Stiftung oder Vergesellschaftung?
von Helmut Born
In SoZ 11/22 hat Hanno Raußendorff die Broschüre zur Zukunft der Stahlindustrie von Christian Leye, MdB, und Ulrike Eiffler, Mitglied des Sprecher:innenrates der Bundesarbeitsgemeinschaft Betrieb und Gewerkschaft, vorgestellt. Darin plädieren beide für die Bildung einer Stahlstiftung, nach dem Vorbild der saarländischen Industriestiftung.
Diese Position geht zurück auf eine alte Debatte in der Linkspartei in Nordrhein-Westfalen, im Gefolge der Krise, in der sich Thyssen-Krupp bis 2020 befand. Inzwischen hat es bedeutende Umstrukturierungen, bis hin zu Betriebsschließungen, und eine wirtschaftliche Belebung in der Stahlindustrie gegeben. Das hat dazu geführt, dass der Konzern nun wieder deutliche Gewinne ausweist. Was bleibt, ist der Umbau auf eine auf Wasserstoff basierende Produktion, damit auch die Stahlindustrie einen Beitrag zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes leistet.
Die Stahlindustrie gehört, neben der Chemie- und Energieindustrie, zu den Bereichen, die einen sehr hohen Beitrag zur Klimaerwärmung leisten. Die Umstrukturierung der Stahlindustrie findet mit staatlicher Unterstützung statt, sonst würde es diesen Umbau nicht geben. Zumindest ist das die Erzählung der Konzernspitze und auch der IG Metall. Die Frage, wie in Zukunft die Stahlindustrie in Deutschland aussehen soll, bleibt also auf der Tagesordnung, und damit auch die Frage der Eigentumsverhältnisse.
Utopie oder reale Möglichkeit?
In einem Debattenbeitrag zu dieser Diskussion haben mehrere Mitglieder der Antikapitalistischen Linken (AKL) in NRW eine andere Position vertreten, nämlich die nach Vergesellschaftung der Stahlindustrie. Sie knüpfen damit an eine alte Debatte in der IG Metall an, die schon in ihrem Stahlmanifest von 1985 die Vergesellschaftung forderte. Die Vergesellschaftung sollte u.a. dem Zweck dienen, die Arbeitsplätze zu erhalten, ist doch der Arbeitsplatzabbau in der Stahlindustrie besonders heftig – von 288000 im Jahr 1980 bis auf 80000 heute.
Aber in der IG Metall hat sich der Wind gedreht, in der letzten Stahlkrise, die eigentlich eher als Krise von Thyssen-Krupp bezeichnet werden müsste, hat die Gewerkschaft nur noch eine Beteiligung des Landes NRW gefordert.
Demgegenüber vertreten die Autoren des genannten Debattenbeitrags weiterhin die Forderung nach Vergesellschaftung der Stahlindustrie, da Stahl auch in Zukunft für viele gesellschaftlich wichtige Produkte wie Gleise, Züge, Busse, Fahrräder, den Wohnungsbau usw. gebraucht wird. Erforderlich sei eine Ausrichtung auf sozialökologische Unternehmensziele, die sowohl den Interessen der Belegschaften nach sicheren Arbeitsplätzen als auch den ökologischen Erfordernissen entspricht. Es wird weniger Ressourcenverbrauch, mehr Recycling und eine reduzierte, wasserstoffbasierte Produktion mit Beschränkung auf die gesellschaftlich wichtigen Bereiche gefordert. Sie soll nicht weiter den Profierwartungen der Konzerne unterworfen werden, sondern den gesellschaftlichen Erfordernissen entsprechen.
Welche Form der Vergesellschaftung?
In ihrem Beitrag umschreiben die Autoren ihre Vorstellung der Vergesellschaftung wie folgt:
»Vergesellschaftung bedeutet für uns keineswegs nur den einfachen Ersatz von privatem Kapital durch öffentliche Mittel bzw. Anteilseigner. Erreicht werden muss auch die Demokratisierung von Management und Entscheidungsstrukturen. In welcher Form dies erreicht wird, wird in den Betrieben demokratisch entschieden werden müssen. Praktisch kann das auf ein betriebliches Rätesystem hinauslaufen. Die Beschränkung der Produktion auf gesellschaftlich relevante Güter und die damit verbundene Abschaffung der kapitalistischen Überproduktion erfordern ebenfalls eine radikale Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich. Kurzfristig würde das die Einführung der 4-Tage-Woche bedeuten. Die Sicherung der Arbeitsplätze und die parallel nötige Dekarbonisierung verlangen einen mittelfristigen Prozess, in dem die sozialen und die ökologischen Ziele statt Profitinteressen absolute Priorität haben.«
Im Gegensatz zu einer Stiftung bedeutet eine solche Vergesellschaftung unter der Kontrolle der Belegschaften einen Bruch mit den kapitalistischen Mechanismen. Eine Stiftung lässt es kaum zu, dass eine demokratische Kontrolle der Belegschaft gewährleistet ist. Hier entscheidet der Stiftungsvorstand, wohin die Investitionen fließen sollen. Das zeigt sich auch im Saarland, wo es maximal bessere Mitbestimmungsmöglichkeiten von Betriebsräten und Gewerkschaften gibt. Auch hier gibt es einen massiven Arbeitsplatzabbau und keine Senkung der wöchentlichen Arbeitszeit zum Erhalt der Arbeitsplätze.
Der entscheidende Unterschied ist: Die Vergesellschaftung von Betrieben unter der Kontrolle der Belegschaften stößt die Tür zu einer Wirtschaft auf, die nicht der Profitmaximierung, sondern der Befriedigung gesellschaftlicher Interessen dient.
Erstveröffentlich in SoZ 1/23
https://www.sozonline.de/2023/01/die-zukunft-der-stahlindustrie/