Ein rechtsgeschichtlicher Rückblick
von DGS
Am 20. Mai 1958 verurteilte der Bundesgerichtshof Dr. jur. Johann Mertens wegen VerÂgehen nach § 90a StGB damaliger Fassung (Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindliÂchen Vereinigung) in Tateinheit mit Verbrechen nach § 129 Abs. 1 und 2 StGB damaliger Fassung (Mitgliedschaft in einer Kriminellen Vereinigung) in staatsgefährender Absicht (§ 94 StGB damaliger Fassung) zu einer Freiheitsstrafe von 3 ½ Jahren Gefängnis.
ADJ und Zentralrat: „Locker“ bzw. „lose“ – aber trotzdem staatsgefährdend
Voraussetzung dafür war, daß die Arbeitsgemeinschaft demokratischer Juristen (ADJ) und der Zentralrat zum Schutz demokratischer Rechte und zur Verteidigung deutscher PatrioÂten (ZR) als verbotene Vereinigungen i.S.v. Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz und Kriminelle Vereinigungen i.S.v. § 129 StGB klassifiziert wurden. Die Arbeitsgemeinschaft demokraÂtischer Juristen (ADJ) und der Zentralrat (ZR) waren zwei 1951 gegründete KPD-nahe – laut BGH „lockere“ bzw. „lose“ – ‚Zusammenschlüsse‘ (BGH). Der ‚patriotische‘ Name des Zentralrates erklärt sich aus der damaligen gesamtdeutsch-neutralistischen politischen Orientierung der KPD.
Vereinsnamen und Vereinsorgane scheinen tatsächlich existiert zu haben; MitgliedsbeiÂträge wurden nicht erhoben:
„Die am 8. April 1951 in Düsseldorf gegründete ADJ war ein Zusammenschluß von Juristen in organisatorisch loser Form. […]. Ein Statut wurde erst am 13. Mai 1955 geschaffen. Es benannte als Organe der Arbeitsgemeinschaft das Präsidium und den aus diesem zu bilÂdenden Vorstand, jedoch sind diese Organe, soweit erkennbar, nach außen wenig in ErÂscheinung getreten. […]. Auch der ZR war ein lockerer und wechselnder Zusammenschluß von Personen, die ebensowenig wie die Angehörigen der ADJ Mitgliedsbeiträge zu entrichÂten hatten. Von der ADJ unterschied sich der ZR einmal dadurch, daß ihm nicht nur JurisÂten, sondern Personen aus den verschiedensten Berufen angehörten, zum anderen durch seine mehr auf eine praktische Aufgabe, nämlich die ‚Verteidigung deutscher Patrioten’ geÂrichtete Tätigkeit. Organe waren neben dem Plenum ein Präsidium und ein aus diesem geÂbildeter Vorstand. Die laufenden Geschäfte besorgte auch hier ein ständiges Büro mit eiÂnem Geschäftsführer und seinem Stellvertreter.“
(BGH JurionRS 1958, 13128, Tz. 11, 12 = Hochverrat und Staatsgefährdung. Urteile des Bundesgerichtshofes. Bd. II, 1958, 253 - 307 [257])
Der Zentralrat wurde am 27.04.1951 in Hamburg verboten; die meisten anderen BundesÂländer zogen 1958 nach. Die ADJ wurde 1958 in Hessen, Bayern und Nordrhein-WestfaÂlen für verboten erklärt. In Rheinland-Pfalz wurden beide 1955 verboten; das Saarland wurde erst 1957 zehntes Bundeslandes der Bundesrepublik Deutschland und scheint sich auf Verbote des Demokratischen Frauenbundes (DFB) und der Freien Deutschen Jugend (FDJ) im Jahre 1960 beschränkt zu haben.
Im Regierungsbezirk Düsseldorf, wo Mertens anscheinend wohnte und arbeitete, wurden ADJ und ZR am 03.02.1958 verboten, ohne sofortige Vollziehung anzuordnen, (GMBl. 1966, 1 - 26 [4 <Nr. 21> und 15 <Nr. 193>]). Bestandskräftig wurden die Verbote erst durch Beschlüsse des Landesverwaltungsgerichts Düsseldorf vom 19.05.1959 (im Falle des Zentralrates…) sowie des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 20.07.1959 (im Falle der ADJ) (ebd.) – also nach dem Strafurteil. (Das heute für §§ 84, 85 StGB und § 20 Vereinsgesetz [aber weiterhin nicht für § 129 StGB] geltende sog. „Verbotsprinzip“ [keine Strafbarkeit in Bezug auf die Zeit vor [zumindest vorläufiger] Vollziehbarkeit des Verbotes] wurde erst mit dem Vereinsgesetz von 1964 eingeführt.)
Die §§ 90a und 129 StGB in der Fassung des 1. Strafrechtsänderungsgesetzes von 1951
Beide Strukturen wurden aber nicht nur als vereinsrechtlich verboten behandelt, sondern die Mitgliedschaft in ihnen wurde auch als Mitgliedschaft in einer Kriminellen Vereinigung i.S.v. §?129 StGB verfolgt. Diese Norm lautete seit dem 31. August 1951:
„§ 129. (1) Wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit darauf geÂrichtet sind, strafbare Handlungen zu begehen, oder wer sich an einer solchen Vereinigung als Mitglied beteiligt, sie sonst unterstützt oder zu ihrer Gründung auffordert, wird mit GeÂfängnis bestraft.
(2) [1] Gehört der Täter zu den Rädelsführern oder Hintermännern oder liegt sonst ein beÂsonders schwerer Fall vor, so kann auf Zuchthaus bis zu fünf Jahren erkannt werden. [2] Daneben kann Polizeiaufsicht zugelassen werden.
(3) Bei Beteiligten, deren Schuld gering und deren Mitwirkung von untergeordneter BedeuÂtung ist, kann von Strafe abgesehen werden.
(4) [1] Nach diesen Vorschriften wird nicht bestraft, wer das Fortbestehen der Vereinigung verhindert oder von ihrem Bestehen einer Behörde so rechtzeitig Anzeige erstattet, daß eine den Zielen der Vereinigung entsprechende Straftat noch verhindert werden kann. [2] Dies gilt auch für den, der sich freiwillig und ernstlich bemüht, das Fortbestehen der VereiÂnigung oder die Begehung einer ihren Zielen entsprechenden Straftat zu verhindern, wenn nicht sein Bemühen, sondern ein anderer Umstand dies erreicht.“
(https://lexetius.com/StGB/129,10 [Stand: 19. Mai 2019[1]] / BGBl. I 1951, S. 739 - 747 [744])
§ 90a StGB lautete:
„(1) Wer eine Vereinigung gründet, deren Zwecke oder deren Tätigkeit sich gegen die verÂfassungsmässige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, oder wer die Bestrebungen einer solchen Vereinigung als Rädelsführer oder Hintermann fördert, wird mit Gefängnis bestraft.
(2) [1] In besonders schweren Fällen kann auf Zuchthaus bis zu fünf Jahren erkannt werÂden. [2] Daneben kann Polizeiaufsicht zugelassen werden.
(3) Ist die Vereinigung eine politische Partei im räumlichen Geltungsbereich dieses GesetÂzes, so darf die Tat erst verfolgt werden, nachdem das Bundesverfassungsgericht festgeÂstellt hat, daß die Partei verfassungswidrig ist.
(https://lexetius.com/StGB/90a,7 [Stand: 19. Mai 2019[2]] / BGBl. I 1951, S. 739 - 747 [741])
Unterschiede zwischen beiden Normen
Die nicht auf den ersten Blick auffallenden Unterschiede zwischen beiden Normen sind:
• Im Falle des § 129 StGB mußten die „Zwecke [der Vereinigung] oder deren TätigÂkeit darauf gerichtet sind, strafbare Handlungen zu begehen“ (d.h.: andere strafbare Handlungen als die in § 129 StGB selbst genannten [Gründung etc.]); im Falle des § 90a StGB mußten die „Zwecke [der Vereinigung] oder deren Tätigkeit sich gegen die verfassungsmässige Ordnung oder gegen den Gedanken der VölkerverständiÂgung richten“.
Taten nach § 90a StGB waren also eindeutig politische Delikte; Taten nach § 129 StGB waren nur insofern politische Taten, als die Taten auf deren Begehung die Vereinigung gerichtet ist, selbst politisch waren – also vor allem, aber nicht ausÂschließlich – die Taten, die in dem damaligen StGB-Abschnitt „Staatsgefährdung“ (§§ 88 bis 98: BGBl. I 1951, S. 739 - 747 [740 - 742]) beschrieben waren, oder aber, soweit es sich um ‚klassische’ Straftaten handelte, zumindest politisch motiviert waÂren.
• Im Falle des § 90a StGB war ausschließlich die Gründung und Förderung „als RäÂdelsführer oder Hintermann“ strafbar; § 129 StGB erfaßte neben der Gründung auch die bloße Beteiligung als Mitglied, die sonstige Unterstützung oder die AufforÂderung zur Gründung.
• Beide Normen stellten also eine – wenn auch unterschiedliche – Vorverlagerung der Strafbarkeit dar (jedenfalls was das StGB selbst anbelangt [also abgesehen von befristeten Sondergesetzen wie dem Sozialistengesetz des Kaiserreichs und den Republikschutzgesetzen der Weimarer Republik]):
++ § 90a StGB stellte eine Kriminalisierung bestimmter politischer Organisiertheit um der Ziele dieser Organisiertheit willen dar, bezog aber bloße Beteiligung als MitÂglied, die sonstige Unterstützung oder die Aufforderung der Gründung nicht mit ein.
++ § 129 StGB hatte vom Wortlaut her (wenn auch nicht in der Praxis[3]) auch, aber nicht ausschließlich unpolitische Vereinigungen im Auge und bezog in seinem AnÂwendungsbereich auch die bloße Beteiligung als Mitglied, die sonstige UnterstütÂzung oder die Aufforderung zur Gründung in den Bereich der Strafbarkeit mit ein.
++ Letzterer Unterschied spielte in der Praxis aber keine große Rolle, da die TätigÂkeit von Vereinigungen nach § 90a StGB – laut Rechtsprechung – in der Regel nicht nur auf die als verfassungswidrig angesehenen Ziele, sondern zumindest auch auf Begehung der Äußerungsdelikte aus dem Staatsgefährdungs-Abschnitt sowie auf die Begehung von Beleidigungsdelikten gerichtet gewesen sein soll. DaÂmit konnten also die bloße Mitglieder, UnterstützerInnen und GründungsaufforderInÂnen, die von § 90a StGB nicht erfaßt waren, nach § 129 StGB trotzdem verurteilt werden. Die GründerInnen, Rädelsführer und „Hintermänner“ wurden dagegen – wie im hier interessierenden Fall – in Regel in sog. „Tateinheit“ nach § 90a und § 129 StGB verurteilt.
• Die Vorlagerung der Strafbarkeit und insbesondere des Staatsschutzes wurde im Gesetzentwurf der Bundesregierung, der im Gesetzgebungsverfahren allerdings recht stark umgestaltet wurde[4], auch offen zugegeben:
„Der moderne Staat kann sich […] zu seinem Schutz nicht auf die klassischen und teilweise überholten Hochverratsvorschriften beschränken. Er bedarf neuer SchutzÂvorschriften, die seine Verteidigungslinie in den Bereich vorverlegen, in dem die Staatsfeinde unter der Maske der Gewaltlosigkeit und damit gewissermaßen unter dem Schutz der Hochverratsbestimmungen die Macht erschleichen.“
(BTag-Drs. I/1307, S. 34)
• Der Strafrahmen war in beiden Fällen vorderhand gleich: in „besonders schweren Fällen […] Zuchthaus bis zu fünf Jahren“. Allerdings sind zwei Feinheiten zu beÂachten:
++ Im Rahmen des § 129 StGB waren die Tatmodalitäten ‚als Rädelsführer oder Hintermann’ als solches „besonders schwere Fälle“, während dies im Rahmen des § 90a StGB nicht der Fall war (weil dort ja die Modalitäten ‚Beteiligung als Mitglied etc.’ als weniger schwere Varianten nicht zur Verfügung standen[5]).
++ Erfolgte die Tat nach § 129 StGB allerdings – wie im hier interessierenden Fall und in der Praxis in der Regel – in sog. staatsgefährender Absicht, so erhöhte sich der Strafrahmen – im Falle von sog. „Rädelsführerschaft“ – wohl auf 15 Jahre Zuchthaus.[6]
• Unter dem Strich war der § 129 StGB also die weitere Vorschrift (die in der Praxis die Fälle des § 90a StGB mit einschloß) und zugleich diejenige von den beiden geÂnannten Normen, die den höheren Strafrahmen vorsah.
Im Folgenden wird die rechtliche Würdigung des Sachverhalts und die Begründung der Strafzumessung des BGH-Urteils dokumentiert, mit dem zwei ‚RädelsführerInnen‘ der ADJ und des Zentralrates... (neben Johann Mertens die Trägerin der Johanna-Kirchner-Medaille [Verleihung 1994] der Stadt Frankfurt am Main, Alice Stertzenbach [1909 - 1996], Ehefrau von Werner Stertzenbach, von 1960 bis 1972 Chefredakteur der VVN-Wochenzeitung Die Tat war) zu Haftstrafen verurteilt wurden. (In dem – Dutzende Seiten langen – Sachverhalt geht es ausschließlich um Äußerungen der Anklagten [und anderer Mitglieder der beiden fraglichen Gruppierungen], aber um keinerlei physische Straftaten – nicht einmal um eine Blockade eines Werktors bei einem Streik; nicht um Ohrfeigen für Nazi-Richter, nicht um Rangeleien mit der Polizei bei Demonstrationen, nicht um Waffenbesitz und schon gar nicht um Waffeneinsatz.
Dem gemäß werden in dem Urteil als Straftaten, auf deren Begehung Zweck und Tätigkeit von ADJ und Zentralrat… gerichtet gewesen sein sollen, ausschließlich genannt: BeleidiÂgung [§ 185 StGB], Verleumdung [§ 187], Verleumdung von „im politischen Leben des Volkes stehende[n] Person“ [§ 187a StGB], Verunglimpfung von Staatsorganen [§ 97 StGB] und Zersetzung [§ 91 StGB – jeweils: damaliger Fassung] – und zwar Letzteres durch Veranlassung von „massenhaften Protestbriefe[n]“ [!].)
Die BGH-Richter...
Das Urteil wurde gesprochen von
• dem Vorsitzenden Richter Kurt Weber – folgte 1934 seiner jüdischen Geliebten nicht ins niederländische Exil; stattdessen 1934 Eintritt in den NS-RechtswahrerÂbund, 1936 in die NS-Volkswohlfahrt (NSV), 1937 in die NSDAP und in das NS-Kraftfahrkorps –
und
den weiteren Richtern
• Dr. Karl Mannzen – von Jan. bis März 1920 Freikorps-Mitglied; dann von 1926 bis 1933 SPD-Mitglieder; 1933 SA-Eintritt; 1937 und 1939 Bewerbung um NSDAP-MitÂgliedschaft, ab 01.01.1940 aufgenommen; 1968 Großes Bundesverdienstkreuz mit Stern –
• Dr. Heinz Wiefels – ab 1933 Mitglied der NSDAP –
• Alexander Wirtzfeld – zur Zeit der Weimarer Republik Mitglied der Zentrumspartei; machte während der NS-Zeit keine Karriere –
• Dr. Hermann Hengsberger – Mitglied in der (pflicht)schlagenden Burschenschaft Corps Hasso-Nassovia; 1933 NSDAP-Einritt; Träger der Medaille zur „Würdigung des heldenhaften Einsatzes gegen den bolschewistischen Feind während des Winters 1941/42“ („Ostmedaille“) und des 1939 gestifteten Kriegsverdienstkreuzes –.
...und ihre Urteilsbegründung
Hier nun die beiden genannte Abschnitte (rechtliche Würdigung des Sachverhalts und die Begründung der Strafzumessung) aus dem Urteil (mit den jurion-Textziffern [= Absatzzählung]):
„122
Da die ADJ und der ZR darauf ausgegangen sind, die verfassungsmässige Ordnung der Bundesrepublik zu untergraben und durch ein System zu ersetzen, dem alle Grundwerte der freiheitlichen Demokratie fehlen, sind sie als Vereinigungen anzusehen, deren Zwecke und deren Tätigkeit sich gegen die verfassungsmässige Ordnung richteten, also als VereiÂnigungen im Sinne des § 90a StGB. Zugleich waren ihre Zwecke und ihre Tätigkeit darauf gerichtet, strafbare Handlungen zu begehen. Durch die von beiden Organisationen planmässig betriebene Hetze gegen die Bundesregierung und insbesondere die Organe der Rechtspflege wurden häufig die Tatbestände der Beleidigung (§ 185 StGB), der VerÂleumdung (§§ 187, 187a StGB) und der Verunglimpfung von Staatsorganen (§ 97 StGB) verwirklicht. Vor allem aber wurden im Rahmen der Prozeßsteuerung strafbare Handlungen begangen. Die vom ZR veranlassten massenhaften Protestbriefe in jedem Strafverfahren gegen Angehörige kommunistischer Organisationen sollten die Gerichte und andere OrÂgane der Rechtspflege allgemein bestimmen, sich dem auf sie ausgeübten Druck zu beuÂgen, es nicht mehr zu wagen, Kommunisten zu verhaften, anzuklagen und zu verurteilen, und somit aus Furcht ihrer Verpflichtung, die Sicherheit der Bundesrepublik und ihre verfasÂsungsmässige Ordnung zu schützen, nicht mehr nachzukommen. Vielfach ist daher minÂdestens der Tatbestand der Zersetzung (§ 91 StGB) erfüllt worden. – Diese Straftaten waÂren von der ADJ und dem ZR als wichtiges, ja unentbehrliches Mittel ihrer verfassungsÂfeindlichen Bestrebungen gedacht und gewollt.
123
Beide Angeklagte waren an der Gründung der Organisationen, denen sie fortan als MitglieÂder angehörten, beteiligt und haben in ihnen eine hervorragende Rolle gespielt. Während Dr. M. die juristischem Grundlagen für die Agitation beider Organisationen und die RichtliÂnien für die Prozeßsteuerung durch den ZR schuf, beeinflußte die Angeklagte S. (neben Ha.) die tägliche Arbeit des ZR entscheidend. Hierdurch haben sie die Bestrebungen der Vereinigungen maßgeblich gefördert. Sie sind somit nicht nur als Gründer, sondern auch als Rädelsführer anzusehen, und zwar Dr. M. in beiden Vereinigungen, Frau S. nur im ZR.
124
Hiernach sind die Angeklagten tateinheitlich begangener Vergehen nach den §§ 90 a, 129 Abs. 1 und 2 StGB schuldig. Soweit sie gegen § 129 StGB verstoßen haben, geschah dies in verfassungsfeindlicher Absicht im Sinne, des § 94 StGB. Sie bekennen, sich auch für ihre Person zu einem politischen System, dem die Grundwerte der freiheitlichen DemokraÂtie fehlen. Die Herbeiführung von Zuständen in der Bundesrepublik, wie sie in der sog. DDR herrschen, entspricht ihren eigenen Wünschen. Auf dieses Ziel der Kommunisten, haÂben sie ihre Tätigkeit in der ADJ und im ZR bewußt abgestellte Sie haben also in der AbÂsicht, d.h. mit dem bestimmten Vorsatz gehandelt, Verfassungsgrundsätze im Sinne des § 88 Abs. 2 StGB zu beseitigen und zu untergraben und eine solche Bestrebung zu fördern.
125
Wegen Zersetzung (§ 91 StGB) konnten die Angeklagten dagegen nicht verurteilt werden. Zwar steht – wie dargelegt – fest, daß der ZR auf die Begehung solcher Straftaten planÂmässig und auch erfolgreich hingewirkt hat; es läßt sich aber nicht feststellen, daß die AnÂgeklagten persönlich derartige Aktionen ausgelöst oder an ihnen teilgenommen haben.
126
Die mehreren Rechtsverletzungen sind durch ein und dieselbe Handlung begangen worÂden, stehen also zueinander im Verhältnis der Tateinheit (§ 73 StGB). Deshalb bedurfte es keines besonderen Freispruchs von der Anklage der Zersetzung.
127
E.
Bei der Strafzumessung war auszugehen von der besonderen Aufgabe der beiden VereiniÂgungen, aus der sich ihre Gefährlichkeit ergibt. Sie sind nicht wie viele andere kommunisÂtische Organisationen nur zu dem Zweck geschaffen worden, politische Propaganda mit verfassungsfeindlichem Siel zu treiben; ihre Tätigkeit hat sich vielmehr unmittelbar gegen die Rechtsstaatlichkeit und damit gegen einen Grundwert der freiheitlichen Demokratie geÂrichtet, der jenseits aller Politik steht und stehen muß. Der besondere und eigentliche GegÂner war die Justiz, also eine ihrem Wesen und ihrer Aufgabe nach völlig unpolitische EinÂrichtung, die zum Schaden der verfassungsmäßigen Ordnung in den politischen Kampf hinÂeingezerrt werden sollte. Planmassige und organisierte Angriffe gegen die Rechtspflege, wie sie vor allem vom ZR unternommen wurden, können eine erhebliche Gefahr heraufbeÂschwören, weil die Erfahrung lehrt, daß politisch Unzufriedene nur zu leicht den unsinnigsÂten, der Wirklichkeit klar widersprechenden Behauptungen Glauben schenken, wenn, diese nur mit der nötigen Dreistigkeit aufgestellt und ständig wiederholt werden. Die häufige Folge davon ist, daß sich die Mißstimmung über die Regierungspolitik auf die staatliche Ordnung selbst ausdehnt und so Anhänger dieser Ordnung gegen ihren eigentlichen Willen zu Gegnern gemacht werden. Dies war gerade der Daseinszweck der ADJ und des ZH. Ihre Gefährlichkeit, besonders die des ZR. darf daher nicht unterschätzt werden. Allerdings war der Erfolg ihrer Bemühungen letztlich gering, wie auch die weitere Entwicklung gezeigt hat. Dies lag aber nicht etwa daran, daß man es an Zielstrebigkeit und Energie hätte fehlen lassen, sondern wohl an der Plumpheit und Durchschaubarkeit der kommunistischen MeÂthoden und der unbedingten Ablehnung des kommunistischen Systems durch die BevölkeÂrung der Bundesrepublik.
128
Bei den beiden Angeklagten persönlich, fällt die lange Dauer und die besonders hervorraÂgende Bedeutung ihrer Tätigkeit in diesen Organisationen ins Gewicht. Im übrigen aber müssen sie durchaus verschieden gewürdigt werden. Zu Gunsten von Dr. M. konnte neben seiner Unbestraftheit nur berücksichtigt werden, daß er durch die Teilnahme am 2. WeltÂkrieg als Soldat und durch die Folgen des Krieges aus seiner bisherigen beruflichen TätigÂkeit gerissen worden ist. Gegen ihn spricht jedoch weit mehr: er hat sich zu der einem JuÂristen besonders schlecht, anstehenden Aufgabe bereitgefunden, mit Hilfe pseudowissenÂschaftlicher Darlegungen falsche Behauptungen, und Auffassungen zu verbreiten und so die Grundlagen zu schaffen für einen auf Lüge gegründeten Kampf gegen den Rechtsstaat. Dabei wußte er sehr wohl, daß seine Behauptungen nicht zutragen und seine BeweisfühÂrungen unhaltbar waren. Noch stärker muß sich aber die üble Gesinnung, die vor allem in seinen „Lehren aus den Dortmunder Prozessen“ zu erkennen ist, zu seinem Nachteil ausÂwirken. Die Schmähungen des Dortmunder Landgerichtsdirektors Rheinländer übertreffen alles, was dem Senat auf diesem Gebiet jemals vor Augen gekommen ist, wobei besonders ins Gewicht fällt, daß dieser Richter während, der nationalsozialistischen. Herrschaft aus seinem Amt entfernt und verfolgt wurde, und daß Dr. M. dies wußte. Eine so grobe EhrabÂschneidung, konnte dem Angeklagten auch dann nicht notwendig erscheinen, wenn er den Willen hatte, das; politische, Ziel, dem er sich verschrieben hat, rücksichtslos und mit allen Mitteln zu fördern.
129
Nach alledem war zwar keine –, gemäß §§ 129 Abs. 2, 94 StGB mögliche – ZuchthaussÂtrafe, wohl aber eine empfindliche Gefängnisstrafe geboten. Der Senat hat sie auf 3 Jahre 6 Monate bemessen und aus Billigkeitsgründen gemäß § 60 StGB die Untersuchungshaft in vollem Umfang angerechnet.
130
Angesichts der, von Dr. M. bewiesenen niederträchtigen Gesinnung und seiner weiterhin andauernden besonders heftigen Feindschaft gegen die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik erschien es angebracht, gemäß § 98 Abs. 1 StGB für die Dauer von vier Jahren auf die Unfähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter sowie den Verlust des Wahl- und Stimmrechts und der Wählbarkeit zu erkennen.
131
Die bei Dr. M. hervorgehobenen strafschärfenden persönlichen Gesichtspunkte fehlen bei der Angeklagten Stertzenbach. Sie ist mindestens nach außen nicht propagandistisch und agitatorisch hervorgetreten, sondern hat sich vorwiegend auf dem ihr besonders zusagenÂden Gebiet der sozialen Betreuung von Häftlingen und ihren Angehörigen betätigt. Wenn sie auch wußte, daß die Agitation des ZR gegen die Rechtszustände in der Bundesrepublik in ihrem Kern falsch war, so konnte sie doch im Gegensatz zu Dr. M. nicht die Unrichtigkeit jeder einzelnen Behauptung erkennen und so die ganze Perfidie des Lügenfeldzuges erÂmessen. – Vor allem aber fiel ihr schweres Schicksal während der nationalistischen HerrÂschaft stark zu ihren Gunsten ins Gewicht. Es erscheint zwar schwer begreiflich, daß sie sich trotz solcher Erlebnisse und Erfahrungen einem System verschrieben hat, das die Freiheit und Würde des Menschen ebenso gering achtet wie das nationalsozialistische, wenn ihm auch dessen antisemitische und damit eine der übelsten Tendenzen fehlt; es ist dabei aber zu bedenken, daß sie in den Jahren der Verfolgung viele Kommunisten kennen und in gemeinsamer Not und Bedrängnis persönlich, schätzen gelernt hat, woraus ein GeÂfühl der Zusammengehörigkeit entstanden ist, das auf ihre politische Überzeugung einwirÂken mag.
132
Bei ihr erschien daher eine Gefängnisstrafe von 8 Monaten ausreichend.
133
Obwohl der Senat keinen Zweifel daran hat, daß die Angeklagte ihrer kommunistischen Gesinnung treu bleiben wird, hat er diese Strafe gemäß § 23 StGB zur Bewährung ausgeÂsetzt, denn es kann jetzt, wo Frau S. eine geregelte Tätigkeit im öffentlichen Dienst gefunÂden hat, erwartet werden, daß sie unter der Einwirkung der Aussetzung künftig ein gesetzÂmäßiges und geordnetes leben führen wird. Da sie nach außen wenig hervorgetreten ist, erfordert das öffentliche Interesse die Vollstreckung der Strafe nicht.“
(https://www.jurion.de/urteile/bgh/1958-05-20/1-ste-7_57/ [Achtung: Die Verlinkungen im Original-Zitat führen zum aktuellen – nicht zum zeitgenössischen – Stand der jeweiligen Norm! Sie wurden hier durch Verlinkungen zu den einschlägigen Normfassungen ersetzt] = Hochverrat und Staatsgefährdung, a.a.O., 305 - 307 [Abschnitt D. wird dort nur in sechs Zeilen zusammengefaßt])
----------
Einige Jahre nach dem hier behandelten Urteil wurde das politische Strafrecht teilweise liÂberalisiert, aber teilweise sogar noch verschärft:
1. Nachdem das Bundesverfassungsgericht
• mit Urteil vom 21. März 1961 (E 12, 296 - 308 [297, 307 = DFR-Tz. 31]) § 90a StGB – wegen Verstoßes gegen Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit Artikel 21 Absatz 1 Satz 2 Grundgesetz – für verfassungswidrig erklärte hatte, soÂweit laut diesem das Gründen sowie (rädelsführerische und hintermännische) FörÂdern bestimmter Parteien strafbar war,
und
• mit Beschluß vom 30.10.1963 (E 17, 155 - 168) § 129 StGB für verfassungsgemäß erklärt hatte, aber den Begriff der „Vereinigung“ in § 129 StGB so ausgelegt hatte, daß Parteien nicht darunter fallen (166-168, bes. 168), kam es 1964 – zusammen mit der Verabschiedung des Vereinsgesetzes – u.a. zu ÄndeÂrungen des § 129 StGB. Abgesehen von einer redaktionellen Änderung[7] handelte es sich um folgende Änderung[8]:
• die Strafbarkeit des Aufrufes zur Gründung fiel weg; statt dessen kamen die StrafÂbarkeit des Versuchs der Gründung der Vereinigung und der Werbung für die VereiÂnigung hinzu.
• Außerdem wurde folgende Fälle von der Strafbarkeit ausgenommen[9]:
„1. wenn die Vereinigung eine politische Partei ist, die das BundesverfassungsgeÂricht nicht für verfassungswidrig erklärt hat,
2. wenn die Begehung von strafbaren Handlungen nur ein Zweck oder eine TätigÂkeit von untergeordneter Bedeutung ist oder
3. soweit die Zwecke oder die Tätigkeit der Vereinigung strafbare Handlungen nach den §§ 90a, 90b, 93 oder 128 betreffen.“
(BGBl. I 1964, S. 593 - 601 [598])
2. Außerdem wurden zusammen mit dem Vereinsgesetz der alte § 90a StGB und der alte § 47 Bundesverfassungsgerichtsgesetz[10] zu den neuen §§ 90a und 90b StGB sowie 20 Vereinsgesetz (BGBl. I 1964, S. 593 - 601 [597]) umgearbeitet.
Diese Änderungen und die späteren Änderungen werden vielleicht demnächst in einem Fortsetzungsartikel genauer dargestellt.
Eine ältere und deutlich kürzere Fassung des Textes erschien 2017 unter der Adresse:
http://systemcrashundtatbeilinksunten.blogsport.eu/juristisches-zum-linksunten-verbot/historisches/arbeitsgemeinschaft-demokratischer-juristen-adj-und-zentralrat-zum-schutz-demokratischer-rechte-zr-als-verbotene-vereinigungen-i-s-v-art-9-ii-gg-und-kriminelle-vereinigungen-i-s-v-129-stgb/.
Eine um mehr als zwanzig – z.T. recht lange – Fußnoten, zusätzliche Literaturangaben und eine Nachbemerkung zum Forschungsstand erweiterte Fassung dieses Textes wurde bei http://trend.infopartisan.net/inhalt.html einÂgereicht.