Kipppunkte, Klimagerechtigkeit und die Letzte Generation
Von Jürgen Tallig
Der Widerspruch zwischen Geist und Macht ist nicht auflösbar, das könnte die bittere Bilanz sein nach der Klimakonferenz, angesichts einer Menschheit die sehenden Auges, in wilder Konkurrenz weiter in Richtung einer lebensfeindlichen Erde unterwegs ist und sich selbst angesichts der Klimakatastrophe unfähig zeigt, einer kollektiven Vernunft der Überlebenssicherung zum Durchbruch zu verhelfen.
„Wir befinden uns auf dem Highway in die Klimahölle,- mit dem Fuß auf dem Gaspedal.“
So hat UN- Generalsekretär Gutteres bekanntlich den Stand der Dinge vor und auch nach der nun schon 27. UN-Klimakonferenz (COP) im ägyptischen Scharm-el-Scheich zusammengefasst, die kurz gesagt ein Desaster für das Klima war.
Die Akteure einer entfesselten, weltweiten Konkurrenz wollen auf der vermeintlichen Erfolgsspur bleiben und sind unfähig und unwillig zu erkennen, dass ihr fossil- mobiler „Way of Life“ in den entropischen Abgrund führt. Dabei stehen alle Warnsignale längst auf Rot.
Durch die Coronapandemie, den schrecklichen Bruderkrieg in der Ukraine und die folgenden globalen Veränderungen auf den Energie- und Rohstoffmärkten, wurden die Klimaproblematik und ihre existentielle Dringlichkeit noch weiter in den Hintergrund gedrängt.
Der aufrüttelnde Sechste Sachstandsbericht des Weltklimarates (IPCC) wurde kaum wahrgenommen und auch weitere alarmierende Klimastudien haben die Öffentlichkeit und auch die Politik offenbar nicht wirklich erreicht. Die Ampel schaltete nicht auf Grün für das Klima, sondern auf Grün für die Sicherstellung weiterer fossiler Energieversorgung und für die Aufrechterhaltung des Wirtschaftswachstums, auch wenn dies inzwischen unübersehbar in die Klimakatastrophe führt.
Auf diese lebensbedrohliche Fehlorientierung der Politik hinzuweisen, ist ein unbestreitbares demokratisches Verdienst der Aktivisten der „Letzten Generation“, die den „Burgfrieden“ eines korporativen fossil-mobilen Kapitalismus zu Recht stören und einen sofortigen Kurswechsel fordern.
Fossile Konterrevolution
Zumal die Anzeichen für einen Rollback in der Klimapolitik immer unübersehbarer werden.
Die Klimakonferenz in der ägyptischen Wüste war das jüngste Beispiel für den Willen von Kapital und Wirtschaft möglichst jede klimapolitische Limitierung zu verhindern und führte zum wohl größten und folgenreichsten Politikversagen der Weltgeschichte beim finalen Klima- Poker. Vielleicht wollte man aber auch gar keine Ergebnisse, sondern diese gerade verhindern. Es scheint fast so.
Welch verbrecherischer Coup.
Die Konferenz brachte außer einer unverbindlichen Bekräftigung des 1,5 Grad-Ziels und einigen unverbindlich zugesagten Almosen für die Opfer der Klimakatastrophe, kein Umsteuern zuwege.
Das gastgebende Militärregime, das vom Westen unterstützt wird, tat alles, um substantielle Ergebnisse zu verhindern,- so wurde ein Vorschlag Indiens und 80 weiterer Länder zum Ausstieg aus allen fossilen Brennstoffen regelrecht sabotiert. Alleine 636 Lobbyisten für Öl und Gas waren anwesend,- offenbar erfolgreich. Es gab deutsche Geschäftsanbahnungen für Erdgas aus Afrika. Und auch in Katar war Deutschland erfolgreich, wenn schon nicht im Fußball, dann wenigstens bei einem großen Deal mit fossilem Erdgas. ,- die Entwicklungen gehen also weiter in die völlig falsche Richtung.
Es zeigt sich eine neue Allianz von reichen ÖL- und Gasstaaten und westlichen Industrieländern.
Es ist sicher nicht übertrieben, von einer fossilen Konterrevolution und einem weitgehenden Scheitern der internationalen Klimapolitik zu sprechen, -trotz erschreckender Klima-Berichte und der unübersehbaren Zuspitzung der Klimakrise.
Die Welt erlebt derzeit eine Art Klima- Amoklauf, mit ungebremsten Investitionen in fossile Brennstoffe und Strukturen, erpresserischem Preissenkungsdruck des Westens (nicht nur gegen Russland) sowie ungebremster Naturzerstörung. Die G7 versuchen ein neues „Preiskartell“ zu installieren, um fossile Energie noch billiger zu machen, anstatt eine globale CO2- Steuer und eine Verteuerung der fossilen Energie, als Königsweg des Klimaschutzes zu betreiben.
Klimapolitik scheint nur noch eine Art Alibi- und Feigenblattfunktion zu haben, beim Great Game um den globalen Kuchen.
Wir sind weiter völlig ungebremst in Richtung Klimakatastrophe unterwegs. Laut einer aktuellen Studie der Weltmeteorologieorganisation WMO, https://library.wmo.int/index.php?lvl=notice_display&id=22083#.Y5HsjMuZMY0
könnte eine Erderwärmung von 1,5 Grad jedoch bereits innerhalb der nächsten fünf Jahre erreicht sein und damit eine eskalierende Klimakettenreaktion drohen.
Die Letzte Generation erinnert uns daran.
Die Mächtigen der Welt verschleiern, unterdrücken und bekämpfen die „unbequeme Wahrheit“ (siehe mein Kommentar/Artikel „Die Wahrheit stirbt zuerst“ auf dem Blog Postwachstum).
https://www.postwachstum.de/prioritaet-fuer-wachstum-oder-klimaschutz-20190215
Gefährdung unseres Lebens und unserer Zukunft
Unsere imperiale Wirtschafts-und Lebensweise hat einen zerstörerischen, parasitären Charakter und verheerende planetare Auswirkungen,- sie überlastet und schädigt weltweit die Biosphäre und destabilisiert das Klima- und Erdsystem, gefährdet also das Leben und das Überleben der Menschheit und ist nicht länger möglich.
BRIEF AN DIE BUNDESREGIERUNG von Letzte Generation Herbst 2022 (Auszüge):
https://letztegeneration.de/brief-an-die-bundesregierung/
„…Die Erderhitzung schreitet ungebremst voran. Diesen Sommer war es in Europa so heiß wie noch nie. Urlaubsregionen haben gebrannt, das Grundwasser sinkt teils auf dramatische Pegel und tausende sind an der Hitze gestorben. In Pakistan sind 33 Millionen Menschen von einer Flutkatastrophe betroffen. Über 1500 Menschen starben, darunter 528 Kinder. Den Bereich sicherer klimatischer Bedingungen haben wir längst verlassen.
Sie versprachen uns …, Anstrengungen zu unternehmen, die globale Erderhitzung auf +1,5°C zu begrenzen. Doch das haben Sie nicht getan. Die 1,5°C werden in den kommenden Jahren überschritten werden – voraussichtlich bis 2030 (spätestens J.T.). Wenn wir 1,5° Erderhitzung aber bereits 2030 erreichen (und damit eine eskalierende Klimakettenreaktion auslösen J.T.), was ist “Klimaneutralität 2045” dann anderes als die Gefährdung unseres Lebens und unserer Zukunft? „.
So ist es, wir können das Klimasystem ganz gewiss nicht noch weitere 23 Jahre überlasten.
Immer weiteres Wachstum gibt es nur noch auf Kosten anderer, des Südens, der Natur und der kommenden Generationen.
Das Klima-Endspiel
“Code Red” – „Alarmstufe Rot“, so beschreibt der Weltklimarat IPCC in seinem jüngsten, nunmehr schon sechsten Sachstandsbericht die Situation. https://de.wikipedia.org/wiki/Sechster_Sachstandsbericht_des_IPCC
Hier eine Passage aus der Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger:
„Falls die globale Erwärmung über 1,5 °C hinausgeht, auch vorübergehend in Form eines Overshoots, dann werden eine Vielzahl menschlicher wie auch natürlicher Systeme zusätzlichen schwerwiegenden Risiken ausgesetzt sein. Abhängig davon, wie groß die Temperaturüberschreitung ausfällt oder wie lange sie andauert, werden manche Klimawandelfolgen eine zusätzliche Freisetzung von Treibhausgasen bewirken. Wieder andere Folgen werden unumkehrbar sein, selbst gesetzt den Fall, dass die Erwärmung später wieder verringert wird.“
Ein „weiter so“ ist also unverantwortlich und führt in die permanente ökologische Katastrophe und zerstört die Reproduktionsfähigkeit der Lebensgrundlagen,- auch bei uns.
UN-Chef Guterres schlussfolgerte aus dem Bericht:
„Klimaaktivisten werden manchmal als gefährliche Radikale dargestellt. Aber die wirklich gefährlichen Radikalen sind diejenigen, die die Produktion von fossiler Energie weiter erhöhen.“
Und nicht drastisch reduzieren, ist hinzuzufügen.
Noch nie sei die Konzentration an Treibhausgasen in der Erdatmosphäre so schnell gestiegen wie in den vergangenen Jahren. Die Weltklimaorganisation WMO warnte bereits 2017: Wenn der CO2-Gehalt weiter rapide steigt, könnten beispiellose Klimaveränderungen “mit schweren ökologischen und wirtschaftlichen Störungen” ausgelöst werden. Eine derart hohe Treibhausgaskonzentration wie heute gab es zum letzten Mal vor etwa drei bis fünf Millionen Jahren (Klimaerwärmung, Wir vererben einen unwirtlichen Planeten ZEIT ONLINE, 30.10.2017).“
https://www.zeit.de/politik/ausland/2017-10/klimaerwaermung-treibhausgas-konzentration-atmosphaere-weltwetterorganisation?page=2&utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F
Eine brandaktuelle Studie namhafter Klimawissenschaftler mit dem Titel „Klima-Endspiel“ (2022)
verweist auf die bisherige Vernachlässigung und Unterschätzung von Kipppunkten im Klima- und Erdsystem und auf eine bisher viel zu optimistische Einschätzung von Risiken. Eine schnelle Erderwärmung von 3 Grad gefährdet möglicherweise bereits das Überleben der Menschheit
(siehe: Klimakrise: Was passiert bei drei Grad Erderwärmung, Spektrum der Wissenschaften)
https://www.spektrum.de/news/klimakrise-was-passiert-bei-drei-grad-erderwaermung/2044870
Eine weitere neue Klimastudie hat mehr als 200 Forschungsberichte
einbezogen, um abzuschätzen, wann sogenannte Klima-Kipppunkte (CTP) erreicht werden. In der Zeitschrift Science warnen die Autoren, u.a. Johan Rockström, Timothy M. Lenton, David Armstrong McKay, von denen einige 2008 die erste große Arbeit über Kipppunkte veröffentlicht hatten, dass die sich selbst verstärkenden Rückkopplungen schon beginnen und bei über 1,5 Grad Erhitzung irreversibel werden. (Siehe: Neue Klimastudie: Warum wir jetzt handeln müssen, t3n, 09.09.2022)
https://t3n.de/consent?redirecturl=%2Fnews%2Fklimastudie-warnt-5-kippunkte-15-grad-erreicht-klimawandel-1497539%2F
Wir befinden uns längst auch hierzulande in einer chronischen Klima- und Wasserkrise und haben offensichtlich die atmosphärische Zirkulation grundlegend verändert, wie das absonderliche Jo-Jo-Wetter zeigt, das uns regelmäßig arktische Polarluft beschert und die Niederschläge verschoben hat.
Die Klimakatastrophe verhindern- nicht nur ein Recht, sondern eine Pflicht
Die Letzte Generation verteidigt die Rechte und Ansprüche der Jungen und all der kommenden Generationen, die gerade auf dem Altar der Gegenwartsinteressen und des Profits geopfert werden. Sie schreiben weiter in ihrem Brief an die Bundesregierung:
„Wir sind erschüttert, dass Sie als Verantwortliche nicht alles tun, was möglich ist, um uns vor dem Klimakollaps zu schützen. Die Landwirtschaft ist weiterhin nicht nachhaltig, der Verkehrssektor wird nicht umgebaut, gutes Essen wird weiterhin weggeworfen, es wird neue fossile Infrastruktur gebaut…
Wir sind erschüttert, dass Sie als Verantwortliche in diesem Land nicht einmal anstreben, das Notwendige zu tun, um diesen Kollaps des Klimas zu verhindern. Dass die Ziele, die Sie sich setzen, nicht mit der Realität vereinbar sind. Handeln wir jetzt nicht entschlossen und tun nicht alles, was in unserer Macht steht, werden wir unsere Lebensgrundlagen unwiederbringlich vernichten.“
Völlig berechtigte Vorwürfe angesichts der Warnungen der Wissenschaft (siehe:World Scientists’ Warning of a Climate Emergency, 2022).
https://academic.oup.com/bioscience/article/72/12/1149/6764747?login=false
Zudem hatte ja auch das höchste deutsche Gericht in seinem Beschluss zum Klimagesetz von 2021 die Politik zum Handeln aufgefordert, siehe der folgende Auszug aus der Pressemitteilung des Bundesverfassungsgericht:
"III. Grundrechte sind aber dadurch verletzt, dass die nach § 3 Abs. 1 Satz 2 und § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG in Verbindung mit Anlage 2 bis zum Jahr 2030 zugelassenen Emissionsmengen die nach 2030 noch verbleibenden Emissionsmöglichkeiten erheblich reduzieren und dadurch praktisch jegliche grundrechtlich geschützte Freiheit gefährdet ist. Als intertemporale Freiheitssicherung schützen die Grundrechte die Beschwerdeführenden hier vor einer umfassenden Freiheitsgefährdung durch einseitige Verlagerung der durch Art. 20a GG aufgegebenen Treibhausgasminderungslast in die Zukunft. Der Gesetzgeber - (also die sich jetzt äußernden Politiker, inkl. Bundespräsident) hätte Vorkehrungen zur Gewährleistung eines freiheitsschonenden Übergangs in die Klimaneutralität treffen müssen, an denen es bislang fehlt."
https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2021/bvg21-031.html
Die EU und Deutschland haben sich bekanntlich zu Emissionsreduzierungen um 50 bzw. 65 % bis 2030 verpflichtet und zu Null Emissionen bis 2050 bzw. bis 2045, was zwar völlig unzureichend ist, wozu aber natürlich schnellstmöglich emissionsarme Verkehrssysteme notwendig sind. Es gilt, die Subventionen für fossile Energie und fossilen Verkehr sofort umzulenken für erneuerbare Energien und klimafreundlichen Verkehr,- dann wäre sogar ein kostenloser ÖPNV möglich.
Auch eine wirksame, steigende CO2-Steuer könnte direkt zur Finanzierung des ÖPNV beitragen.
Fragt sich nur, welches Gericht real die regierenden Rechtsverletzer auf ihre Verpflichtungen hinweisen und sie zur Verantwortung ziehen wird, für die andauernde Verletzung internationalen und nationalen Rechts. Derzeit werden die Klimaschützer, die auf diese Rechtsverletzungen aufmerksam machen, bestraft und sogar in Vorsorgehaft genommen (bei den Nazis hieß das Schutzhaft),- ja wo leben wir denn?
Der Kampf um Klimaschutz, ist auch ein Kampf um die Demokratie
Was gerade passiert ist Hetze und üble populistische Meinungs- und Stimmungsmache
und kein demokratischer Aushandlungsprozess,- darüber sollten wir uns keine Illusionen machen.
Gegen die Macht der Politik und der Medien anzukommen ist natürlich schwierig,- fossil-mobile Großkonzerne und großes Geld haben einen übermäßigen, undemokratischen Einfluss auf die öffentliche Meinung und politische Entscheidungsprozesse (Lobbyismus).
Klimaschutz zu realisieren bedeutet demnach zuallererst auch, den Schutz und den Ausbau der Demokratie gegen den demokratisch nicht legitimierten, allein auf Macht und Geld beruhenden Zugriff kleiner, aber sehr mächtiger Minderheiten.
Noch einmal aus dem BRIEF AN DIE BUNDESREGIERUNG von Letzte Generation vom Herbst 2022:
„…Es wird ohne unser Zutun immer heißer werden, Milliarden Menschen werden leiden und sterben. Unsere freiheitlich demokratische Grundordnung wird ins Wanken geraten. …
Welches Recht haben wir, ein solches Unheil über zahllose Menschen zu bringen? …Wir alle sind die letzte Generation, die das Schicksal der Menschheit noch anders entscheiden kann.
Wir als Bürgerinnen und Bürger dieser Demokratie tragen Verantwortung. Wir erachten es als unsere Pflicht, alles Gewaltfreie zu tun, was in unserer Macht steht, um dieses Unrecht zu beseitigen.
Die Vernichtung unserer Lebensgrundlagen einfach hinzunehmen, können wir nicht mit unserem Gewissen vereinbaren.
Wir erwarten…, dass Sie die Demokratie stärken, den Menschen Vertrauen schenken, über ihre Lebensbedingungen in Bürger:innenräten zu entscheiden, dass Sie die Gesellschaft gerechter machen, statt Wenige von der Ausbeutung und dem Leid Vieler profitieren zu lassen…“.
Es ist allerhöchste Zeit, zu erkennen, dass es unendliches Wachstum in einer endlichen Welt nicht geben kann, aus politischen, ökonomischen und ökologischen Gründen. Es bedeutet früher oder später Krieg und es bedeutet vor allem eine irreversible Zerstörung der Lebensgrundlagen.
Früher oder später prallen die Interessen auch militärisch aufeinander, wenn man sich nicht beschränken und verständigen will. Es gilt einen Weltenbrand gleich in mehrfacher Hinsicht zu verhindern. Wir entscheiden jetzt über Leben und Tod, über die Zukunft all der vielen Milliarden Menschen, die noch nach uns auf der Erde leben wollen.
Die letzte Generation die die Klimakatastrophe noch verhindern kann
Zum Glück sind wir Menschen und zu Mitgefühl, Solidarität und Liebe fähig; wir sind mehr oder weniger mit Gerechtigkeitssinn und einem Empfinden für Wahrheit und Lüge begabt, nicht wenige auch mit Mut und Uneigennützigkeit,- wir sind nicht nur eine manipulierbare Manövriermasse.
Nein, es gibt einen menschlichen Faktor, mit dem man rechnen sollte…
Mich erinnert die gegenwärtige Situation sehr an die Endzeit der DDR, wo eine nicht lernfähige Machtelite die Zeichen der Zeit nicht erkannte und sich festklammerte an nicht zukunftsfähigen Strukturen und diese mit allen Mitteln verteidigte. Das scheint mir heute ganz ähnlich zu sein.
Auch damals waren es vor allem unangepasste junge Menschen, die für eine Demokratisierung und Reform des Landes aktiv wurden und Ihre Angst überwindend, Freiräume und Veränderungen erkämpft haben und sich die Freiheit nahmen, über ihre Angelegenheiten mit zu entscheiden.
Sie legten den Finger in die Wunden und zwangen das verkrustete System und jeden Einzelnen, sich zu bewegen. Später nannte man sie „Helden der friedlichen Revolution“.
Auch heute befinden wir uns in einer Entscheidungssituation, bei der es aber um sehr viel mehr geht.
Der jüngst verstorbene Michael Gorbatschow sagte seinerzeit sinngemäß: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ Ein Satz, der auch heute noch gültig ist und der angesichts von Umwelt- und Klimakrise und Krieg noch eine ganz andere, neue und bedrohliche Dimension bekommen hat.
Wieder sind es vor allem junge Menschen, wie die von „Ende Gelände“ und „Letzte Generation“, die mit hohem Einsatz notwendige Veränderungen und die Einhaltung gesetzlicher Verpflichtungen einfordern. Sie haben das Recht auf ihrer Seite, wenn sie mit friedlichen Mitteln auf die Rechtsverletzungen der Mächtigen aufmerksam machen und gegen die Fortsetzung des
Klimaverbrechens und die Zerstörung ihrer Zukunft protestieren (bloß lasst die Kunst aus dem Spiel!).
Respekt und Bewunderung haben sie ganz gewiss verdient,- doch das alleine reicht nicht.
So gibt es einen Aufruf „Klimaschutz ist kein Verbrechen – Solidarität mit der „Letzten Generation“ von Kulturschaffenden und Künstlern, den bereits 1300 mehr oder weniger Prominente unterschrieben haben: https://klimaschutzistkeinverbrechen.com/
Jeder sollte jetzt entscheiden, was er tun kann für die Bewahrung des Lebens und die Verhinderung der Klimakatastrophe. Es gilt einen Weg des Friedens zwischen den Menschen und mit der Natur zu finden.Der erste Schritt ist vielleicht, sich darüber klar zu werden, dass unsere vermeintliche Normalität keineswegs normal ist, sondern Alarmstufe Rot für das Leben, den Planeten und die Menschheit bedeutet. Wir sind die letzte Generation die die Klimakatastrophe noch verhindern kann, sagte einst Barack Obama.
Entscheidung für das Leben
Die Letzte Generation soll auch das letzte Wort haben, mit Worten die mich sehr berührt haben.
(Es folgen Auszüge aus einem Brief vom 19.11.2022 von Judith Beadle, Charlotte Schwarzer, Miriam Meyer und Elena Thor, vier Aktivistinnen von Letzte Generation, die zu der Zeit in Vorsorgehaft in der Justizvollzuganstalt (JVA) Stadelheim einsaßen, inzwischen aber nach starkem gesellschaftlichem Druck freigelassen wurden):
„ … wenn wir die Chance zum Handeln jetzt verstreichen lassen und in 2-3 Jahren klar ist, dass wir die kritische Grenze überschreiten werden und die Erderwärmung nicht mehr auf ein für uns lebensfreundliches Maß begrenzen können, dann werden wir nicht nur unsere Lebensgrundlage verlieren, sondern auch unsere Hoffnung und Menschlichkeit.
Wir sind eingesperrt, aber auch die Freiheit geben wir nicht auf. Denn was ist das für eine Freiheit, in der wir ungehindert einem zerstörerischen Alltag nachgehen können, in einem System, das mit „Freiheit“ Privilegien meint und uns rücksichtslosen Egoismus als Selbstverwirklichung verkauft? Wenn „Freiheit“ Zerstörung bedeutet und Leid und Tod unzähliger Menschen voraussetzt, dann verabschieden wir uns ohne Bedauern von ihr.
Wir geben nichts auf und wir geben nicht auf. Wir kämpfen für Vernunft und Liebe, angetrieben von der Zuversicht, dass sich die Menschheit noch in diesem letzten Moment für das Leben entscheidet. Wir sind friedlich und entschlossen und wir stellen uns gegen eine Normalität, die nicht länger sein darf. Wir haben uns entschieden: Lieber sind wir Straftäter vor dem Gesetz als mitschuldig am größten Verbrechen der Menschheit. Und wir bitten euch: Schaut hin und entscheidet auch ihr euch für das Leben.“
Jürgen Tallig der Autor war Mitbegründer des Neuen Forums in Leipzig
Weitere Informationen: www.earthattack-talligsklimablog.jimdofree.comDa