Neue antikapitalistische Organisation ?

05.04.11
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Einige Anregungen zum Papier der Gruppe um Michael Prütz / Berlin von Frank Braun

Keine Frage, mit dem kurzen und bündigen „Na endlich !“ auf die Frage, ob hierzulande eine neue antikapitalistische Organisation vonnöten sei, bringt die Gruppe um Michael Prütz die Sache auf den Punkt. Tatsächlich wird deren Papier in meinem engeren Bekanntenkreis auch gelesen. Es gibt gute Gründe darüber zu diskutieren und sich also zu fragen, ob der Impuls der AutorInnen aus der ‚Sozialistischen Initiative - Berlin-Schöneberg’ ein tragfähiger ist.

1. Schon länger steht fest, daß die antikapitalistische Linke in ihren Klein- und Kleinstgruppensplittern nicht die geringsten Erfolgsaussichten auf gesellschaftliche Verankerung und nennenswerte Bedeutung hat. Aber auch aktuelle Organisationsprojekte bringen nicht das, was von ihnen erwartet wurde. Mit Recht weisen die AutorInnen daraufhin, daß Neues aber nicht geschaffen werden kann, wenn aktuelle Organisationsversuche nicht aufgearbeitet werden. Das trifft auf die Partei ‚Die Linke.’ (PDL) zu, das trifft aber auch auf die Interventionistische Linke (IL) zu.
Wo bei dem erstgenannten Projekt die behauptete Vereinbarkeit von sozialdemokratischen Positionen und Politikstilen mit jenen antikapitalistischer Art gerade implodiert, generiert das zweitgenannte Projekt aufgrund seiner Unverbindlichkeit und Unstetigkeit organisatorisch und inhaltlich auch keine antikapitalistische Alternative.
Die Kritik aktueller Organisationsansätze, etwa gemessen an den ganz konkreten Anforderungen des letzten Herbstes (...,um nur ein Beispiel zu nennen), wäre die wohl erste Aufgabe, die kollektiv zu erledigen ist – da ist den Autoren uneingeschränkt recht zu geben.

2. Das Resultat bei der Austragung von Kontroversen jenseits der im Papier beklagten ‚Konferenzitis’ muß verbindlich sein. Da macht das Papier einige Einlassungen und nennt auch interessante und akzeptable Essentials („5 unverhandelbare Punkte“). Die Autoren verbinden dabei ihre Gedanken mit einer ordentlichen Portion nüchterner Selbsteinschätzung, was ich bei der Lektüre des Papiers als angenehm empfand. Diese Haltung korrespondiert mit einem saloppen Argumentationsstil. Das muß selbst bei diesem komplexen Thema nicht schlecht sein, verführt aber auch zu Ungenauigkeiten. Denn es bleibt unklar, ob sich unter dem Label ‚neue antikapitalistische Organisation’ Vorstellungen für eine Ablösung von existierenden Klein- und Kleinstgruppen verbergen, oder ob man nicht eher ein verbindlicheres und stetigeres antikapitalistisches Netzwerk
aufsetzen möchte.

Es ist klar, daß jene vorhandenen Zirkel mit kleinen Milieus, großen Programmen aber sehr bescheidenem Einfluß erst einmal erschrecken, wenn ihnen die ‚Sozialistische Initiative - Berlin-Schöneberg’ ihr gewohntes Nischendasein wegnehmen möchte. Ich kann nicht einschätzen, ob diese Gruppen nicht doch noch heutzutage einen relevanten Teil des Rückgrats der antikapitalistischen Linken darstellen. Wir sollten das nicht auch noch zerkloppen bevor dazu eine Alternative steht.

Die Konsequenz: Es sollte im ersten Anlauf um ein antikapitalistisches Netzwerk als Organisationsform gehen und es sollte bloß die Erwartung auf eine dann anzustrebende einzige Organisation statt vieler kleiner Zentralkomitees zum Gegenstand eines programmatischen Papiers gemacht werden. Nur in diesem Zusammenhang machen die vorgeschlagenen Organisationsregeln des Papiers derzeit einen Sinn (vgl. unter Abschnitt „Avantgarde, Kaderpartei, Demokratischer Zentralismus ?“).
Wenn das Netzwerk in den ersten Monaten seines Bestehens keine eigene genuine peer group hervorbringt, sondern nur die PR-Interessen der beteiligten Gruppen bedienen kann, ist das Projekt wohl schon gescheitert. Darüber, über Regeln einer Koexistenz von vorhandenen Gruppen und dem Netzwerk, muß unter den Beteiligten gleich zu Beginn des Projekts eine Einigkeit herbeigeführt werden. Das ist die zweite Aufgabe.

3. Damit das ganze Unternehmen nicht auf eine bloß negative Fixierung auf die oben genannten beiden Organisationsansätze hinausläuft, muß unmittelbar zu Beginn ein gehöriges Stück politisch-ideologischer Arbeit verrichtet werden. Natürlich ist auf gescheiterten Realsozialismus und Stalinismus zurückzukommen und sind überhaupt alle Politikelemente der letzten Jahrzehnte ins Visier zu nehmen, welche Generationen der antikapitalistischen Linken durcheinander wirbelten undmarginalisierten.
Aber vor allem muß ein Begriff vom dem ermittelt werden, was den real existierenden Kapitalismus heute ausmacht. Und natürlich muß ebenso auf den Punkt gebracht werden, was getan werden muß, um einigermaßen erfolgreich attackieren zu können. Inge Viett hatte auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz Anfang des Jahres zurecht auf die Vielzahl von klugen linken Analysen der sozialen und politischen Realität hingewiesen, denen bisher aber viel zu wenig revolutionäre Praxis folgt. 1
Es ist eine Strategie und Taktik als Ausdruck von diesen klugen Analysen und dazu passenden politischen Schlußfolgerungen auszuarbeiten und es ist deren praktische Erprobung auf den Weg zu bringen. Das wäre die dritte Aufgabe, die ebenso kollektiv anzugehen ist.

4. Auf diesem Hintergrund erscheint es mir zweifelhaft, ob die im Papier angedachten potentiellen Partner in Gestalt von „LinkssozialistInnen / LinkskommunistInnen und Bewegungslinke“ überhaupt in nennenswertem Umfang auffindbar sind. 2
Die Autoren haben in ihrem Papier positiv Bezug auf die Grundsatzerklärung von ‚Avanti-Projekt undogmatische Linke’ von 2004/2007 3 genommen und nennen gleichzeitig ‚Klassenorientierung’ als eines ihrer unverhandelbaren Punkte. Da beißt sich das eine mit dem anderen gewaltig. Denn gerade die Gruppe ‚Avanti’ hatte sich ja seinerzeit bewußt aus dieser Tradition von Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung abgeseilt und in der besagten Grundsätzerklärung wird sich konsequent um das Thema ‚Klassenkampf in seinen zeitgemäßen Formen’ herumgemogelt. Wie dieser positive Spezialbezug auf die Gruppe ‚Avanti’ zu erklären ist, das werden die Autoren in einem späteren Aufschlag sicher noch erläutern, da sie ja ohnehin, wie sie selbst schreiben, nicht schon Pflöcke einschlagen wollten. Damit verbunden ist aber unter der Hand eine organisationspolitische Akzentuierung, die m.E. für das geplante Projekt so nicht günstig ist. Heute sind doch alle Fraktionen und Strömungen dieser antikapitalistischen Linken der ersten bis fünften Internationale ausgelaugt und in einem erbärmlichen Zustand. Wer will da wen außen vor lassen ? Der Rahmen der Angesprochenen muß gezielt erweitert werden. Das ist mein Vorschlag einer vierten Aufgabe solcherart Projekts.
Hiermit, mit dem Vorschlag von vier begründeten TOPS einer denkbaren Agenda, nehme ich an der von euch losgetretenen Diskussion teil und wünsche uns ein gutes Gelingen.

Frank Braun, Mitglied der SoKo
Köln, den 04.04.11

P.S.: Die Sozialistische Kooperation (SoKo) ist ein Art Konsultativgemeinschaft vor allem in NRW. Darüber hinaus arbeitet jede/r ihrer Mitglieder in lokalen Initiativen/Gruppen und bundesweiten Projekten. Vgl. dazu mehr unter www.sozialistische-kooperation.de

1 Vgl. Inge Viett in ‚junge Welt’ vom 04.01.2011 unter „Notwendiger Aufbauprozeß“
2 Im Papier wird die Erwartung geäußert, daß man an die tausend GenossInnen im Gründungsprozeß organisieren muß, wenn das ganze Projekt erfolgreich starten soll. Ich halte das für zu hoch gegriffen: Mir würden fünfhundert GenossInnen schon reichen. Aber vielleicht liegt die unterschiedliche Erwartungshaltung daran, daß ich mich nur als Kommunist und nicht als Linkskommunist sehe.
3 siehe unter http://www.avanti-projekt.de/avanti/grundsatzpapier



Neue antikapitalistische Organisation? - 06-04-11 21:58
Neue Antikapitalistische Organisation? Na endlich ! - 23-03-11 20:47




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