Von Udo Hase
Vorwort
Wenn wir von Klimagerechtigkeit reden, geht es vielen Linken unausgesprochen in erster Linie um sozial benachteiligte Menschen innerhalb der westlichen Welt. Das ist jedoch nicht mehr als die Fortsetzung der Weltsicht des postkolonialen Kapitals. Besonders beliebt ist diese Sicht bei den s.g. konservativen Linken. Aber auch außerhalb dieser Kreise gibt es ein paar Lieblingsargumente linker Klimainteressierter, die sich in erster Linie an den hergebrachte Feindbildschablonen orientieren. Klar, das Kapital, die Superreichen, die Konzerne sind richtig benannt. Dabei wird jedoch allzu oft ausgeblendet, dass es in den Industrieländern ohne deutliche Veränderung des imperialen Lebensstiles und der ihn stützenden Narrative vom Wohlstand durch materiellen Verbrauch nicht gehen wird. Ein weiterer Punkt, der bei Linken fast regelhaft auftaucht, ist eine unkritische, dem bürgerlichen Mainstream entnommene Haltung zu den taktischen Notwendigkeiten im aktivistischen Kampf gegen die Verursacher der Klimakatastrophe. Fest steht, die Welt segelt auf Geheiß der vom Kapital korrumpierten Regierungen stabil auf einem 3,5o – 5o Celsius – Kurs. Der wird uns nach unendlichem Leid für Milliarden Menschen am Ende alle umbringen. Jetzt radikal im Sinne des Wortes werden und langfristig den Gerechtigkeitsaspekt begreifen und würdigen, dass ist das Gebot der Stunde – auch und vielleicht vor allem für Linke und somit auch für DIE LINKE.
Andreas Malm und die Pipeline / Malm im Wortlaut: „Das Problem der Gewalt der Klimakrise ist: Sie geschieht nicht von Angesicht zu Angesicht. Wir werden nie einen achtminütigen Videoclip sehen, wo der Chef einer Ölfirma einen mosambikanischen Bauern erwürgt. Wir haben eine über die Atmosphäre vermittelte Gewalt, und wir sind nach wie vor in dem Denken befangen, dass sich die Verfeuerung von fossilen Brennstoffen in Luft auflöst, folgenlos bleibt, solange wir die Folgen nicht sehen. Und die spielen sich am stärksten fern von den Verursachern ab, im globalen Süden.“
„Bewegungen, die tief verankerte Strukturen verändern wollten, haben in der Geschichte immer eine Komponente der Sachgewalt gehabt: von der Abschaffung der Sklaverei über die Suffragetten bis zu den Kämpfen der Arbeiterklasse im frühen 20. Jahrhundert. Ohne drohende Revolte gibt es selten Reformen.“
Oxfamstudien und die Superreichen / Die Schuld an der globalen Erwärmung ist ungleich verteilt. Zumindest die Superreichen unter der Weltbevölkerung haben wesentlich größeren Anteil am Klimawandel als die Armen. Das geht aus einer Studie der Wohltätigkeitsorganisation Oxfam hervor. Demnach verursacht ein Milliardär "so viel Treibhausgase wie eine Million Menschen aus den ärmeren 90 Prozent der Weltbevölkerung".
Insgesamt würden die 125 untersuchten Milliardäre für 393 Millionen Tonnen Treibhausgase jährlich sorgen, heißt es im Bericht "Carbon Billionaires: The investment emissions of World's richest people", den Oxfam anlässlich der aktuellen UN-Weltklimakonferenz "COP 27" im ägyptischen Scharm El-Schaich veröffentlicht hat. Das entspreche der Menge, die Frankreich pro Jahr an Treibhausgasen emittiere. "Schon die Emissionen, die Milliardär*innen durch eigenen Konsum mit Privatjets, Superjachten und Luxusvillen verursachen, betragen das Tausendfache der weltweiten pro-Kopf-Emissionen", sagt Manuel Schmitt, Referent für soziale Ungleichheit bei Oxfam Deutschland. "Wenn man sich zudem die Emissionen ansieht, die durch ihre Investitionen mitverursacht werden, sind ihre Treibhausgasemissionen um ein Vielfaches höher". Sie entsprächen "dem Treibhausgas-Fußabdruck ganzer Länder", so der Referent.
Das Studienergebnis ist für Oxfam Anlass auch für Kritik und Forderung an die Politik. "Die maßgebliche Rolle extremer sozialer Ungleichheit und insbesondere die enorme Verantwortung der Superreichen für die Klimakrise werden in der Politik kaum berücksichtigt", so Schmitt. Das müsse sich ändern. "Die Superreichen müssen besteuert und Investitionen so reguliert werden, dass sich Geldanlagen, die den Planeten zerstören, nicht mehr lohnen oder verboten werden. Die Regierungen müssen außerdem Unternehmen zu Rechenschaftspflicht und Transparenz und zur radikalen Reduzierung ihrer Emissionen verpflichten." Genaugenommen muss so etwas wie „Superreichtum“ komplett verboten werden.
Die Sache mit den Essgewohnheiten als Exemplar des imperialen Lebensstils

Dass Fleisch nicht so gut fürs Klima ist, wissen wir bereits. Aber vielleicht macht es die Menüwahl künftig einfacher, zu wissen, wie viel Fleisch denn nicht so gut fürs Klima ist. Das hat der WWF längst ausrechnen lassen und in einer neueren Studie veröffentlicht.
Ihr ernährt euch vegan? Dann braucht ihr im Grunde nicht weiterzulesen, außer ihr benötigt harte Zahlen, um andere zu bekehren. Ihr ernährt euch vegetarisch? Auch ganz gut. Aber nicht einmal das erwarten die Autorinnen und Autoren der WWF Studie. Sie sagen: Wenn alle Flexitarier wären, dann würde das dem Klima schon mal ganz schön helfen. Aber was heißt eigentlich flexitarische Ernährung? Eigentlich nur: Der Verzicht auf tierische Lebensmittel ist die Regel, alles andere Luxus und darf ab und an mal sein. 817 Gramm Fleisch essen die Deutschen in der Woche – also Dinge wie Steaks, Wurst und Parmaschinken. Das wirkt sich allerdings äußerst schlecht aufs Klima aus und verursacht siebzig Prozent der Treibhausgase, die auf die Ernährung zurückzuführen sind. Als flexitarisch wird in der Studie eine Ernährung mit etwa der Hälfte des jetzigen Konsums bezeichnet, 470 Gramm Fleisch pro Monat. Zwei Buletten (Frikadellen, Fleischpflanzerl) und zwei Bratwürste wären das in etwa.
Eine solche Ernährungsform könnte den Ausstoß an ernährungsbedingten Treibhausgasen um 56 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente reduzieren, also um ganze 27 Prozent. Eine beträchtliche Zahl, wenn man bedenkt, dass die deutsche Landwirtschaft insgesamt 66 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente jährlich ausstößt. Mit einer Umstellung der Ernährung auf flexitarisch würde auch ein deutlich geringerer ernährungsbedingter Platzbedarf in Deutschland einhergehen: Fast 30.000 Quadratkilometer wären das, eine Fläche, etwas größer als Brandenburg.
Neben der Halbierung des Fleischkonsums legt der WWF nahe, mehr Hülsenfrüchte und Nüsse zu essen. Moment mal: Zählt zu den Hülsenfrüchten nicht auch Soja, einer der größten Klimakiller? Ja, allerdings nur, weil 96 Prozent als Tierfutter angebaut werden. "Soja für Tierfutter ist der mit Abstand größte Treiber für Emissionen aus veränderter Landnutzung", so Tanja Dräger de Teran vom WWF. "Ergo liegt hier auch der effektivste Hebel für den Einstieg in eine Ernährung, die Klima und Biodiversität besser schützt."
Gefordert wird ein Paradigmenwechsel in der Ernährung: Nicht eine Ernährung mit, sondern eine ohne Fleisch solle als normal gelten. "Beim Catering für Veranstaltungen oder auf Reisen gibt es automatisch ein vegetarisches Menü. Wer Fleisch möchte, kreuzt das extra an". Ein Umstand, der Menschen mit einer veganen oder vegetarischen Ernährung sicher entgegenkäme.
Empfehlungen für gesunde Ernährung und Nachhaltigkeit / Für die Studie wurden erstmals die Empfehlungen der Eat-Lancet-Kommission berücksichtigt. Diese Richtlinien wurden von Expertinnen und Experten unterschiedlicher, die Ernährung betreffender Bereiche aus 16 Ländern erstellt und zeigen, wie eine gesunde Ernährung unter Berücksichtigung der globalen Ressourcen und ihrer Grenzen funktionieren kann. Für alle Menschen, also nicht nur für Nordamerikaner, Europäer und andere globale Postkolonisatoren. Hintergrund ist zum Beispiel die oft gestellte Frage, ob der Proteinbedarf des Menschen ohne tierische Ernährung gedeckt werden könne. Die Antwort ist eindeutig: Ja – pflanzliche Proteine (Hülsenfrüchte, Nüsse) sind völlig ausreichend.
Die Studie weist außerdem darauf hin, dass die Auswirkungen unserer Ernährung auf das Klima nicht nur an den Polkappen oder in warmen Gefilden zu spüren sind, sondern auch vor unserer eigenen Haustür. Die Folgen der Dürrejahre 2018 - 2022 hätten nicht nur für erhebliche Ernteausfälle gesorgt, sondern auch in den Folgejahren nachgewirkt. Wenn wir zur Nahrungsproduktion Wasser verbrauchen, ist der Futtermittelanbau ein gigantischer Verschwender.
Kuhfutter statt Kullererbsen / Aber Fleisch hat etwas, was Linsen und Bohnen nicht haben: Nämlich verdammt viel Platzbedarf an den landwirtschaftlich nutzbaren Böden der Erde. Ein großer Anteil der landwirtschaftlichen Nutzfläche weltweit wird verwendet, um Lebensmittel aus tierischen Produkten herzustellen – und dazu zählen auch Milchprodukte. 83 Prozent der Flächen sind es zusammen, haben die Forschenden ausgerechnet. Den Rest dürfen sich Getreide, Radieschen, Gurken und Melonen für den menschlichen Verzehr teilen.
Effektive Ernährung mit Erbsen / Es könnte so viel besser sein, dachten sich Forschende der New York University und machten sich dran, zu berechnen, wie viel Fläche denn eigentlich genau auf der Erde zu finden ist, die erheblich effizienter als für Tierprodukte einzusetzen wäre. Denn Nutzfläche ist nicht gleich Nutzfläche. Das Forschungsteam ist davon ausgegangen, dass auf gewonnenen Flächen auch Wald entsteht, der sich wiederum positiv auf das Klima auswirkt. Die Chancen, dass Wald die Flächen besiedelt und sich vermehrt und damit ein nachhaltiges Ökosystem mit sich zieht, sind nicht überall gleich. Gerade in Ländern mit mittlerem und hohem Einkommen, stehen jedoch die Chancen besonders gut. Konkret heißt das: Wir müssten unsere Ernährung umstellen, hin zu pflanzlichen Proteinen, die dramatisch weniger Platz benötigen als der „Umweg“ über die Tierproduktion. Die gewonnenen Flächen müssen wir zu guten Teilen dem Wald zu Verfügung stellen. Uns wird es also an Nährstoffen nicht mangeln, wir würden sie nur effizienter gewinnen und damit einen doppelten Effekt auf das Klima erzielen: Weniger Flächenverbrauch mit höheren Protein- und Kalorienerträgen und Flächen zur Ansiedlung von Wäldern, die das Klima positiv beeinflussen. Von den Methanfürzen der Schweine- und Rindermassen ganz zu schweigen.
Kampf fürs Klima – und gegen Pandemien / Immerhin würde dadurch ein weltweites Potenzial von sieben Millionen Quadratkilometern Wald entstehen. Das ist eine Fläche, die so groß wie Australien ist. Den Berechnungen zu Folge würden dadurch jahrzehntelange Luftverschmutzung sogar rückgängig zu machen sein. Wenn, wie im flexitarischen Szenario, die Nachfrage nach Fleisch drastisch sinken würde – und damit auch der Landbedarf – könnten neun bis 16 Jahre CO2-Emissionen kompensiert werden. Das wäre ein gewaltiger Schritt im Kampf gegen den Klimawandel. Hier geht es vor allem darum, regional zu beurteilen und zu entscheiden, was sinnvoll ist. Es gibt Regionen auf der Welt, in der Tierhaltung kulturell und wirtschaftlich wichtiger ist als in Europa und die Kompensationsmöglichkeiten für diese Veränderungen unterscheiden sich, je nach „Wohlstand“ erheblich.
Also sollten wir uns an unsere eigenen, westlichen Nasen fassen. "Die Wiederherstellung der einheimischen Vegetation auf ertragsarmen landwirtschaftlichen Flächen ist derzeit unsere sicherste Möglichkeit zur Entfernung von CO2", sagt Helen Harwatt, Co-Autorin der Studie. William Ripple, Mitautor, ergänzt, dass so nicht nur der Klimawandel bekämpft werden könne: "Eine geringere Fleischproduktion wäre auch für die Wasserqualität und -quantität, den Lebensraum der Wildtiere und die Artenvielfalt von großem Vorteil."
Voraussetzung ist ein Umdenken in der kritiklosen Übernahme hergebrachter Ernährungs- gewohnheiten und die Auseinandersetzung mit der eigenen Fleischlust. Das galt bislang, trotz einer steigenden Zahl von Vegetariern und Veganern als eher aussichtslos. Gerade vor dem Hintergrund der Covid-19-Pandemie könnten hier aber die Karten auch neu gemischt werden und mehr Menschen zu einem Umdenken bereit sein, wenn einmal klar gemacht wird, dass exzessiver Fleischkonsum zwangsläufig zu Pandemien führt und weiterhin führen wird. Denn, so die Forschenden, man wisse jetzt, dass intakte Ökosysteme und ausreichende Lebensräume für Wildtiere eine elementare Voraussetzung sind um Pandemien zukünftig zu vermeiden.
Andreas Malm (* 1977 in der Gemeinde Mölndal[1]) ist ein schwedischer Humangeograph, Humanökologe, Politikjournalist und Sachbuchautor. Der promovierte Wissenschaftler lehrt als Senior Lecturer im Master-Studium Humanökologie an der Universität Lund. Als politischer Journalist war er der syndikalistischen Sveriges Arbetares Centralorganisation verbunden und schrieb für die wöchentlich erscheinende anarchosyndikalistische Zeitung Arbetaren, 2010 trat er in die trotzkistische Socialistiska Partiet (SP) ein und begann für deren Wochenzeitung Internationalen zu schreiben. Malm ist zudem Autor des sozialistischen US-amerikanischen Magazins Jacobin. Als Sachbuchautor setzte er sich anfangs kritisch mit der Nahostpolitik auseinander und wandte sich dann dem Zusammenhang von Klimakrise und Kapitalismus zu. Rahel Jaeggi nennt ihn eine prominente Stimme eines erneuerten ökologischen Marxismus. Basierend auf seinem gleichnamigen Buch entstand 2022 der Thriller How to Blow Up a Pipeline, inszeniert von Daniel Goldhaber. Die Uraufführung erfolgte am 10. September 2022 beim Toronto International Film Festival 2022 in der Sektion Platform.
Was ist ein CO2-Äquivalent? So bezeichnet man das Treibhauspotenzial – den relativen Beitrag zum Treibhauseffekt, also welche Masse eines oder mehrerer Gase (z.B. Methan durch Rinderhaltung) die Wirkung einer Vergleichsmasse CO2 hat, was den Beitrag zur globalen Erwärmung betrifft.