Warum ich die 8. März-Demo in Berlin verlassen habe, bevor sie losging
Von DGS
Der folgende Text ist keine elaborierte Analyse, sondern ein in Empörung ge-/beschriebener spontaner Eindruck.
Frauen*Kampftag mit Männern… Wie kann das gehen?
Ich muß zu meiner eigenen feministischen Schande gestehen, daß ich von den diesjährigen 8. März-Vorbereitungen nicht viel mehr bekommen hatte, als – offline – den doppelseitigen DIN A 5-Aufruf; die Kritik daran von Trans*-Initiativen oder Trans-Leuten; den Text von TOP zum 8. März und das Transpi von RIO für die Demo – alles drei in meinem Facebook-Stream.
Ich kam bis eben nicht einmal dazu, den Aufruf zu lesen, sondern fand nur das Layout ansprechend; freute mich, daß es – nachdem die 8. März-Demos in den letzten Jahren in Berlin nicht besonders groß waren oder sogar ganz ausfielen – diesmal eine bundesweite Demo geben soll; nahm positiv zur Kenntnis, daß auf der Vorderseite des Flugis von „Frauen*Kampftag“ die Rede war; war aber auch überrascht, daß ich vor ein paar Wochen, als ich das Flugi in die Hände bekam, von der Demo auf den feministischen und queeren mailing-Listen, auf denen ich bin, noch gar nichts mitbekommen hatte.
Als nächste stieß ich auf die schon erwähnte Trans*-Kritik, die ich auch nicht komplett bzw. in Ruhe zu lesen schaffte, die ich mich aber auf die Anmerkung in dem offiziellen Aufruf aufmerksam machte: „Frauen* = Wir haben den Begriff »Frauen« und »Mädchen« mit Sternchen* markiert. Damit schließen wir Trans*-Frauen. und Inter*-Menschen explizit ein. Egal wie du aussiehst oder als was du bei der Geburt eingeordnet wurdest – unser Feminismus schließt dich ein.“
Ich dachte mir: ‚Mag die Trans*-Kritik an dem Aufruf im übrigen auch zutreffen oder nicht – ist ja immerhin gut, daß es augenscheinlich tatsächlich eine Frauen*Kampftags-Demo“, also wohl eine Frauen*-Demo (einschließlich der Trans* und Inter*, die sich als Frauen verstehen [was ich gut finde; was meiner Überzeugung nach aber nicht verpflichtend ist]) werden wird.’
Umso überraschter war ich vorhin, daß das erste, was ich von der Demo – noch beim Verlassen des U-Bahnhofes – mitbekam, war, daß es anscheinend eine gemischte Demo ist. Auf der Treppe des U-Bahnhofes rief mir die Stimme eines cis-männlichen Genossen hinter. Im Gespräch gewann ich dann schnell den Eindruck, daß er nicht zufällig auch am Gesundbrunnen ist, und dachte mir: Ab und an sagt und schreibt er bzw. seine Gruppe ja was zum Geschlechterverhältnis und wenn’s am Ende einen Block mit solidarischen Männern gibt, soll’s mir auch Recht sein. Als wir dann oben waren, stellte sich aber schnell heraus, daß es anscheinend insgesamt eine gemischte Demo ist. – Wenn ich das vorher gewußt hätte, wäre ich gar nicht erst hingegangen.
Bereits vor 3 Jahren kritisierte ich die Parole „100 Jahre Internationaler Frauenkampftag. Zusammenkämpfen gegen Patriarchat, Ausbeutung und Unterdrückung“ und schrieb:
„Etwas ganz anderes, als anläßlich des 8. März eine gemischte Demo zu veranstalten, wäre es im übrigen, zum einen eine FrauenLesben(Trans)-Demo zu veranstalten, hinter der im Abstand von 500 Metern zum anderen eine pro-feministische Männer (und Trans-)Demo läuft und in deren Aufruf sich Männer (und Trans-Wesen) mit ihrer Rolle im Patriarchat und welchen Beitrag sie dazuleisten können und wollen, beide (ihre Rolle und das Patriarchat im allgemeinen) zu überwinden, auseinandersetzen. Dann würde sich Männer (und Trans-Wesen) nämlich nicht ‚Lieb Kind’ bei FrauenLesben mitmachen, aber in der Außenwahrnehmung einer gemischten Demo weitgehend untergehen, sondern sichtbar Solidarität zeigen und sich mit den gesellschaftlichen Reaktionen (insb. von Männern) darauf auseinandersetzen müssen – also ganz im Sinne dessen, was Ingrid Strobl schon Anfang der 90er Jahre postulierte: ‚Frauen, die das Machtverhältnis zwischen Frauen und Männern bekämpfen, Frauen, die der patriarchalen Norm […] den Krieg erklären, Frauen, die die herrschenden Verhältnisse, die Herrschaft im wahren Sinne des Wortes radikal aufheben wollen, bedürfen nicht so sehr der männlichen Genossen, die sich für ihre Freunde halten, als der männlichen Genossen, die bereit sind, zum Feind des Mannes zu werden.’ (http://www.sterneck.net/gender/strobel-freiheit/index.php).“
http://theoriealspraxis.blogsport.de/2011/05/03/gegen-den-strom/#fn1304183196603n
Und das finde ich auch heute noch richtig!
Optisch dominiert von gemischten – reformistischen und marxistischen – Gruppen
Das Zweite, das wir dann von der Demo mitbekamen waren jede Menge grüne Luftballons, die sich dann auch als solche der Partei Die Grünen herausstellten; außerdem lila Luftballons des Frauenverbandes der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD); Transparente, Schilder und Zeitungsverkäufer von marxistischen Gruppen, wie Gruppe Arbeitermacht, RIO, Revolution und SAV; auch ein Logos des Jugend- und/oder des Studierendenverbandes der Linkspartei sowie Transpis von zwei bekannten gemischten autonom-linksradikalen Gruppen aus unterschiedlichen Szene-Spekreten (TOP und ARAB), die sich an den anderen 364 Tagen im Jahr auch nicht gerade durch ‚übermäßig viel’ Feminismus hervortun. Transparente und ähnliches von explizit und vorrangig feministischen Zusammenhängen oder die nicht größeren gemischten Gruppen zuzuordnen waren, waren dagegen kaum zu sehen.
Schlechte Technik – und die Weltsicht des Frauenverbandes der MLPD
Zum Inhalt der Redebeiträge kann ich wenig sagen, da die Lautsprecher nur ein geringe Reichweite hatten und ich dort, wo ich zunächst stand, kaum etwas verstehen konnte. Später stand ich dann ziemlich nah an den Lautis und bekam gerade noch den letzten Rest des Redebeitrages zur Abtreibungsgesetzgebung in Spanien und den Anfang des Beitrages des MLPD-Frauenverbandes Courage mit.
In diesem Redebeitrage wurde die Regierung der BRD – ‚selbstverständlich’ schon mit kritisch-irononischem Unterton… – als „Frauenregierung“ bezeichnet (anscheinend weil ihr eine Bundeskanzlerin und mehrere Ministerinnen angehören) und sprach die Courage-Rednerin larmoyant darüber, daß diese „Frauenregierung“ vermutlich nichts besseres zu tun habe, als sich um Soldatinnen zu sorgen, die sexuell belästigt werden und selbst die Kinder anderer Mütter erschießen.
An dieser Stelle habe ich dann Demo verlassen, noch bevor sie losging.
- Was auch immer Feministinnen der unterschiedlichen Richtungen von Frauen halten, die in der Bundeswehr dienen… – Daß auch diese Frauen feministische Solidarität verdienen, wenn sie von ihren männlichen Kollegen oder von Soldaten anderer Armeen belästigt oder vergewaltigt werden, sollte m.E. dennoch wohl unstrittig sein; und, wenn sich die Bundesregierung darum kümmert, ist das m.E. zumindest nicht das allerschlechteste von dem, was sie macht.
- Und wenn von Frauen – in dem Fall: von Soldatinnen – die Rede ist, gleich an Mütter und Kinder zu denken, hätte ich auch eher bei einer CDU-Veranstaltung oder beim Katholischen Kirchentag als bei einer 8. März-Demo erwartet.
Noch eine Anmerkung zum Aufruf und eine Fußnote zu Bündnispolitik
Wie oben schon angedeutet: Nachdem ich von der Demo wiederkam, habe ich ihn – den Aufruf – nun doch noch gelesen: Ich finde ihn nicht sonderlich kämpferisch, aber dafür, daß er von Teilen von parlamentarisch-reformistischen Parteien und sozialpartnerInnenschaftlichen Gewerkschaften unterschrieben ist, finde ich ihn weitgehend okay. Allerdings nur „weitgehend“ – denn ein Satz in dem Aufruf nimmt die feministische Kapitulation, die die Auftakt-Kundgebung zur Demo eher auf der Ebene der politischen Kultur bedeutete, schon auf der Ebene der politischen Theorie oder Ideologie vorweg. Dieser Satz lautet:
„Sie [Frauen*] werden in der kapitalistischen Gesellschaft doppelt ausgebeutet – in ihrem Job und Zuhause.“
Das ist in der Tat der marxistische Minimalkonsens, auf den sich sonst einander so fernstehende Gruppe, wie TOP, die MLPD und diverse trotzkistische Gruppen einigen können.
In Wirklichkeit leben wir aber in einer Gesellschaft, die sowohl durch patriarchale als auch kapitalistische Strukturen gekennzeichnet ist. Dabei sind die ersteren weder die lineare Folge noch der hegelianische „Ausdruck“ der letzteren, sondern sie stehen neben den letzteren (auch wenn sie mit einander verknüpft sind und sich wechselseitig beeinflussen), und darüber hinaus gehen die ersteren – die patriarchalen Strukturen – den kapitalistischen Strukturen sogar historisch voraus: Das Patriarchat ist älter als der Kapitalismus (und älter als jede Klassenherrschaft [wie Karl Marx erahnte, aber Friedrich Engels nicht sah – dies nur am Rande für meine marxistischen GenossInnen])!
Und wenn wir die Formulierung „doppelt ausgebeutet“ verwenden wollen, so sind FrauenLesben* dies („doppelt ausgebeutet“) also deshalb, weil wir in einer kapitalistischen und patriarchalen Gesellschaft leben, und nicht, weil ‚der Kapitalismus’ ‚die Frauen’ (mit oder ohne Sternchen) doppelt ausbeuteten würde.
Diesen Umstand nicht benannt zu haben, machte schon den Aufruf zur Demo – statt, wie beansprucht wird – zu einer Liebeserklärung an den Feminismus („Still loving Feminism!“) zu einer Absage an den Feminismus.
Und deshalb sollte der nächste 8. März wieder in erster Linie von Feministinnen vorbereitet und geprägt werden – und nicht in erster Linie von denen, die beanspruchen, den Feminismus zu lieben, aber selbst nur grüne „Geschlechterdemokratie“, linksparteiliche „Geschlechtergerechtigkeit“, stalinistische und trotzkistische „Frauenfrage“ + Klassenkampf zu bieten haben oder Kapitalkritik schon für die Kritik des „Ganzen“ halten.
Und die Fußnote zur Bündnispolitik gibt’s dort: .
Zum Weiterlesen:
“Die Überzeugungskraft charmanter Unterwerfungsgesten hat ihre Grenzen.” (Elfriede Hammerl)
http://theoriealspraxis.blogsport.de/1999/10/15/die-ueberzeugungskraft-charmanter-unterwerfungsgesten-hat-ihre-grenzen-elfriede-hammerl/
Gegen den Strom. Versuch einer Aktualisierung der „Feministische[n] Kritik“ von 1993
http://theoriealspraxis.blogsport.de/2011/05/03/gegen-den-strom/
„Männerfeindlichkeit“ und die Arbeit der Zuspitzung
http://theoriealspraxis.blogsport.de/2011/06/30/maennerfeindlichkeit-und-die-arbeit-der-zuspitzung/
PS.:
Eine andere Sicht auf die gleiche Demo:
lowerclassmagazine.blogsport.de/& (5.000 Leute war es bei weitem nicht, wenn auch mehr als die – ich weiß nicht – 150 oder 300 in den letzten Jahren).
http://theoriealspraxis.blogsport.de/2014/03/08/eine-feministische-kapitulation-warum-ich-die-8-maerz-demo-in-berlin-verlassen-habe-bevor-sie-losging/