Konsumverweigerung als politische Strategie?

05.06.14
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von Bruno Kern

Konsumverweigerung als politische Strategie?

Rezension: Otto Moralverbraucher - Vom Sinn und Unsinn des ethischen Konsumierens *

Liebe Leute, zum m.E. durchaus sehr anregenden Buch von Casper Dohmen* erlaube ich mir, einige Thesen beizusteuern, die ich vor einiger Zeit selbst zum Thema formuliert habe. Ich halte die Debatte für nicht unwichtig.

Beste Grüße Bruno Kern
Initiative Ökosozialismus

www.oekosozialismus.net

Konsumverweigerung als politische Strategie?

„Es ist nun Zeit für das amerikanische Volk, zur Normalität zurückzukehren und wieder das zu tun, was uns so sehr auszeichnet: arbeiten und einkaufen.“ (Condoleeza Rice einige Tage nach dem 11. September 2001)

These I:

Angesichts der Zangengriffkrise von immer knapper werdenden natürlichen Ressourcen (nicht nur der fossilen Energieträger) und der umfassenden Biosphärenkrise stehen die Industrieländer vor der Herausforderung, ihren Verbrauch an fossilen Energien und nicht erneuerbaren Ressourcen in möglichst kurzer Zeit drastisch (d.h. um mindestens 90%) zu reduzieren. Verbrauchsreduktionen in diesem Ausmaß können durch Effizienzsteigerungen und den Einsatz erneuerbarer Energien nur in einem bescheidenen Maß kompensiert werden. Das Potenzial für Effizienzsteigerungen ist grundsätzlich beschränkt und in den Industrieländern weitgehend ausgeschöpft. Effizienzsteigerungen unterliegen grundsätzlich dem Gesetz des sinkenden Ertrags. Erneuerbare Energien stehen nicht unbegrenzt zur Verfügung. Ihre Nutzbarmachung (Anlagen mitsamt entsprechender Infrastruktur) erfordert selbst einen erheblichen Energieeinsatz, der bislang auf fossiler Basis erfolgte. Nach Wegfall dieser Basis ist ihre „Lebensfähigkeit“ (N. Georgescu-Roegen) vielfach fraglich. Erneuerbar heißt eben nicht unerschöpflich.

Wir kommen um die Tatsache nicht umhin, dass wir in den Industrieländern unter dem Strich mit erheblich weniger Nettoenergie auskommen werden müssen.

Diese Situation wird in den Industrieländern unmittelbar den Alltag der Menschen, ihre Lebensgewohnheiten und viele Selbstverständlichkeiten des bisherigen materiellen Scheinwohlstands in Frage stellen.

Konsumkritik ist deshalb schlicht der nüchterne Blick auf die Realität.

These II:

Die uns bevorstehenden Knappheitsbedingungen sind weltweit betrachtet schon längst Realität. Bei uns treten sie nur deshalb zeitverzögert ein, weil sich hier mehr Kaufkraft konzentriert und weil wir erhebliche Ressourcen aus anderen Weltregionen abziehen. Wer die Frage der sozialen Gerechtigkeit national verkürzt, wer sich mit Blick auf die Armut hierzulande weigert, soziale Umverteilung international zu denken, oder gar die Armut hierzulande dazu benutzt, den eigenen materiellen Standard chauvinistisch zu verteidigen, läuft deshalb Gefahr, zynisch zu werden. Insofern sind selbstverständlich sogenannte „Bedürfnisse“ bei uns auf ihre Legitimität hin zu befragen. Kriterium dafür ist - wie seit Kant für jede Ethik - die Universalisierbarkeit. Ein Konsumverhalten, das nicht universalisierbar, verallgemeinerbar, ist, ist eben auch nicht legitim. Wer sich für gerechte internationale Beziehungen einsetzt, kommt allerdings nicht um die Feststellung umhin, dass dies unmittelbar Auswirkungen auf den Lebensstandard der Bevölkerungsmehrheiten bei uns haben wird. In diesem Sinne stellten dereinst die Grünen in ihrem Außenwirtschaftsprogramm aus dem Jahr 1990 fest: „Wenn der Welthandel verringert, ökologisiert und für die Völker der ‚Dritten Welt‘ gerechter gestaltet werden soll, muss sich bei uns die private Lebensführung gravierend ändern.“

Konsumkritik ist deshalb eine logische Konsequenz des Eintretens für gerechte Verhältnisse weltweit.

These III:

Die heute vermutlich gefährlichste Ideologie besteht darin, dass die Profiteure des kapitalistischen Systems den Menschen ein „Weiter so“ suggerieren. Einflussreiche Leute aus dem bürgerlichen (wie etwa Ernst Ulrich von Weizsäcker) und ebenso aus dem linken Lager stellen explizit das Dogma auf, dass „unser Wohlstand“ nicht hinterfragt werden darf. Ausgehend von dieser Prämisse streuen sie infantile Technikfantasien. Die Ideologie der Wohlstandssicherung mit anderen technischen Mitteln ist deshalb so gefährlich, weil sie auch große Teile der sozialen Bewegungen und politisch engagierter Menschen erfasst hat, weil sie uns deshalb lähmt und uns davon abhält, das wirklich Notwendige in Angriff zu nehmen. Konsumkritik ist deshalb die heute am dringendsten geforderte Form der Ideologiekritik.

These IV:

Wie oben erwähnt, stehen die Industrieländer vor tiefgreifenden Veränderungen. Die Herausforderung für uns wird darin bestehen, einem chaotischen Hereinbrechen von Entwicklungen vorzubeugen und den Veränderungsprozess bewusst zu gestalten. Dabei spielt die Frage der sozialen Gerechtigkeit eine herausragende Rolle. Wir haben aber als überzeugte Demokratinnen und Demokraten den Anspruch, dass politische Maßnahmen nicht einfach autoritär verfügt werden, sondern von einer Mehrheit der Menschen aktiv mitgetragen werden. Ein wichtiger Teil unserer politischen Auseinandersetzung wird deshalb darum gehen müssen, Köpfe und Herzen der Menschen zu gewinnen, sie auf das Bevorstehende vorzubereiten, darin Perspektiven eines guten Lebens aufzuzeigen und alles zu unterstützen, wodurch die Menschen ihre Daseinsmächtigkeit zurückgewinnen. Das alles wird aber so lange nicht gelingen, so lange die Menschen weiterhin der Illusion aufsitzen, dass der jetzige materielle Scheinwohlstand mit anderen Mitteln fortgesetzt werden kann. Wenn wir die Menschen - und uns selbst - nicht auf den Abschied von dieser Konsumgesellschaft vorbereiten, steht sogar zu befürchten, dass die Reaktionen auf die unweigerlich auf uns zukommenden Veränderungen gefährliche faschistische Züge annehmen, dass die Menschen die Art von Wohlstand, die sie als ihr „gutes Recht“ empfinden, gegen andere verteidigen etc.

Konsumkritik ist deshalb ein wichtiger Aspekt des Kampfes um Demokratie.

These V:

Es liegt die Vermutung nahe, dass viele unserer politischen Kämpfe gerade deshalb zu schwach und zu wenig erfolgreich waren, weil wir unsere eigene Einbezogenheit als Subjekte in das, was wir bekämpften, nicht genügend bedachten und daher anfällig waren für illusionäre Versprechungen, Scheinlösungen etc. Wir haben uns z.B. mutig und fantasievoll gegen die Zumutungen der Atomlobby und ihrer willigen politischen Vollstrecker gewehrt (im Übrigen nicht völlig erfolglos), aber weitgehend, ohne die Konsequenzen unserer politischen Forderungen für uns mitzureflektieren und die Bereitschaft zu entwickeln, sie auch zu tragen. Wir haben uns stattdessen einreden lassen, dass wir auch ohne Atom- und Kohlekraftwerke dieselben Strommengen zur Verfügung haben, dass wir auf keine der Segnungen verzichten müssen, die nur um den Preis eines hohen Stromverbrauchs zu haben sind. Damit wurden unsere politischen Kämpfe halbherzig und unsere Argumente unglaubwürdig und leicht zu widerlegen. Politische Auseinandersetzungen von grundsätzlicher Art, die Durchhaltevermögen und einen erheblichen persönlichen Einsatz erfordern, lassen sich vermutlich ohne ein Mindestmaß an Authentizität nicht bestehen.

Konsumkritik ist eine wesentliche Voraussetzung für die Durchschlagskraft unserer politischen Kämpfe.

These VI:

Konsumkritik ist nicht einfach mit dem Appell an einzelne Individuen zur entsprechenden Verhaltensänderung gleichzusetzen. Letztere ist sehr differenziert in ihren Möglichkeiten und Grenzen zu betrachten. Zunächst gilt es natürlich, den Adressaten dabei im Auge zu haben. An Menschen, die aufgrund ihres Einkommens kaum über entsprechende Verhaltensspielräume verfügen, Verzichtsappelle zu richten, ist unsinnig bis zynisch. Grundsätzlich darf auch nicht die Erwartung geschürt werden, als wäre ein verändertes Konsumverhalten der Schlüssel zur Überwindung des Systems schlechthin. Es stellt eine tendenzielle Überforderung von Individuen dar, ihrem Verhalten die ganze Last dessen aufzubürden, was bestehende Strukturen erzeugen. Die Reichweite des verändernden Potenzials des eigenen Verhaltens ist begrenzt. Dies alles in Rechnung gestellt, sind Ansprüche an das eigene Verhalten dennoch nicht unsinnig. Es gibt dafür auch erhebliche Spielräume. Keine Struktur zwingt mich etwa dazu, in meinem Urlaub nach Mallorca zu fliegen.

Eine Änderung des Konsumverhaltens formulieren wir jedoch nicht in erster Linie als Aufforderung an isolierte Einzelne, sondern als Ermutigung, Solidarstrukturen und Räume zu schaffen, in denen sich Menschen dem kapitalistischen Kreislauf von Produktion und Konsum wenigstens teilweise entziehen, „Daseinsmächtigkeit“ zurückerlangen und Lebensqualität jenseits des Konsumierens materieller Güter entdecken können.

Konsumkritik ist nicht in erster Linie individueller Anspruch, sondern eine kollektive Aufgabe.

These VII:

Sofern sich Konsumkritik als eine politische Strategie der Konsumverweigerung artikuliert, kann sie eine wichtige, möglicherweise entscheidende Erweiterung unseres Arsenals an Protestformen werden und politische Durchschlagskraft entwickeln. Unsere Formen des Protests und des politischen Kampfes umfassten in den letzten Jahrzehnten im Wesentlichen Folgendes: Demonstrationen, Unterschriftensammlungen, das Organisieren von Veranstaltungen wie Kongressen, Konferenzen, Hearings, Tribunalen etc., die hauptsächlich darauf abzielten, Öffentlichkeit herzustellen und aufzuklären. Darüber hinaus entwickelten sich Formen kalkulierter Regelverletzung, des zivilen Ungehorsams bis hin zu militanten Aktionsformen, die unter erheblicher persönlicher Risikobereitschaft darauf abzielten, den Preis für die Durchsetzung eines Projektes möglichst zu erhöhen. Bei nüchterner Betrachtung handelten wir uns gemessen an dem, was wir wollten bzw. was dringend erforderlich wäre, hauptsächlich Ohnmachtserfahrungen ein.

Unter „Konsumverweigerung“ verstehen wir eine von wesentlichen politischen Akteuren (Verbänden, ...) getragene, langfristig angelegte Kampagne, die anhand von ausgewählten Schwerpunkten den notwendigen Ausstieg aus unserer Konsumgesellschaft verdeutlicht. Es wäre also mehr als ein Appell an Einzelne und mehr als eine Boykottbewegung, die lediglich ein bestimmtes, eingrenzbares Problem im Fokus hat. Die aktuelle Situation könnte einen guten Anknüpfungspunkt bieten: Angesichts der Forderung nach einem raschen Atomausstieg wird das Dilemma immer deutlicher, dass der Preis dafür die Inkaufnahme von mehr Treibhausgasen ist - ein Preis, den hauptsächlich andere mit ihrem Leben bezahlen. In dieser Situation könnte eine Konsumverweigerungskampagne die Forderung nach radikaler Verbrauchsreduktion wirkungsvoll unterstützen.

Die mögliche Wirkung könnte unter anderem sein:

  • Eine Überwindung von Ohnmachtserfahrungen vieler Menschen und die Einbindung breiter Kreise, denn: Der Verzicht in diesen Bereichen ist sofort umsetzbar und zeitigt unmittelbare Wirkung.
  • Eine politische Signalwirkung: Die unhaltbaren Wohlstandsversprechen, die ausnahmslos alle derzeit im Bundestag vertretenen Parteien unverantwortlicherweise propagieren, werden damit delegitimiert, bzw. umgekehrt wird eine Politik ermutigt, die sich nicht mehr scheuen muss, den Menschen die Wahrheit zuzumuten.
  • In vielen Bereichen ist Konsumverweigerung von der Natur der Sache her die adäquate Artikulation von Protest. Es nimmt sich einigermaßen lächerlich aus, gegen dioxinverseuchte Lebensmittel oder Fluglärm eine Demonstration zu veranstalten. Was wir hier wollen, wird am deutlichsten dadurch demonstriert, dass wir uns entsprechend verhalten und andere zu diesem Verhalten ermutigen.
  • Vor allem aber wäre eine solche Konsumverweigerungsbewegung ein gutes Instrument der Bewusstseinsbildung und Aufklärung. Die Bevölkerung wäre dadurch gezwungen, sich mit dem auseinanderzusetzen, was unweigerlich auf uns alle zukommt: dass die mit der wegbrechenden Industriegesellschaft verbundenen Konsumansprüche sich demnächst in Dunst auflösen.

Konsumkritik birgt vor allem in Gestalt einer politischen Konsumverweigerungsbewegung die Chance, die von uns als notwendig erachteten Veränderungen entscheidend mit voranzubringen.

Zu klären wären hierfür vor allem folgende Fragen:

  • Auf welche Themen könnte sich eine solche Konsumverweigerungsbewegung konzentrieren?
  • Welche wesentlichen Akteure könnten sie tragen?
  • Welche Anknüpfungspunkte gibt es bereits?

Zu den Themen scheint mir eine Konzentration auf die beiden „F“, den Flugverkehr und den Fleischkonsum, sehr sinnvoll, weil dies in Bezug auf den Klimawandel zwei ganz zentrale Problemfelder sind. In Bezug auf den Flugverkehr bieten sich als Anknüpfungspunkte z.B. die vielen lokalen Initiativen gegen Fluglärm und Flughafenerweiterungen an. Als tragende Kräfte einer Konsumverweigerungsbewegung wären wohl all diejenigen Initiativen, Bewegungen, Verbände etc. anzusehen, die heute immer noch - gegen den Mainstream - den Mut haben, von „Suffizienz“ zu sprechen. Dazu zählt immerhin ein so einflussreicher Umweltverband wie der BUND. Auch der wachstumskritische Diskurs innerhalb der evangelischen Kirche, die „Erd-Charta“-Initiativen etc. könnten erfolgversprechende Anknüpfungspunkte bieten.

Mainz, 15. 5. 2013

* Die Grenzen ethischen Konsums-
Von Bernd Hüttner

Wirtschaftsjournalist Caspar Dohmen setzt sich kritisch mit alternativem Einkaufsverhalten auseinander

Neue Konsumstrategien sind wichtig, können aber globale Verteilungs- und Machtfragen nicht lösen. Caspar Dohmen bietet in seinem Buch »Otto Moralverbraucher« Denkansätze und Argumente.

Spiegel, Schirme, Uhren oder Keramik sind heute Alltagsgegenstände. Das ist darauf zurückzuführen, dass es eine Massenproduktion von Konsumgütern gibt und der Anteil des Einkommens, der für Nahrung ausgegeben wird, seit Ende des 19. Jahrhunderts stetig sank. Die Schattenseiten sind ebenfalls bekannt: Der Verbrauch der Privathaushalte hat sich seit 1960 vervierfacht, in Deutschland gibt es 60 Millionen Plätze in Hühnerställen und die Produktion von 100 Gramm Rindfleisch verbraucht 35 Badewannen Wasser. In Folge der Sozialrevolte der 1960er hat sich eine Konsumkritik etabliert, deren hauptsächliche (Gegen-)Strategien der Wirtschaftsjournalist Caspar Dohmen in seinem Buch »Otto Moralverbraucher« historisch herleitet und kritisch debattiert: Boykott und fairer Handel...

weiter hier:
www.nd-online.de/artikel/934625.html

 


VON: BRUNO KERN






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