Streit über kommunistische Planwirtschaft

19.12.20
TheorieTheorie, Debatte, TopNews 

 

Die „Rätekorrespondenz“ aus den 1930ern regt zu neuer Korrespondenz an

Von Sabrina Z.

Seit Ende 2020 liegt erstmals eine umfangreiche deutsche Edition der Texte vor, die die holländischen Rätekommunisten um Anton Pannekoek in den 1930er Jahren publizierten: „Internationale Rätekorrespondenz 1934 – 1937“, herausgegeben von Hans-Peter Jacobitz und Thomas Königshofen. Das Schweizer Untergrund-Blättle hat jüngst in seinem Marx-Dossier auf diese Neuveröffentlichung aufmerksam gemacht – und damit gleich neue Kommentatoren und Korrespondenten auf den Plan gerufen (siehe: https://www.untergrund-blättle.ch/dossiers/dossier-karl-marx-4520.html). Einige Websites haben die Debatte aufgegriffen, so dass mittlerweile an den (digitalen) Rändern einer Welt, in der Marktwirtschaft als die allergrößte Selbstverständlichkeit und jede Alternative als die pure Traumtänzerei gilt, über kommunistische Planwirtschaft diskutiert wird.

„Wie geht Planwirtschaft?“ hieß es etwa im genannten Marx-Dossier (9.12.20), wo die Marxsche Kritik des Gothaer Programms in Erinnerung gerufen wurde: Diese hatte ja gegen eine Sozialdemokratie, die auf dem Weg in den Reformismus war, in aller Deutlichkeit klargestellt, dass es der Arbeiterbewegung nicht um den Kampf für soziale Gerechtigkeit, für gerechte Verteilung und Herstellung wahrer Gleichheit zu gehen habe, sondern um die revolutionäre Änderung des Produktionszwecks. Hermann Lueer antwortete auf den Beitrag „Wie geht Planwirtschaft?“ im Marx-Dossier mit kritischen Anmerkungen (14.12.20). Andere Autoren fragen jetzt „Ist das Rätesystem eine Organisationsform mit Zukunft?“ und halten dem „Standpunkt des Rätekommunismus“ zugute, dass er „damals als einzige Strömung der Arbeiterbewegung die praktische Organisationskritik … und die theoretische, wie sie in den Schriften von Luxemburg etc. vorliegt, über das revolutionäre Moment hinaus, das 1921 in Europa erloschen war, weiterzutreiben versuchte“ (Klopotek 2020, 22). Oder man befasst sich heute mit der Suche nach Alternativen, so Albrecht Müller („Die Revolution ist fällig“, aber hallo), der schon einmal die Leser und Leserinnen der NachDenkSeiten zur Einreichung von Vorschlägen aufgefordert hat.

Natürlich waren die Positionen der alten Rätekommunisten, etwa die Kritik an Politik und Ökonomie in Sowjetrussland, bei linken Zirkeln schon länger bekannt. Zuletzt wurden etwa die aus diesem Kreis stammenden „Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung“ wiederveröffentlicht (Lueer 2018), was die Aufmerksamkeit auf die Alternative richtete, die die marxistische Kapitalismuskritik anzubieten hat (vgl. „Wohlstand für alle!“, https://neue-debatte.com/2020/06/07/wohlstand-fuer-alle/). Üblicherweise wird ja, sobald eine an Marx orientierte Kritik auftaucht, mit der entsprechenden Zuspitzung die Debatte beendet: „Kaum hat jemand einige Argumente gegen die Marktwirtschaft vorgebracht“, schreibt Lueer, „kommt die Frage, ob man denn tatsächlich Planwirtschaft wolle.“ Dass dies ein Unding ist, soll dabei seit dem Ende des Ostblocks felsenfest stehen!

Das Wirtschaftsleben – einfach unplanbar!

Wie es in ersten Kommentaren zur „Rätekorrespondenz“ hieß, ist das eine der entscheidenden Provokationen, die die Wiederveröffentlichung des bald hundert Jahre alten Diskurses liefert. Heutzutage weiß ja jedes Kind, dass ohne Moos nichts los ist, dass also, expertenmäßig gesprochen, eine „nicht-monetäre“ Gesellschaft ohne die grundvernünftigen Marktmechanismen nicht funktionieren kann. Dabei muss man nur vergessen, dass jeder Multi seine Betriebsabläufe minutiös – heute sogar interkontinental – bis zur letzten Schraube plant. Das funktioniert alles reibungslos und just in time, solange nicht ein heimtückisches Virus die wunderbaren Lieferketten durcheinander bringt. Aber das soll ja aufs Konto der Natur gehen und nichts mit der unübertrefflichen marktwirtschaftlichen Ordnung zu tun haben...

Betriebswirtschaftliche Planung – also geschenkt. Aber eins soll nicht gehen, nämlich Produktion und Verteilung der benötigten Güter so zu planen, dass die Konsumbedürfnisse des Produzentenkollektivs abgedeckt sind. Da weiß dann wieder jeder Bescheid, das lässt sich gar nicht machen. Erstens wegen der Menschennatur, der der Markt angeblich im Genom steckt, oder zweitens – eine Stufe tiefer – wegen der Havarie, die dem reale Sozialismus mit seiner eigenartigen, staatskapitalistischen Planung passiert ist. Natürlich müsste man zu dem Schiffbruch, den das realsozialistische System erlitten hat, einiges klarstellen: als erstes auf jeden Fall, dass es die kommunistischen Staatsparteien selber waren, die den Spielabbruch vornahmen, weil ihnen für ihr Staatsprogramm der marktwirtschaftliche Weg sinnvoller, d.h. ertragreicher erschien. Funktioniert hat das System dagegen jahrzehntelang (für den Westen sowieso viel zu gut) und für die Massen im ehemaligen Ostblock wird das jetzt rückblickend in vielen Fällen zu einer regelrechten Idylle.

An der Stelle könnte man aber auch auf etwas anderes hinweisen, nämlich darauf, dass es bereits vor hundert Jahren eine Kritik an dem Weg gab, den Sowjetrussland mit seinem „demokratischen Zentralismus“ und dem Staat des ganzen Volkes samt dazugehörigen Planungs- und Kontrollbehörden eingeschlagen hatte. Hier kann die neue Publikation zum Rätekommunismus vielleicht Nachhilfe leisten. Sie stellt vor allem die holländischen Vertreter dieser Richtung vor, wobei ein Kernpunkt der damaligen Debatten eben die Frage danach war, wie eine kommunistische Planwirtschaft zu organisieren sei. Mit dem Rätesystem war die Übernahme der Produktion durch die Arbeiter anvisiert, die die Leitung ihrer Angelegenheiten in die eigene Hand nehmen, sich gleichzeitig aber mit der Frage befassen müssten, wie sich auf dieser Grundlage eine gesamtgesellschaftliche Planung durchführen lässt.

Dies hielten die Rätekommunisten – anders als die Anarchisten – für notwendig und dafür gingen sie auf Marx zurück, der mit seiner „Arbeitswertlehre“ nicht nur eine Kritik des Kapitalismus, sondern auch einen Ansatzpunkt für rationale Wirtschaftsplanung in einer klassenlosen Gesellschaft geliefert hatte. Dies ist jetzt übrigens der Streitpunkt, der im genannten Marx-Dossier zur Sprache gebracht wurde. Daran entzünden sich immer noch Kontroversen. Peter Nowak hat im Freitag (https://www.freitag.de/autoren/peter-nowak/verein-freier-menschen-mit-marktwirtschaft) aufgespießt, wie Ex-Linke heutzutage ihren Frieden mit der Marktwirtschaft schließen, weil ihnen angeblich, nach langen Studien, endgültig klar geworden ist, dass eine kommunistische Planwirtschaft undurchführbar ist bzw. unvermeidlicher Weise in einer Diktatur enden muss. Dafür können sie dann viele Gewährsleute von Platon über den marktradikalen Friedrich August von Hayek bis – Überraschung! – Adorno aufbieten. Letzterer soll nämlich in seinen Frankfurter Vorlesungen während der Adenauerära festgestellt haben, dass „rationale Planung ihrem eigenen Wesen nach mit der Herrschaft verbunden ist“.

Vielleicht können die alten Debatten aus der Rätekorrespondenz heute wieder – wo mit der Corona-Krise der Bedarf nach einer verstärkten Planung des Wirtschaftsgeschehens an verschiedenen Stellen angemeldet worden ist – zum Nachdenken und zum Diskutieren anregen. Die Basis all solcher Überlegungen müsste natürlich die Frage sein, ob die Kritik der kapitalistischen Produktionsweise, wie sie Marx im „Kapital“ grundgelegt hat, zutrifft oder nicht. Dazu hier ein letzter Hinweis auf das genannte Marx-Dossier, in dem ebenfalls eine Übersicht zu aktuellen Auseinandersetzungen mit dem „Kapital“ erschienen ist: „Wofür steht Marx?“ (24.11.20), verfasst von Brend Tragen, der im Sommer 2020 bei Telepolis eine umfangreiche Diskussion zu dieser Frage angezettelt hat (Teil 1: „Der Kapitalismus schafft nützliche Güter“ https://www.heise.de/tp/features/Der-Kapitalismus-schafft-nuetzliche-Gueter-4873238.html; die erste Reihe wurde jüngst abgeschlossen, die Diskussionsreihe läuft z.Zt. noch).

 

Nachweise

Hans-Peter Jacobitz/Thomas Königshofen (Hg.), Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland), Internationale Rätekorrespondenz 1934 – 1937. Fulda 2020, ISBN 979-8551636052, 504 S., 13,16 Euro. (Kann über amazon.de bezogen werden.) Alle Texte der Rätekorrespondenz sind auch auf www.raetekommunismus.de nachzulesen.

Felix Klopotek, Schiere Notwehr – Ist das Rätesystem eine Organisationsform mit Zukunft? In: Konkret, Nr. 12, 2020, S. 20-22. (Von Klopotek ist für den Februar 2021 beim Schmetterling-Verlag das Buch „Rätekommunismus“ angekündigt.)

Hermann Lueer, Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung. Kapitalismuskritik und die Frage nach der Alternative, Band 3. Hamburg (Red & Black Books) 2018.

Sabrina Z.
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Website: i-v-a.net







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