Bürgerkrieg in Deutschland: Konterrevolution - Monarchisten, Bourgeoisie und Sozialdemokraten - vs. Arbeiterklasse. (Teil III)

01.09.10
ArbeiterbewegungArbeiterbewegung, Theorie, TopNews 

 

von Heiner Rasmuss, bereitgestellt von Reinhold Schramm

Die Januarkämpfe 1919 in Berlin


Führung und Verrat.

 Die Berliner Januarkämpfe 1919 werden häufig als „Spartakus-Aufstand“ bezeichnet. Diese Bezeichnung ist irreführend. Zwar waren es die kommunistisch orientierten Arbeiter, die an der Spitze der eigentlichen Kämpfe standen, es waren aber die Funktionäre der USPD und der revolutionären Obleute, die Zielstellung und Leitung der Bewegung in den Händen hatten. Der linke unabhängige Führer Richard Müller schrieb zu der entscheidenden Konferenz am 5. Januar, in der die falsche Zielstellung des Kampfes beschlossen wurde: „In dieser Konferenz lag die Entscheidung bei den Unabhängigen. Und da zeigte sich, dass sich besonders jene schwankenden Gestalten, wie sie im Berliner Zentralvorstand sassen, die sich gewöhnlich nicht gern in Gefahr begaben, aber doch überall dabei sein wollten, als die wildesten Schreier und recht revolutionär gebärdeten.“(29) Zu der Zielstellung des Kampfes schrieb er: „Wer den Kampf mit der Parole: ,Sturz der Regierung’ aufnahm, ... machte einen Handstreich, ... vor dem zur selben Stunde auch die Zentrale der Kommunistischen Partei eindringlich gewarnt hatte.“(30) In der Tat sprach sich die Zentrale der KPD eindeutig gegen den Kampf um die Regierungsgewalt zu diesem Zeitpunkt aus.

 Rosa Luxemburg machte auf dem Gründungsparteitag der KPD (Spartaskusbund) dazu prinzipielle Ausführungen: „... Es gibt keinen anderen Weg, den Frieden herzustellen und zu sichern, als den Sieg des sozialistischen Proletariats. Parteigenossen, was ergibt sich für uns daraus ...? Das nächste, was Sie daraus schließen werden, ist wohl die Hoffnung, dass nun der Sturz der Ebert-Scheidemann-Regierung erfolgt und dass sie durch eine ausgesprochene sozialistisch-proletarisch-revolutionäre Regierung ersetzt werden müßte. Allein, ich möchte Ihr Augenmerk nicht nach der Spitze, nach oben, richten, sondern nach unten. Wir dürfen nicht die Illusion der ersten Phase der Revolution, der des 9. November, weiter pflegen und wiederholen, als sei es überhaupt für den Verlauf der sozialistischen Revolution genügend, die kapitalistische Regierung zu stürzen und durch eine andere zu ersetzen. Nur dadurch kann man den Sieg der proletarischen Revolution herbeiführen, dass man umgekehrt anfängt, die Regierung Ebert-Scheidemann zu unterminieren durch einen sozialen revolutionären Massenkampf des Proletariats auf Schritt und Tritt, auch möchte ich ... deutlich zeigen, dass wir leider noch nicht soweit sind, um durch den Sturz der Regierung den Sieg des Sozialismus zu sichern.“(31) Sie wies weiter darauf hin, dass bisher die ländliche Bevölkerung von der Revolution „so gut wie unberührt“ geblieben ist und fuhr fort: „Wir müssen vorbereiten, von unten auf, den Arbeiter- und Soldatenräten eine solche Macht geben, dass, wenn die Regierung Ebert-Scheidemann oder irgendeine ihr ähnliche gestürzt wird, dies dann nur der Schlussakt ist ... Denn hier gilt es, Schritt um Schritt, Brust an Brust zu kämpfen in jedem Staat, in jeder Stadt, in jedem Dorf, in jeder Gemeinde, um alle Machtmittel des Staates, die der Bourgeoisie Stück um Stück entrissen werden müssen, den Arbeiter- und Soldatenräten zu übertragen.“

 Diese richtige prinzipielle Linie wurde den Arbeitern in einem Flugblatt erläutert, das Anfang Januar verbreitet wurde und in dem er heißt: „Würden die Berliner Arbeiter heute ... die Scheidemann-Ebert ins Gefängnis werfen, während die Arbeiter des Ruhrgebietes, Oberschlesiens, die Landarbeiter Ostelbiens ruhig bleiben, so würden die Kapitalisten morgen Berlin durch Aushungerung unterwerfen können. Der Angriff der Arbeiterklasse auf das Bürgertum, der Kampf um die Macht der Arbeiter- und Soldatenräte, müssen das Werk des gesamten arbeitenden Volkes im ganzen Reich werden.“(32)

 Die Zentrale der KPD revidierte am 8. Januar auch den Fehler Liebknechts und Piecks, die in der entscheidenden Sitzung am 5. Januar den Sturz der Regierung gefordert hatten, und zog beide aus dem Revolutionsausschuss zurück.(33) Somit hatte das Kollektiv der Leitung der Kommunistischen Partei auch theoretisch eine zielklare und richtige taktische Linie ausgearbeitet und in aller Öffentlichkeit dargelegt.

 Wenn ich zuvor die Einschätzung Richard Müllers zur Zielstellung des Kampfes als zutreffend schilderte, so bleibt aber jetzt die Frage zu beantworten, was Müller und seine Genossen, außer dieser richtigen kritischen Bemerkung, nun zur positiven Lösung des Konfliktes beigetragen haben. Ohne Frage genügte es nicht festzustellen, was nicht getan werden sollte. Die Arbeiter hatten die Provokation spontan mit Kampfdemonstrationen beantwortet. Die Führer mußten darauf reagieren. Es wäre notwendig gewesen, die spontane revolutionäre Bewegung in richtige Bahnen zu lenken. Durch falsche Losungen, durch Zögern und Nichtstun zerstörte man die sich entwickelnde Aktionseinheit. Darum mußten alle Maßnahmen darauf gerichtet sein, den Generalstreik mit Konsequenz in Berlin durchzusetzen, Sympathiestreiks in anderen Gebieten des Reiches anzuregen, die Bewaffnung des Berliner Proletariats planmäßig vorzunehmen, die Stadt nach militärischen Gesichtspunkten vor einem Einmarsch weißer Truppen zu schützen, die Volksmarinedivision, die Republikanische Soldatenwehr, die Sicherheitswehr und Teile der Berliner Garnison fest mit der revolutionären Bewegung zu verbinden, die restlichen Truppen zu demobilisieren und durch all diese Maßnahmen eine feste Aktionseinheit in der Hauptstadt zu schmieden. Sichtbares Ergebnis einer solchen entschlossenen Aktion wäre die Verhinderung des Einmarsches der Noske-Truppen in Berlin, die Wiedereinsetzung Eichhorns als Polizeipräsident und ein allgemeiner optimistischer Ausgangspunkt für die weitere revolutionäre Entwicklung in Berlin gewesen.

 Aber trotz aller ernsten und heftigen Bemühungen von Luxemburg, Jogiches, Liebknecht und Pieck konnten sich die USPD-Führer und die revolutionären Obleute zu keiner Tat aufraffen. Sie berieten, hielten endlose Sitzungen ab, um dann noch nicht zu wissen, was sie tun wollten. Sehr bald endete dieses Zögern in Verhandlungen mit dem Gegner.

 Ledebour, eine der populärsten Persönlichkeiten dieser Zeit, gibt in seiner Person ein anschauliches Bild dieser USPD-Politik. Zur Zeit des Gründungsparteitages der KPD (Spartakusbund) hatte er sich „prinzipiell“ gegen jeden „Putschismus der KPD“ verwahrt, womit er eine der billigsten Hetzparolen der Reaktion über die Spartakusgruppe kurzerhand übernahm. Am 5. Januar hielt er sich in der entscheidenden Sitzung in der Diskussion zurück und sagte nur: „Wenn wir uns entscheiden, dann muss das rasch geschehen.“ Während dieser mehrstündigen Konferenz wurde folgende Überlegung diskutiert: Wenn die Regierung auf Verhandlungen eingeht, dann wird verhandelt. Dagegen polemisierte Ledebour: Das „wäre eine falsche Parole ... ich selbst hatte die Überzeugung, wenn wir uns schon auf einen Kampf einlassen, dann müssen wir aufs Ganze gehen.“ Sechzehn Stunden später befürwortete dieser selbe Ledebour Verhandlungen mit der Regierung, „... weil man niemals Verhandlungen ablehnen darf, wenn sie von ehrenhaften Leuten angeboten werden.“ Diese „ehrenhafte Leute“ waren die Mitglieder des Zentralausschusses der USPD (Reichsleitung), die am Vormittag des 6. Januar beschlossen hatten, als „neutrale“ Instanz Verhandlungen zwischen beiden Seiten zu versuchen. Der Regierung mußte das eine willkommene Atempause sein. Am selben Vormittag nahmen sie und der Zentralrat den „Vermittlungsvorschlag“ an. Am Abend erklärte sich der Revolutionsausschuss, gegen den ausdrücklichen Willen der Kommunisten, mit 51 zu 10 Stimmen zu Verhandlungen bereit. Ledebour wurde Leiter der Verhandlungen. „Warum und worum verhandelt werden sollte, das legte der Revolutionsausschuss nicht fest. Offenbar darüber, ob sich die Regierung stürzen lassen wolle“, schrieb Richard Müller zu dieser tragikomischen USPD-Politik. Verhandlungen mit der Regierung bedeutete aber, die Zweifel und die Stimmung der Hilflosigkeit in die Massen zu tragen und der sich formierenden Konterrevolution Zeit zur militärischen Vorbereitung zu geben. Die USPD begnügte sich aber nicht mit einem internen Verhandlungsversuch, sondern propagierte, nun endlich zu etwas entschlossen, diese Politik vor den Demonstranten am 7. Januar in der Siegesallee. Von hier aus beginnt sich eine ernste Verwirrung unter den demonstrierenden Massen bemerkbar und breitzumachen.

 Der Verlauf der Verhandlungen ist ausführlich im Ledebourprozess bei Richard Müller und in der „Illustrierten Geschichte der Revolution“ dargestellt.

 Das zu erwartende Ende dieser jämmerlichen Episode war der Einmarsch der konterrevolutionären Truppen, die Festnahme des Leiters der Verhandlungskommission und schließlich die militärische Niederlage der Berliner Arbeiter.

 Die Zentrale der KPD übte unablässig Kritik an der Kuhhandelpolitik. Sie beschränkte sich aber nicht auf kritische Bemerkungen, sondern gab in der Praxis als auch in der Agitation Ratschläge und Hinweise - aber alles umsonst. In der „Roten Fahne“ vom 11. Januar 1919 fasste Rosa Luxemburg diese Bemühungen und ihre Erfolge zusammen:

 â€žWir haben klar heraus gesagt, dass die Führung hinter der Reife und der Kampfbereitschaft der Massen weit zurücksteht. Wir haben sowohl innerhalb dieser führenden Körperschaften durch Initiative und Überredung wie außerhalb - in der ,Roten Fahne’ - durch Kritik alles getan, um die Bewegung vorwärts zu treiben, um die revolutionären Obleute der Großbetriebe zum tatkräftigen Auftreten anzuspornen. Doch alle Anstrengungen und Versuche sind schließlich an dem zaghaften und schwankenden Verhalten jener Körperschaften gescheitert. Nachdem man vier Tage lang die prächtigste Stimmung und Kampfenergie der Massen durch völlige Direktionslosigkeit hatte verzetteln und verpuffen lassen, nachdem man durch zweimalige Anknüpfung der Unterhandlungen mit der Regierung Ebert-Scheidemann die Aussichten des revolutionären Kampfes aufs schwerste erschüttert und die Position der Regierung aufs wirksamste gestärkt hatte, entschlossen sich die revolutionären Obleute endlich in der Nacht vom Mittwoch zum Donnerstag zum Abbruch der Unterhandlungen und zur Aufnahme des Kampfes auf der ganzen Linie. Die Parole Generalstreik wurde herausgegeben und der Ruf ,Zu den Waffen!’ Aber sie beruhigten sich bei der nackten Parole und - beschlossen gleich, am Donnerstagabend zum dritten Mal in Unterhandlungen mit Ebert-Scheidemann einzutreten ... Die Kommunistische Partei macht diese beschämende Politik selbstverständlich nicht mit und lehnt jede Verantwortung für sie ab. Wir betrachten es nach wie vor als unsere Pflicht, die Sache der Revolution vorwärts zu treiben ... und durch rücksichtslose Kritik die Massen vor den Gefahren der Zauderpolitik der revolutionären Obleute wie der Sumpfpolitik der USPD zu warnen!“ (Rosa Luxemburg)

 Das Ergebnis dieser Politik der USPD war das Auseinanderbrechen der Aktionseinheit des Berliner Proletariats. Die Demonstranten und Versammelten vom 8. und 9. Januar hatten die Losungen der USPD übernommen, die Kautsky wie folgt formulierte: „Wer die Herstellung der einheitlichen proletarischen Front will, muss mit der Einigung der Massen beginnen. Die Einigung der Führer wird dann folgen!“ Hinter dieser geschickten Formulierung stand die Absicht, die „neutralen“ USPD-Führer bei der Masse wieder schmackhaft zu machen. Die entsprechenden Losungen auf den Straßen lauteten „Rücktritt von Ebert, Scheidemann, Eichhorn und Ledebour, aller kompromittierten Führer“ und „Die kompromittierten Führer aller Richtungen haben abzutreten“, forderten die Arbeiter der Firmen Zwietusch, Beermann und die Arbeiterräte der kommunalen Betriebe von Groß-Berlin. Der von der USPD beherrschte Vollzugsrat in München telegrafierte: „Über die Köpfe der diskreditierten Führer hinweg eine Regierung aller Richtungen“, und der „Ministerpräsident des Volksstaates Bayern“, der Unabhängige Kurt Eisner, stieß kräftig mit in dieses großangelegte „Einigungshorn“. Von fast allen Berliner Großbetrieben, aus Spandau, aus allen möglichen Betrieben kamen „Deputationen mit langen Resolutionen, die merkwürdigerweise genau denselben Text hatten und genau zu derselben Zeit in den Betrieben angenommen waren, was darauf schließen ließ, dass die ganze Sache bezüglich der Einigung verabredet gewesen ist ...“, sagte der Vorsitzende des Zentralrates, der rechte SPD-Funktionär Leinert als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss der Preußischen Landesversammlung. Die Kautsky und Haase hatten die Hoffnung, dass die Berliner Massen die „neutralen“ USPD-Führer als nicht kompromittiert, als nicht diskreditiert ansehen würden. Dieser trügerischen Hoffnung zuliebe hatten sie die illusionistischen Einigungsversuche inspiriert. Die Verhandlungs- und Einigungspolitik der USPD hatte die Kampfkraft der Arbeiter verzettelt, ihren Kampfwillen gelähmt, so dass die Arbeitermassen schließlich den Kampf abbrachen. Die Aktionseinheit der Berliner Arbeiter war zerfallen. Jetzt, nach dem 8. und 9. Januar, war die Periode des Gleichgewichts der Kräfte zwischen Revolution und Konterrevolution beendet. Die Konterrevolution begann ihren Angriff.

Die Kämpfe

 Am 8. Januar begann der militärische Angriff der Konterrevolution unter Bruch des Waffenstillstandsabkommens. Während der Verhandlungen zwischen Zentralrat und Ledebour überraschten Regierungstruppen die revolutionäre Besatzung in der Eisenbahndirektion und stürmten den Anhalter Bahnhof. Am 9. Januar wurden die Verhandlungen abgebrochen.

 In der Nacht zum 10. Januar sollten die aus Potsdam geholten Truppen den „Vorwärts“ stürmen. Der kommandierende Major Stephani fand aber das Unternehmen nicht ausreichend vorbereitet und wollte verhandeln. Daher wandte er sich an Brutus Molkenbuhr, der aber erklärte, dass der „Vorwärts“ mit Waffengewalt genommen werden müsse. Der Aufschub des endgültigen allgemeinen Angriffs vom 9. auf den 11. Januar wird aber vor allem darum erfolgt sein, weil die Konterrevolution sich entschlossen hatte, zuerst die Spandauer Bewegung niederzuschlagen.

 Unterdessen ging man von seiten der Regierung nochmals auf Verhandlungen ein. Nach der Niederlage der Spandauer Bewegung war es aber damit vorbei: Der Generalangriff konnte beginnen, Verhandlungen standen jetzt nicht mehr zur Debatte. Ledebour wurde verhaftet. In der Nacht vom 10. zum 11. Januar bereiteten die Truppen den Angriff auf das Zentrum des revolutionären Widerstandes, den „Vorwärts“ vor.

 Am 10. Januar 1919 unternahm eine SPD-Delegation beim „Vorwärts“ den Versuch, die Kämpfer zur Übergabe des Gebäudes bei freiem Abzug zu bewegen. Dieses Ansinnen lehnte man ab, nachdem eine Versammlung einberufen worden war, in der die gesamte Mannschaft einmütig diesen Versuch zurückwies. Lieber wolle man sterben, als mit dem Todfeind verhandeln, erklärten die Arbeiter. Die Regierungstruppen hatten während dieser Verhandlungen den Ring um den „Vorwärts“ enger gezogen, die Privathäuser in der Nachbarschaft besetzt, auf dem Dach des nahen Patentamtes ein MG in Stellung gebracht und ein Geschütz in der Jakobstraße postiert. Diese Nachrichten lösten bei den Versammelten leidenschaftliche Proteste aus. Sofort wurde Alarmbereitschaft gegeben und die drei Regierungsvertreter verhaftet. Diese sollten erst wieder freikommen, wenn die letzten militärischen Maßnahmen rückgängig gemacht worden wären.

 Am 11. Januar 1919 zwischen 7.00 und 8.00 Uhr begann der direkte Angriff mit einem viertelstündigen Artilleriebeschuss vom Belle-Alliance-Platz her. Dann versuchten Handgranatentrupps den ersten Angriff, der aber blutig zurückgeworfen wurde. Darauf begann ein zweistündiges Bombardement. „Vier Minenwerfer eröffneten ein verheerendes Feuer gegen die belagerte Druckerfestung. Dichte Qualmwolken wälzten sich über die Straße ..., die nächsten Minen wurden auf das dach des Vorderhauses gerichtet und durchschlugen das Gebäude bis zum Keller, wo die Arbeiter ihre Verwundeten hatten. Die Wirkung der Geschosse war entsetzlich. Große Stücke Mauerwerk stürzten in die Tiefe und begruben alles, was in diesen Zimmern noch lebte, unter sich ...“(34) Das Papierlager hatte Feuer gefangen. Aber immer noch schoss es aus dem brennenden Haus. Aus dem Eckfenster der ersten Etage hämmerte ohne Unterbrechung ein MG. Hier lag die Genossin Hilde Steinbrink aus Neukölln. Sie hielt bis zum letzten Augenblick aus und ist erst im Nahkampf überwunden worden. Durch den Einsatz der Minenwerfer, die große Löcher in die reihen der Kämpfer rissen, wurde die Besatzung von der Nutzlosigkeit eines weiteren Widerstandes überzeugt. Man wählte acht Parlamentäre. Unter ihnen der Arbeiterdichter Werner Möller und der Redakteur Wolfgang Ferrnbach. Sieben von ihnen starben, nachdem sie bestialisch misshandelt wurden, unter den Kugeln entmenschter Soldateska. Um 11.00 Uhr war der ungleiche Kampf beendet. 300 Kämpfer gerieten in die Hände der vertierten Knechte, die sie mit Peitschen und Gewehrkolben blutig schlugen.

 Was waren das für Menschen, die von den „Ruhe- und Ordnungstruppen“ als Banditen, Schweine, rote Kanaillen beschimpft, geschlagen und wehrlos erschossen wurden? Am 15. Januar veröffentlichte die „Republik“ einen Artikel, der eine Antwort auf die Frage ist. „Am Tage vor der Erstürmung des ,Vorwärts’ durch Regierungstruppen wurde ich mit der Besatzung eines bewaffneten Regierungsautos von den Spartakusleuten des ,Vorwärts’ gefangengenommen. Es war meine erste Berührung mit diesen Leuten, die als Mörder und Räuber verschrien sind, denen jede ideale Gesinnung von der bürgerlichen Presse abgesprochen wird. Die Menschen, die ich dort kennenlernte, haben mich durch die Wucht ihrer Überzeugung, durch die tiefe, todesbereite Liebe zu ihrer Idee und ihre unantastbare menschliche Reinheit so tief erschüttert, dass ich mich verpflichtet fühle, Zeugnis für sie abzulegen. Wir wurden von Anfang an mit vollkommener Menschlichkeit behandelt ... Dass dieser Kampf ein blutiger wurde, bedauerten sie selbst tief. Immer wieder brach der Ekel gegen das Blutvergießen aus ihnen in den stärksten Worten heraus, denn sie empfanden keinen Hass gegen uns, nein, sie sind ganz erfüllt von der Liebe zum Bruder Mensch, der unter dem Druck des Kapitalismus leidet. Die Leute, die dort versammelt waren, und von denen ich viele sprach, waren keine unreifen siebzehnjährigen Bengels sondern zum größten Teil Familienväter, einfache Arbeiter, die sich bewusst waren, dass sie persönlich alles aufs Spiel setzten und die doch bereit waren, für die Idee, die sie als wahr erkannt hatten und an deren endlichen Sieg sie alle unerschütterlich glaubten, in den Tod zu gehen ... als zum Schluss die Lage für die Besatzung unhaltbar geworden war, schlug einer ... folgendes Ultimatum vor: Entweder ihr gebt uns freien unbewaffneten Abzug oder wir schießen die Gefangenen nieder. Da erhoben sich alle anderen wie ein mann und erklärten, lieber ließen sie sich an die Wand stellen, als dass sie sich an wehrlosen Gefangenen vergriffen ... So sehen die gewissenlosen Mörder aus ... Ich aber erkläre, dass ich in der Gefangenschaft das größte Maß an Menschlichkeit, an Vollsein von einer Idee, an Brüderlichkeit und innerer Freiheit erleben durfte.“

 Eine Bestätigung dieses Vorganges gab der Major Stephani vor dem Untersuchungsausschuss (UdPL), als er sagte: „Einer dieser Offiziere (die im ,Vorwärts’ gefangen gewesen waren, H. R.) Hat dann von unseren Leuten furchtbare Prügel bekommen, weil sie gesehen hatten, wie er verschiedenen Spartakusleuten beim Fortgang die Hand schüttelte und sie das nicht begreifen konnten. Er hat den Leuten aber nur seinen Dank ausgesprochen, dass sie ihn gut behandelt hatten.“

 Bei den Kämpfen um das Mossehaus war die revolutionäre Jugend besonders aktiv beteiligt. „Die zentrale Kampfleitung der Jungen Garde war im Mossehaus stationiert. Die Jugendabteilung mag ungefähr fünfzig bis sechzig Mann stark gewesen sein. ... Sie hatte die Aufgabe, die Dächer des riesigen Verlagsgebäudes, die Spitze des Gebäudes, die Jerusalemer Straße-Dönhoffplatz, und die Fensterschluchten der ersten Etage in der Jerusalemer und der Schützenstraße zu verteidigen. Während der Besetzung hatten junge Schriftsetzer und Buchdrucker Flugblätter gesetzt, die sie dann in den anliegenden Straßen verteilten.“ Schon am 7. Januar begannen erste Gefechte. Der Kommandant Drach, einer der Spitzel, begann schon am 8. Januar die ersten Verhandlungen zur Übergabe des Mossehauses. Ebert und Scheidemann hatten bereits einen Vertrag ausgearbeitet, der die „ehrenvolle“ Behandlung der Kämpfer als Kriegsgefangene vorsah. Im Falle des Nichtzustandekommens der Übergabe drohte man mit schweren Minenwerfern, Gasgranaten und Flammenwerfern. Die Besatzung lehnte die Kapitulation einmütig ab. „Gegen die angekündigten Gas- und Flammenwerferangriffe hatten wir keine geeigneten Gegenmaßnahmen. An die Hydranten wurden die Feuerschläuche angeschraubt ... Gegen Gasangriffe sollten nasse Tücher ... einigermaßen schützen. Die geringe Gewehrmunition wurde in Patronengurte gedrückt, um wenigstens die Eingänge verteidigen zu können. Die Tore wurden fester verschlossen und schwere Eisenketten davor gelegt. Auch die Papierrollen am Eingang wurden dichter und höher geschichtet. ... Schließlich wurden alle Ausweise vernichtet, damit keine Unterlagen dem Gegner in die Hände fielen. ... Inzwischen wurde das Gebäude wie unsinnig von beiden Seiten beschossen ... Die wenigen Verteidiger standen in guter Deckung hinter Büchern und Aktenbündeln, die die Fensterbrüstungen ausfüllten, und sandten zuweilen einen gezielten Schuss auf die Angreifer. Eine schwere rote Portiere wurde heruntergerissen, an einem Fahnenmast befestigt und durch das zerschossene Fenster hinausgeschoben, um im nächsten Augenblick von Kugeln zerfetzt zu werden ... Das Abschießen und Einschlagen der Geschosse machte einen Höllenlärm. Ein bewaffnetes Auto, das in die Schützenstraße eingebogen war, wurde außer Gefecht gesetzt und die Mannschaften gefangengenommen. Verschiedene Angriffe wurden abgeschlagen. Unterdessen waren die Nachrichten von der Niederlage des ,Vorwärts’ eingegangen. Jetzt entstand die Frage, ob man warten solle, bis Scheidemann und Noske auch das Mossegebäude nach dem Vorwärtsbeispiel zusammenkartätscht“ hatten. In einer Beratung vertrat die Jugendgruppe den richtigen Standpunkt. Sie war für die Räumung des Gebäudes, ohne sich in Gefangenschaft zu begeben. „Es galt nicht, den Heldentod um jeden Preis zu sterben, sondern die Kräfte für bessere Gelegenheiten aufzusparen.“ Aber ein Teil der Soldaten, die noch an die Zusicherungen Ebert-Scheidemanns glaubten, wollten sich gefangengeben, eine kleine Gruppe wollte lieber sterben, als diese Position wieder zu räumen. Der Jugendgruppe aber gelang es fast vollzählig, über einen „bisher verborgen gehaltenen Seiteneingang, über doppelte Höfe, durch mit Kisten und Gerümpel verbarrikadierte Ausgänge nach der Zimmerstraße ins Freie“ zu gelangen. „Wir gingen einzeln und in Abständen und markierten geängstigte Kleinbürger ... Unser Trick war gelungen.“(35)

 Heftig umkämpft wurde auch der Ullstein-Verlag. Ein vom Roten Soldatenbund ausgeschickter Kurier überbrachte vom „Vorwärts“ die Meldung, dass sich die Besatzung des Gebäudes nicht mehr lange halten könne. Ein Befehl von dort besagte, dass das Gebäude zu räumen sei. Nach dem Fall des „Vorwärts“ zog sich die Besatzung des Ullstein-Hauses unter Mitnahme der Waffen über die Dächer erfolgreich zurück. Hier hatten die Arbeiter und Soldaten den Rat der KPD, die Waffen zu behalten, vorbildlich verwirklicht.

 Auch um das Wolffsche Telegraphenbüro und um den Büxensteinverlag fanden ernste Kämpfe statt. Die Reichsdruckerei und Scherl dagegen wurden kampflos den Regierungstruppen überlassen. Hier hatten Provokateure und Regierungstreue den entscheidenden Einfluss.

 Am Schlesischen Bahnhof fanden schon am 7. Januar Kämpfe statt. Die Arbeiter und die Matrosen der Volksmarinedivision hatten sich gemeinsam mit der Republikanischen Soldatenabwehr gegen die Angreifer mit Erfolg zur Wehr gesetzt. Zur Besatzung zählten auch zehn Frauen, die an den Kämpfen teilnahmen. Durch die in den Ecktürmen des Bahnhofs eingebauten MG konnten die Angriffe zurückgeschlagen werden. Danach sperrte die Besatzung den Stadt- und Fernbahnverkehr, um Militärtransporte von dieser Seite aus zu verhindern. Nach der Niederlage der Vorwärtsbesatzung zogen sich die Arbeiter und Soldaten aus dem Schlesischen Bahnhof zurück.

 Die Besetzung des Potsdamer und des Anhalter Bahnhofs währte nur kurze Zeit. Die Berichte darüber sind sehr spärlich und widerspruchsvoll.

 Um die Bötzowbrauerei haben wahrscheinlich keine Kämpfe stattgefunden. Hier befand sich eine Art Reservestellung der revolutionären Arbeiter. Die räume wurden meist zu Besprechungen ausgenutzt. Am 12. Januar räumten die Arbeiter das Gebäude und nahmen alle Waffen und Munition mit.

 Einen Zusammenhang zwischen den Einzelkämpfen (zum Beispiel Volksspeisehalle am Winterfeldplatz) und den Straßenkämpfen (zum Beispiel am Brandenburger Tor, in der wilhelmstraße) mit den eigentlichen Stützpunkten der Arbeiter und Soldaten habe ich nicht feststellen können. Wahrscheinlich handelt es sich hier um mehr oder weniger zufällige Zusammenstöße von kleineren Gruppen, die sich auf dem Marsch zu Sammelpunkten befanden.

 Der Anlass für die Kämpfe um die Pionierkaserne in der Köpenicker Straße und um das benachbarte Proviantamt war die Festnahme revolutionärer Soldaten durch die Pioniere. Eichhorn selbst schrieb dabei von 450 Gefangenen, die befreit werden sollten. Am 7. Januar um 15.30 Uhr zog ein großer Zug revolutionärer Arbeiter vor die Kaserne und forderte die sofortige Übergabe.  Da sich die Pioniere weigerten, kam es zu einem Feuerwechsel. Um 22,30 Uhr wurde ein Ultimatum gestellt, das die Pioniere wiederum ablehnten. Darauf eröffnete man das Feuer aus zwei Feldgeschützen, und nach zwölf Treffern ergab sich die Kaserne. Die Pioniere legten die Waffen nieder, durften aber im Gebäude bleiben. Die Arbeiter bezogen die Wachen. Die Gefangenen wurden befreit, die Waffen und Munition zum Polizeipräsidium transportiert. Gleichzeitig nahmen die Revolutionäre nach kurzem Kampf vom Proviantamt Besitz.

 Im Polizeipräsidium am Alexanderplatz hatten sich etwa 300 Arbeiter, Matrosen und ein Teil Sicherheitswehrsoldaten auf den Kampf vorbereitet. Die Mehrzahl der Sicherheitswehrsoldaten wechselte auf die Seite des neuen Polizeipräsidenten. Die Verteidiger aber verharrten in trotziger Verzweiflung und warteten, dass endlich irgend etwas geschehen müsse. Ein Gebäude nach dem anderen war gefallen. Die Nachrichten über die bestialische Behandlung der Vorwärtsbesatzung waren schon überall bekannt. Der Kommandant des Polizeipräsidiums, Braun, konnte sich aber zu nichts entschließen. In seinem Zimmer herrschte ein tolles Durcheinander. „Kundschafter bringen Nachrichten über die Weißen in Potsdam, ein anderer bringt Details über ein auszuhebendes Waffendepot. Ein Sicherheitsmann meldet, dass abermals zwei Maschinengewehre im Haus unbrauchbar gemacht wären. Alles geht mit allem zum Kommandeur Braun, der sich alles geduldig anhört, aber nichts veranlasst. Ausgenommen das Stück Brot, das er für einen Posten, der die Ausgabe verpasst hat, persönlich in der benachbarten Proviantkammer abschneidet,“ schrieb Karl Grünberg über seinen Aufenthalt im Präsidium.(36) Gerade hier, wo die Bewaffnung der Arbeiter außerordentlich günstig war, versagte die Leitung vollständig. Hier gab es Munition und Gewehre, Maschinengewehre, die an anderen Stellen so nötig gewesen wären. Von hier aus wäre auch eine Entlastung des „Vorwärts“ möglich gewesen, um dann gemeinsam einen geordneten Rückzug antreten zu können. Zumindest wäre nach dem Fall des „Vorwärts“ die Sicherung der Mannschaften und Waffen nötig gewesen, wie es auch bei Ullstein, Bötzow und im Schlesischen Bahnhof geschah. So begann am 12. Januar 1919 um 1.15 Uhr der angriff auf das Polizeipräsidium. Den Verteidigern standen zwei Geschütze zur Verfügung sowie dreißig Maschinengewehre, aber die Potsdamer Jäger und die „Maikäfer“ (Gardegrenadierregiment Kaiser Alexander von Russland) konnten dagegen vier Feldgeschütze (10,5 cm), fünf Feldhaubitzen größeren Kalibers, zwei Feldhaubitzen (7,5 cm) und zahllose sMG in Stellung bringen. Das stundenlange sMG-Feuer wurde vom Polizeipräsidium mit großem Erfolg beantwortet. Am Morgen bekamen es darum die Regierungstruppen mit der Angst zu tun, weil sie mit besseren Lichtverhältnissen einen größeren erfolg der Revolutionäre befürchteten. Darum eröffneten sie aus ihren schwersten Geschützen um 5.30 Uhr das Feuer. In einer Stunde gaben die 10,5-cm-Feldgeschütze 55 Schüsse ab. Während des Beschusses versuchte der Kommandant Braun zu verhandeln. Er wurde aber festgenommen und mit seinen Begleitern niedergeschossen. Nachdem der letzte Schuss abgegeben worden war, stürmten Handgranatentrupps aus dem U-Bahntunnel hervor und überraschten die zum Nahkampf noch nicht vorbereiteten Verteidiger. Wie im „Vorwärts“ wurden einige der Revolutionäre auf der Stelle erschossen und die Gefangenen mit Gewehrkolben geschlagen. Nur durch das energische Auftreten von Truppenteilen der Berliner Garnison gegen die mörderischen Regierungstruppen konnte ein weiteres großes Blutbad unter den wehrlosen Gefangenen verhindert werden.

Ein Auszug: Gewehre in Arbeiterhand. Heiner Rasmuss: Die Januarkämpfe 1919 in Berlin.
Verlag des Ministeriums für Nationale Verteidigung, Berlin 1956.

Anmerkungen
29. R. Müller, Der Bürgerkrieg in Deutschland, Berlin 1925, S. 35.
30. Ebenda.
31. Rosa Luxemburg, Ausgewählte Reden und Schriften in 2 Bänden, Bd. II, S. 683 f.
32. UdPL, C S. 8069. Siehe Quellen (Teil IV.).
33. W. Pieck, Reden und Aufsätze, Bd. I, S. 115 f.
34. Die „Post“, zitiert bei R. Müller, Der Bürgerkrieg in Deutschland, Berlin 1925, S. 62.
35. Ledebourprozess, Seite 179 f. Zeuge Appel. Siehe Quellen (Teil IV.).
36. „Rote Front“, K. Grünberg.

In Folge: „Ruhe“ und „Ordnung“ wieder in Berlin. Auswirkung und Gesamteinschätzung.


VON: HEINER RASMUSS, BEREITGESTELLT VON REINHOLD SCHRAMM


Bürgerkrieg in Deutschland: Konterrevolution - Monarchisten, Bourgeoisie und SPD-Führung - vs. Arbeiterklasse. (Teil IV)  - 03-09-10 21:24
Bürgerkrieg und Revolution in Deutschland: Konterrevolution und Sozialdemokratie vs. Arbeiterklasse. (Teil II)  - 31-08-10 21:07
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