Antwort auf den Leserbrief von A. Holberg v. 31.7. zum Israel/Palästina-Konflikt

05.08.17
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Von systemcrash und TaP

Am 29.07.2017 (Samstag) berichtete systemcrash über eine kritische Veranstaltung der Freien Arbeiterinnen- und Arbeiterunion (FAU) Berlin zu der Israel-Boykottkampagne BDS (Boycott, Divestment and Sanctions) und nahm dies zugleich zum Anlaß für einige  grundsätzliche Anmerkungen zum Israel/Palästina-Konflikt. Darauf antwortete wiederum A. Holberg am 31.07.17 (Montag) im Rahmen eines Leserbriefs mit einem formalen Hinweis und zwei inhaltlichen Einwänden.

1. Holbergs formaler Einwand bezieht sich auf ein Zitat aus einem seiner früheren Artikel  zum gleichen Thema, das systemcrash angeführt hatte: „mein damaliger Artikel bezog sich auf eine Kundgebung in Bonn und war – auch – deshalb weit von einer umfassenden Behandlung des Palästinakonflikts entfernt.“ Dies ist zutreffend.

Trotzdem scheint uns dieses Zitat („dass der Zionismus in der historischen Praxis ein Siedlerkolonialismus ist und seine Bluttaten seit 1948 die notwendige Folge dessen sind, dass die Palästinenser nicht akzeptieren können, dass sie vertrieben und unterdrückt wurden und weiter werden.“), auf das wir gleich noch inhaltlich eingehen werden, für den „antizionistischen“ Diskurs durchaus typisch zu sein.

2. In inhaltlicher Hinsicht ergänzte A. Holberg die Ausführungen in seinem alten Artikel nun um einen Hinweis auf Isaac Deutscher:

„Hinzuzufügen wäre an dieser Stelle der Hinweis auf eine Äußerung des trotzkistischen Autors Isaac Deutscher, der in seinem Buch ‚Die ungelöste Judenfrage – Zur Dialektik von Antisemitismus und Zionismus’ (engl.: Oxford, 1968; dtsch.: Berlin, 1977) sinngemäß schrieb, dass die Tragik darin bestehe, dass die europäischen Juden von den europäischen Antisemiten – an deren Spitze die deutschen Faschisten – gewissermaßen aus dem Fenster geworfen worden und den Palästinensern auf den Kopf gefallen seien.“

Dieses Zitat fügt dem alten Artikel freilich gar kein neues Argument hinzu, sondern drückt die gleiche These („Siedlerkolonialismus“; Vertreibung und Unterdrückung der PalästinenserInnen) nur etwas blumiger und verständnisvoller aus („dass die europäischen Juden von den europäischen Antisemiten [...] gewissermaßen aus dem Fenster geworfen worden und den Palästinensern auf den Kopf gefallen“) – verständnisvoller, insofern, als der europäische Antisemitismus als Vorgeschichte der jüdischen (Re)Migration nach Palästina erwähnt wird.

Zu dieser Rede von den PalästinenserInnen als Folge-Opfern des europäischen Antisemitismus ist zunächst einmal ganz grundsätzlich festzustellen:

a) Linke aller Couleur verteidigen das Asylrecht für Verfolgte; viele Bewegungslinke und auch einige trotzkistische Gruppen agitieren heutzutage darüber hinaus auch mit den Parolen „Offene Grenzen“ und „Bleiberecht für alle“; einigen Gruppen fordern darüber hinaus „volle Staatsbürgerrechte für MigrantInnen“[1] (anscheinend unabhängig von einer Einbürgerung).

b) Juden und Jüdinnen war Schutz vor Verfolgung zu geben, und ihnen ist – angesichts des weiterhin grassierenden Antisemitismus – auch heute Schutz zu gewähren. Jüdische Einwanderung bedeutet – wie Einwanderung überhaupt – nicht, daß irgendjemandem irgendetwas oder irgendwer auf den Kopf fällt! Genauso wenig, wie heute das deutsche „Boot“ voll ist, war am Ende des 19. Jh.s und in der ersten Hälfte das palästinensische „Boot“ voll (s. Anhang 1).[2] Insofern überzeugt uns folgende These aus A. Holbergs Leserbrief in keiner Weise: „Der ‚Siedlerkolonialismus’, der dem zionistischen Projekt unvermeidlich innewohnt, ist auf die (potentielle) Ersetzung der einheimischen – arabischen – durch eine – wie auch immer definierte – ‚jüdische’ Bevölkerung gerichtet, […].“ (unsere Hv.)

c) Die jüdische (Re)Migration nach Palästina erfolgte nicht durch militärische Eroberung und war – jedenfalls zunächst – auch nicht vom europäischen Kolonialismus gedeckt. Bis zur Zeit des I. Weltkrieges gehörte Palästina zum Osmanischen Reich. (Auch das anschließende britische Völkerbunds-Mandat für Palästina folgte nicht dem klassischen Modell des europäischen Kolonialismus, sondern war von Anfang mit dem – allerdings eurozentristisch-paternalistisch überdeterminierten – Anspruch bzw. Auftrag verbunden, die „so genannten ‚Mandatsgebiete’ […] auf die Unabhängigkeit vorzubereiten.“[3] Weit davon entfernt die jüdische Migration nach Palästina zu fördern, versuchte die britische Mandatsmacht während der Herrschaft des Nationalsozialismus die Einwanderung sogar zu begrenzen.[4])

Die jüdische (Re)Migration erfolgte vielmehr durch Landkauf, zu dem die Verkäufer auch nicht gezwungen wurden, sondern die zumeist im europäischen Ausland lebten und von steigenden Grundstückspreisen profitierten (Anhang 2). Die Hagana (paramilitärische, zionistische Untergrundorganisation in Palästina) wurde dagegen erst in Reaktion auf ein anti-jüdisches Pogrom im April 1920 aufgebaut.[5]

d) Trotz Verfolgung und Vertreibung von Juden und Jüdinnen insbesondere während der römischen Herrschaft in Palästina und teilweise auch während der nachfolgenden muslimischen Herrschaft, gab es in Palästina auch vor der jüdischen (Re)Migration (nahezu) durchgängig jüdische Bevölkerung (Anhang 3).

e) Es ist von A. Holberg weder ein Argument dargetan noch ist ansonsten ein Argument ersichtlich, warum dem Zionismus – anders als allen anderen Nationalbewegungen – des 19. und 20. Jahrhunderts hätte verwehrt werden sollen, einen eigenen Nationalstaat zu gründen, soweit Willen und Macht dafür ausreichten. Uns sind nicht einmal linke Positionen bekannt, die das vorkommunistische Existenzrecht der heutigen amerikanischen Staaten, Neuseelands und Australiens bestreiten – obwohl diese Staaten nun tatsächlich aus einer völkermörderischen Kolonialpraxis entstanden.

f) Jedenfalls aus leninistische Sicht kann wohl kein Zweifel bestehen, daß sowohl der arabischen als auch jüdischen Bevölkerung in der Region ein Recht auf Lostrennung sowohl gegenüber dem Osmanischen Reich als auch der britischen Mandatsmacht zustand bzw. zustehen sollte: „Anerkennung des Rechts auf Lostrennung für alle; Bewertung jeder konkreten Frage einer Lostrennung unter einem Gesichtspunkt, der jede Rechtsungleichheit, jedes Privileg, jede Exklusivität ausschließt.“ (LW 20, 415 – das Wort „alle“ in dem Zitat bezieht sich nicht speziell auf Palästina, sondern auf alle Nationen).

g) Zumal nach dem Aufstieg des Nationalsozialismus in Deutschland und der Shoa erfolgte die Neu-Gründung des Staates Israel aus einem berechtigten Bedürfnis der jüdischen Bevölkerung nach Schutz. Sicher kann darüber gestritten werden, ob eine Staatsgründung dafür das richtige Mittel ist. Jüdischen und nicht-jüdischen KommunistInnen (und auch nicht-jüdischen Menschen überhaupt) ist unbenommen, dazu eine Meinung zu haben; aber die Entscheidung, ob sie sich lostrennen und einen eigenen Staat gründen wollen (oder nicht), lag bei den TrägerInnen des Rechts auf Lostrennung – der jüdischen Bevölkerung in Palästina.

h) Selbst diejenigen, die alles bisher Ausgeführte anders sehen als wir, dürften jedenfalls nicht bestreiten, daß der Staat Israel nunmehr seit 69 Jahren ein Fakt ist; und MarxistInnen sind keine RevanchistInnen, sondern suchen Lösungen für eine (bessere) Zukunft.

Vor allem, wenn eine „internationalistische“ Lösung (d.h.: bi-nationale 1-Staaten-Lösung) gesucht bzw. vorgeschlagen wird, ist die Anerkennung des Selbstbestimmungsrecht der jüdischen Israelis aus unserer Sicht zentral – das heißt: Eine 1-Staaten-Lösung muß nach leninistischer Auffassung auf Konsens beruhen und darf nicht erzwungen werden (s. die Akzeptierung der bürgerlichen Lostrennung Finnlands von Sowjetrußland[6]).

3. Außer dem Hinweis auf Deutscher führt A. Holberg in seinem Leserbrief folgendes aus:

„die Anerkennung der ‚Nation israelischer Juden’ und ihres nationalen Selbstbestimmungsrechts setzt die Nichtanerkennung des nationalen Selbstbestimmungsrechts der schon zuvor präsenten arabischen Bevölkerung Palästinas voraus. Sie ist nur vertretbar im Rahmen eines – sagen wir – ‚zynischen’ Geschichtsverständnisses, das dahin geht, dass Vertreibung, Unterjochung, ja sogar Ausrottung ansässiger Bevölkerungen seit eh und je vorkamen.“

Wir haben gegen diese Argument bzw. diese Sichtweise zwei Einwände:

a) Es ist aber gerade der bisherige Verlauf der gesamten bekannten Menschheitsgeschichte, daß es in ihr immer wieder zu Vertreibung, Unterjochung, ja sogar Ausrottung ansässiger Bevölkerungen kam – und der Umgang Israels mit den PalästinenserInnen ist in diesem Rahmen ein ausgesprochen konzilianter (keine Ausrottung; ‚bloß’ örtlich und zeitlich begrenzte Verteibungen; vielmehr eine beständig wachsende palästinensische Bevölkerung sowohl in den besetzten Gebieten als auch in Israel selbst; gleiche staatsbürgerliche Rechte für die PalästinerInnen in Israel[7]; allein Nicht-Anerkennung des Staates Palästina und Verweigerung des Rückzugs aus den 1967 besetzten Gebieten[8]). Tatsächlich mag es ein Ausdruck des „Zynismus“ der Macht sein, solche Nationalstaaten auch „anzuerkennen“; aber MarxistInnen sind RealistInnen, und es gibt jedenfalls keinen Grund allein Israel von dieser Anerkennung auszunehmen. Selbst Deutschland wurde nach dem II. Weltkrieg nicht auf seine Nachbarstaaten bzw. unter den Siegermächten aufgeteilt, sondern nur zeitweilig besetzt und militärverwaltet; die Bundesrepublik sieht sich (nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts) weiterhin nicht (nur) – was unvermeidlich sein dürfte – als Rechtsnachfolgerin, sondern als „teilidentisch“ mit dem Deutschen Reich, das bis 1945 existierte (und nicht als neuer Staat).

Jener Sonder-Standard, der allein an Israel angelegt wird, befremdet uns doch sehr.

b) Außerdem ist es gar nicht ausgemacht, dass die Anerkennung des israelisch-jüdischen Selbstbestimmungsrecht das gleiche Recht für die PalästinenserInnen ausschließt. Warum sollten nicht beide Selbstbestimmungsrechte realisierbar sein – sei es im Rahmen einer konsensuellen 1-Staaten- oder einer Israel abzuringenden 2-Staaten-Lösung? Eine konsensuelle 1-Staaten-Lösung setzt freilich einen scharfen antichauvinistisch-internationalistischen Kampf statt (einseitiger) Parteinahme für einen der beiden Nationalismen voraus.

Wir verstehen nicht, wie Du selbst einen „konsensuellen Binationalismus“ präferieren kannst, ohne zugleich das Selbstbestimmungsrechte der jüdischen Israels anzuerkennen. Die Selbstbestimmung – d.h.: das Recht, sich loszutrennen bzw. losgetrennt zu bleiben (d.h.: das Lostrennungsrecht auszuüben oder aber nicht in Anspruch zu nehmen) – ist doch gerade die Voraussetzung, um ggf. zu einer konsensuellen 1-Staaten-Lösung zu gelangen. (Zumindest, falls Du Dich als Leninist verstehst – was uns nicht unwahrscheinlich erscheint, da Du einen „trotzkistischen“ Background zu haben scheinst – dürfte Dir dieser Gedanke doch nicht unvertraut sein.)

Auch Matzpen (eine sich als antizionistisch verstehende, 1962 gegründete Partei, deren Reste bis in die 1980er hinein existierten) basierte ihren „Antizionismus“ gerade auf einer Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts beider Nationen:

„Diese fehlende revolutionäre Politik brachte eine Gruppe von Mitgliedern dazu, im Jahr 1962 die Maki [Israelische Kommunistische Partei] zu verlassen und die Israelische Sozialistische Organisation zu gründen, besser bekannt unter dem Namen ihrer Zeitschrift Matzpen (Kompass). Die Matzpen-Gruppe übernahm die Maki-Positionen zu den Rechten des palästinensischen und des israelischen Volks auf Selbstbestimmung. Sie räumt dem antizionistischen Kampf Vorrang ein und ordnet dem alle anderen Fragen unter, Fragen wie der wirtschaftliche Kampf der Arbeiterklasse.“[9]

Auch wenn wir unsererseits die Unterordnung des Klassenkampfes unter den „antizionistischen Kampf“ nicht teilen, so scheint uns doch zumindest eines klar zu sein:

Das „Recht des palästinensischen und des israelischen Volks auf Selbstbestimmung“ anzuerkennen, heißt: Eine 1-Staaten-Lösung ist nicht zu erzwingen (weder durch Gewalt noch durch wirtschaftlichen Druck), sondern ist Sache eines zu erzielenden Konsenses.

Die politische Position einer längst nicht mehr existierende Kleinpartei (Matzpen) kann nicht die Zustimmung des „israelischen Volkes“, d.h. der Mehrheit der jüdisch-israelischen Bevölkerung – wenn es sich zugleich um eine sozialistische Lösung handeln soll: der jüdisch-israelischen Lohnabhängigen – ersetzen.

Eine Zwangsvereinigung würde dagegen – jedenfalls nach leninistischer Auffassung – sofort wieder das Lostrennungsrecht aufleben lassen, da es sich bei einer Zwangsvereinigung schon um einen Akt der „nationalen Unterdrückung“ handeln würde, ohne daß weitere Diskriminierungen hinzukommen müssen.

PS.:

Für eine ausführlichere Darlegung unserer Position zum Israel/Palästina-Konflikt möchten wir auf unsere gemeinsam mit Peter Nowak verfaßten Texte hinweisen:

Sind die Grenzen des revolutionären Konsenses

erst bei Antisemitismus überschritten?

http://www.trend.infopartisan.net/trd0416/t1010416.html; https://linksunten.indymedia.org/de/node/177137

(vom 28.04.2016)

Noch einmal @ Bündnispolitik, Israel-Kritik und Antisemitismus

http://scharf-links.de/48.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=55968&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=d48e2c3d77

(vom 11. Mai 2016)

Wer sind „die Palästinenser*innen“?

Zur Kritik des anti-leninistischen „Volks“-Diskurses

http://www.scharf-links.de/44.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=61688&tx_ttnews[backPid]=56&cHash=8dccbe135f

(vom 01. August 2017)

Anhang 1:

1881 lebte nicht einmal eine halbe Million Menschen in Palästina; heute leben allein schon in den palästinensischen Autonomiegebieten im Gazastreifen und im Westjordanland über 4,5 Millionen Menschen; weitere 1,7 Millionen AraberInnen und 6,6 Millionen Menschen anderer Nationalitäten leben heute in Israel; weitere gut 500.000 Menschen in den jüdischen Siedlungen im Westjordanland.[10] Zuwanderung war also kein prinzipielles Problem; Palästina konnte zweifelsohne dichter besiedelt werden, als es vor 125 Jahren war.

Die von der PLO für den palästinensischen Staat beanspruchten Gebieten (Gazastreifen und das gesamte Westjordanland [also nicht nur die Autonomiegebiete]) haben bei einer Fläche von 6.220 km² eine Bevölkerungsdichte von 723 Personen/ km²; nicht nur die sehr kleinen Stadtstaaten Monaco und Vatikanstaat haben eine deutlich höhere Bevölkerungsdichte, sondern z.B. auch der – größere – Stadtstaat Singapur (1 Mio. mehr EinwohnerInnen als Palästina, aber nur 697 km²) und der Flächenstaat Bangladesch (1.114  Personen/ km² bei einer Fläche von 143.998 km²).

Eine nur etwas geringere Bevölkerungsdichte als Palästina haben Taiwan und der Libanon (653 bzw. 596 EinwohnerInnen/km²), obwohl beide – mehr als nur etwas – größer sind als Palästina.[11]

Die Metropolenregion Tokio ist mehr als doppelt so großer wie Palästina, hat aber mehr als 8-mal soviel EinwohnerInnen. Die Metropolenregion Kairo ist etwas kleiner als Palästina (5.360 km²), aber hat deutlich mehr EinwohnerInnen (20,4 Mio.);[12] Z.B. die Metropolenregionen Teheran und Rhein-Ruhr sind größer und dichter besiedelt als Palästina.[13] Also noch einmal: Einwanderung nach Palästina war kein prinzipielles Problem.

Anhang 2:

„Bereits vor Beginn des Ersten Weltkriegs hatte der Nationalfonds Keren Kajemet LeIsrael begonnen, Land in Palästina zu kaufen, das zum größten Teil zum Besitz meist im Ausland lebender arabischer Großgrundbesitzer gehörte. Die auf der ganzen Welt durch den Nationalfonds gesammelten Spenden wurden von der Jewish Agency verwaltet, die maßgeblich die Einwanderung nach Israel organisierte und den Aufbau eines Erziehungs- und Gesundheitswesens betrieb. Der vielmals erhobene Vorwurf, jüdische Siedler hätten das Land unrechtmäßig erworben und es handele sich um ‚zionistischen Siedlungskolonialismus’, erweist sich dabei als nicht haltbar – schließlich wurden die arabischen Großgrundbesitzer keineswegs zum Verkauf gezwungen, sondern sie waren aufgrund der seit Jahrhundertbeginn stetig steigenden Landpreise geradezu motiviert zur Abgabe ihres Besitzes.“[14]

Vgl.:

  • „Bis 1948 betrieb er [der Jüdische Nationalfonds] vor allem den Landerwerb für jüdische Siedler im britischen Mandatsgebiet Palästina, gestützt auf finanzielle Hilfe durch die jüdischen Gemeinden weltweit.“[15]
  • „JNF holdings by the end of the British Mandate period amounted to 936 km².[14] By 1948, the JNF owned 54% of the land held by Jews in the region,[15] or a bit less than 4% of the land in what was then known as the British Mandate of Palestine. By the eve of statehood, the JNF had acquired a total of 936,000 dunums of land;[17] another 800,000 dunums had been acquired by other Jewish organizations or individuals.[18]“[16]

1 Dunum entsprach in Palästina in etwa 900 m²; 1 km² sind 1.000.000 m². Das britische Mandatsgebiet umfaßte auch das heute Jordanien.[17]

Anhang 3:

Unter dem römischen Kaiser Hadrian war der „letzte jüdische Aufstand in Israel gegen die römische Herrschaft (Bar-Kochba-Aufstand) [...] 135 n. Chr. niedergeschlagen“  und die jüdische Bevölkerung weitgehend, aber nicht vollständig „über die ganze Welt verstreut“ worden[18]; auch bei Beginn der muslimischen Herrschaft in der Region im 7. Jh. gab es dort noch jüdische Bevölkerung: „Die Muslime verhielten sich recht tolerant gegenüber gewissen Religionsgemeinschaften wie den Nestorianern, den Jakobiten und Juden (Anhänger der Buchreligionen), die vorher von den Oströmern/Byzantinern teilweise verfolgt worden waren.“[19]

In Jerusalem gab es bis Anfang des vorigen Jahrtausends ein jüdisches Viertel, auf dessen Zerstörung bereits 1267 der Aufbau eines neuen jüdischen Viertels folgte, das seinerseits erst 1948 von arabischen Kräften zerstört wurde: „Die Juden lebten bis in die Kreuzfahrerzeit hinein im Nordosten der Stadt. Dieses Viertel wurde nach der Eroberung Jerusalems aber vollständig zerstört. Nachdem der sephardische Rabbi Nachmanides ‚Ramban’ 1267 nach Jerusalem gekommen war, begann er mit dem Aufbau einer neuen jüdischen Gemeinschaft im Südosten. Starken Zulauf erhielt diese Gemeinschaft nach der Vertreibung der Juden aus Spanien 1492 und seit dem 18. und 19. Jahrhundert durch die Ausweisung von Juden aus Osteuropa. Während des Unabhängigkeitskrieges 1948 wurde die Altstadt von jordanischen Truppen erobert, und alle jüdischen Bewohner wurden vertrieben.“[20]

Auch in Hebron gab es seit Ende des 15. Jh.s wieder eine jüdische Gemeinde: „Seit der Vertreibung der Juden aus Spanien 1492 gab es in Hebron auch wieder eine starke jüdische Gemeinde mit Hunderten von Mitgliedern.“ Diese existierte bis 1936: „1936 wurden die Juden Hebrons von den Briten aus Hebron evakuiert, nachdem es bereits im Jahr 1929 zu einem Massaker gekommen war, bei dem mehr als 60 Juden von Arabern getötet worden waren.“[21]

„Im 16. Jahrhundert wurde Safed unter osmanischer Herrschaft zur ‚jüdischen’ Stadt. Um das Jahr 1550 lebten hier annähernd 10.000 Juden, von denen viele 1492 aus Spanien geflohen waren. Viele berühmte jüdische Gelehrte, unter ihnen die bedeutenden Rabbiner Josef Karo, Moses Cordovero und Isaak Luria, siedelten sich hier an und festigten den Ruf Safeds als Zentrum der Kabbala. 1563 wurde hier die erste hebräische Druckerei Palästinas gegründet.“[22]

 


[1] z.B.: https://www.diekommunisten.net/deutschland/gegen-die-rechte-offensive/ (Revolutionär-Kommunistischen Internationalen Tendenz Deutschland); s.a.: „Für das Recht der Geflüchteten […] auf [...] volle Bürgerrechte in Deutschland“ (https://www.klassegegenklasse.org/stop-deportation-demonstration-am-9-juli-in-berlin/); „Volle Staatsbürgerrechte für alle, die es hierher geschafft haben!“ (http://www.icl-fi.org/deutsch/spk/201/abschiebungen.html); „Volle Staatsbürgerrechte für Immigranten!“ (http://www.bolshevik.org/deutsch/bolschewik/ibt_bol29_2012-02.html).

[2] Ganz abstrakt wollen wir nicht bestreiten, daß eine Masseneinwanderung in kleine Gebiete mit kleiner Bevölkerungszahl Probleme hinsichtlich des Selbstbestimmungsrechts aufwerfen kann (vgl. dazu systemcrashs Argumentation: https://systemcrash.wordpress.com/2017/01/30/migration-vs-selbstbestimmung/). Israel/Palästina wurde allerdings erst deutlich nach der israelischen Staatsgründung – dadurch das starke Wachstum sowohl der jüdisch-israelisch als auch palästinensischen Bevölkerung – zu einem dicht besiedelten Gebiet. 1949 – also nach Zurückschlagung des arabischen Angriffs unmittelbar bei Staatsgründung und den damit verbundenen israelischen Gebietsgewinnen – hatte Israel erst knapp 1,2 Mio. EinwohnerInnen; heute sind es über 8,6 Mio. (https://www.jewishvirtuallibrary.org/population-of-israel-1948-present); 1945 lebten in dem ganzen Gebiet westlich des Jordans (heutiges Israel, Gazastreifen und Westjordanland) 1,2 Mio. Menschen (https://en.wikipedia.org/wiki/United_Nations_Partition_Plan_for_Palestine#Proposed_partition); heute ist die Bevölkerung in dem Gebiet mehr als zehnmal so groß (https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Staaten_der_Erde#Liste).

1945 gab es in dem Gebiet also nur ca. 45 EinwohnerInnen/km² (eigene Berechnung) (= ca. 1/8 der heutigen Bevölkerungsdichte Belgiens, das in etwa die gleiche Fläche wie Israel/Palästina hat; etwas kleiner sind Burundi, Haiti und Ruanda, die alle eine noch höhere heutige Bevölkerungsdichte als Belgien haben – https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Staaten_der_Erde#Liste) – also (trotz der unterschiedlichen geographisch-klimatischen Bedingungen) genug Land, um es auf die geringe Bevölkerungszahl aufzuteilen.

[4] „Nach der ‚Machtübernahme’ der Nationalsozialisten in Deutschland und der einsetzenden Judenverfolgung ab 1933 stieg die jüdische Einwanderung beträchtlich an, wurde jedoch 1939 durch die britische Mandatsverwaltung teils gewaltsam zurückgedrängt. Das [britische Palästina-]Weißbuch [von 1939] sah einen fünfjährigen Zeitraum vor, in dem die Einwanderung von 75.000 Juden (10.000 pro Jahr und 25.000 Flüchtlinge zusätzlich) gestattet sein sollte. Es bestimmte die britische Politik in Palästina bis 1947“. Das Weißbuch „war weniger beeinflusst von der Lage der Juden in Europa als vielmehr von dem Versuch, als Gegengewicht zur deutschfreundlichen Politik von Hadsch Mohammed Amin al-Husseini die Araber vor dem heraufziehenden Zweiten Weltkrieg auf die britische Seite zu ziehen.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Wei%C3%9Fbuch_von_1939)

[5] „Anlass zur Gründung der Organisation gab ein infolge einer muslimischen Prozession von palästinensischen Arabern durchgeführtes Judenpogrom in Jerusalem im April 1920. Dabei kamen sechs Juden zu Tode. Rund zweihundert wurden verletzt.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Hagana#Urspr.C3.BCnge) Eine sozialistisch-zionistische Vorläuferorganisation wurde zwar bereits 1907/09 gegründet, aber hatte nie mehr als 100 Mitglieder und scheint sich – nach den deutschen und englischen Wikipedia-Artikel zu urteilen – ausschließlich auf Selbstschutz jüdischer Siedlungen beschränkt zu haben (https://de.wikipedia.org/wiki/HaSchomer; https://en.wikipedia.org/wiki/Hashomer; https://en.wikipedia.org/wiki/Bar-Giora_(organization)).

[6] „Nach der Februarrevolution in Russland erklärte das finnische Parlament am 6. Dezember 1917 Finnlands Unabhängigkeit. Sie wurde auch nach dem Sieg der Oktoberrevolution im Januar 1918 durch das entstandene bolschewistische Russland und danach durch zahlreiche andere Staaten anerkannt.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Finnland#Unabh.C3.A4ngigkeit_und_Kriege)

[7] Schon in der Gründungserklärung Israels, die – zusammen mit 11 Grundgesetzen – Verfasssungsstatus hat (https://de.wikipedia.org/wiki/Israel#Verfassungsrecht), hieß es: „Er [Der neue Staat] wird all seinen Bürgern ohne Unterschied von Religion, Rasse und Geschlecht, soziale und politische Gleichberechtigung verbürgen. Er wird Glaubens- und Gewissensfreiheit, Freiheit der Sprache, Erziehung und Kultur gewährleisten, die Heiligen Stätten unter seinen Schutz nehmen und den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen treu bleiben.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Israelische_Unabh%C3%A4ngigkeitserkl%C3%A4rung#Deutsche_.C3.9Cbersetzung)

Das Gesetz über die Knesset von 1958 bestimmt in Ziff. 4 Satz 1: „The Knesset shall be elected in general, national, direct, equal, secret, and proportional elections.“ In Ziff. 5 Satz 1 heißt es: „Every Israeli citizen aged eighteen or over, has the right to vote in elections to the Knesset, unless a court of law has deprived him of this right on the basis of the law.“ (http://knesset.gov.il/laws/special/eng/BasicLawTheKnesset.pdf)

1992 kam noch ein Basic Law: Human Dignity and Liberty hinzu. Es gewährt die meisten Rechte – Ausnahme 6.b): „Every Israel national has the right of entry into Israel from abroad.“  â€“ nicht nur für Staatsangehörige, sondern für „any person“ (https://www.knesset.gov.il/laws/special/eng/basic3_eng.htm), während viele Grundrechte im deutschen Grundgesetz keine Menschenrechte, sondern Deutschen-Grundrechte sind.

A. Holberg behauptet in einem Kommentar in dem Blog von systemcrash zwar: „diese [d.h. arabische] Minderheit“ – von der er anerkennt, daß „israelische Staatsbürger sind“ – „ist gegenüber den jüdischen Israelis gesetzlich und praktisch benachteiligt.“

Daß es derartige praktische Benachteiligungen (z.B. hinsichtlich des Anteils im öffentlichen Dienst im allgemeinen und insbesondere an höheren staatlichen Funktionen; schikanöse Behandlung durch die Polizei) – d.h.: Rassismus gegenüber einem Teil der StaatsbürgerInnen – ähnlich wie in Deutschland und vielen anderen Ländern auch in Israel gibt, sei hier nicht bestritten. (Betont sei allerdings, daß der Umstand, daß in Deutschland z.B. türkisch- oder polnischstammige Staatsangehörige diskriminiert werden, niemandeN dazu führt, zu fordern, Deutschland solle mit der Türkei oder Polen zwangsvereinigt werden. Die Position ‚Zwangsvereinigung als Strafe für Fehlverhalten’ wird allein in Bezug auf Israel vertreten.)

Beispiele für seine Behauptung, daß es auch eine gesetzliche Benachteiligung der arabischen StaatsbürgerInnen Israels gebe, nennt A. Holberg freilich nicht. Vielmehr ist es sogar umgekehrt so, daß die arabischen StaatsbürgerInnen von der Wehrpflicht befreit sind, aber dennoch dienen dürfen, wenn sie wollen, sodaß es sogar arabische Generäle in der israelischen Armee gibt (https://de.wikipedia.org/wiki/Israel#Milit.C3.A4r; https://de.wikipedia.org/wiki/Arabische_Israelis#Repr.C3.A4sentation_in_Politik.2C_Milit.C3.A4r_und_Rechtswesen).

[8] Beides kann und soll kritisiert werden – aber kann keinen Blankoscheck für ‚den palästinensischen Widerstand’ bedeuten und macht auch keine Kritik an falschen politischen Zielen palästinensischer Gruppen überflüssig.

[11] https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Staaten_der_Erde#Liste. Der Libanon ist um ca. 67 % größer als Palästina, aber hat eine nur um 18 % geringere Bevölkerungsdichte. Taiwan ist sehr viel größer als Palästina und der Libanon und hat eine Bevölkerungsdichte, die zwischen der des Libanons und der Palästinas liegt.

[14] Samuel Salzborn (2013): Israelkritik oder Antisemitismus? Kriterien für eine Unterscheidung, in: Kirche und Israel. Neukirchener Theologische Zeitschrift, 28. Jahrgang, Heft 1/2013; im internet: http://www.salzborn.de/txt/2013_Kirche-und-Israel.pdf, 5 - 16 (11 f.). – Die zitierte Darstellung scheint uns verläßlich zu sein, auch wenn wir andere Wertungen, Definitionsvorschläge und Position, die in dem Aufsatz vertreten werden, nicht teilen.

[17] Auch wenn das Land gekaufte wurde, gab es in „einigen Fällen“ Verletzungen von bestehenden Pachtverträgen für das gekaufte Land (https://de.wikipedia.org/wiki/V%C3%B6lkerbundsmandat_f%C3%Bcr_Pal%C3%A4stina#Steigende_Einwanderung_sowie_Gewaltbereitschaft). Dies macht aber nur die fraglichen Pachtvertragsverletzungen kritikwürdig, aber weder die Einwanderung, noch die Grundstückskäufe noch die Staatsgründung illegitim.



Antwort an „Systemcrash“ auf meinen Leserbrief zu „Systemcrash“ zu Israel/Palästina  - 08-08-17 20:53
Leserbrief von A. Holberg - 31-07-17 14:42




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