Anfang dieses Textes dargestellten UnterÂschiede zwischen den Frauen- und Männer-Monatsverdiensten:
? Während über die Hälfte aller Frauen (und mehr als zwei Drittel der AusländerinÂnen) in Deutschland ein Monatsnettoeinkommen von unter 1.100 Euro haben, trifft dies nur auf ein Viertel der Männer zu.
? Während mehr als 35 % der Männer ein Monatsnettoeinkommen von mehr als 2.000 Euro haben, gilt dies nur für ca. 14 % aller Frauen (und sogar nur für ca. 8 % der Ausländerinnen).
? Die Werte für die ausländischen Männer liegen jeweils in etwa in der Mitte zwischen den Werten für alle Frauen einerseits und den Werten für alle Männer andererseits.
Aus diesen Einkommensunterschieden (und vielleicht auch geschlechtshierarchischem Vererbungsverhalten) ergibt sich, daß in Deutschland das individuelle Nettovermögen von Männern um ca. 35 % höher ist als das der Frauen. – International sind mir nur Zahlen zur Vermögensverteilung innerhalb der Hochvermögenden bekannt: Auch innerhalb dieser Gruppen haben einerseits Männer und anderer EuropäerInnen und NordamerikanerInnen überproportional Vermögen:
Das weltweite Vermögen, das 2016 in den Händen von $-Millionären akkumuliert war, war um ca. 1/3 größer als das Vermögen in Händen von $-Millionärinnen | Knapp 60 % des weltweiten Vermögens, das 2016 in den Händen von $-MillionärInnen akkumuliert war, lag in den Händen von NordamerikaÂnerInnen und EuropäerInnen |

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Capgemini, Word Wealth Report 2016, Selbstverlag: o.O., o.J., S. 43 |
Ergänzender Hinweis zur rechten Graphik:
In Nordamerika (einschl. Mexiko) wohnen 7,9 % und in Europa 11,1 % der Weltbevölkerung (https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Kontinent&diff=165779210&oldid=165779192#Vergleich_der_Kontinente:_Fl.C3.A4che_und_Bev.C3.B6lkerung)
Nochmals zum Verhältnis von Patriarchat und Kapitalismus - 03-06-17 20:56
Überwindung oder Verewigung der Geschlechterdifferenz? - 28-05-17 20:50
Worin TaP bei den „Geschlechterverhältnissen“ irrt - 23-05-17 20:49
Nochmals: Geschlechterverhältnis & Revolution(en) - 22-05-17 20:55
Geschlechterverhältnisse, Bewusstseinsevolution und Revolution - 20-05-17 20:52