Antisemitismus an Hochschulen: no problem – Antizionismus: no chance
Von Johannes Schillo
Der Fall Heidegger gilt im akademischen Betrieb als der vielleicht „dornigste in der Geschichte der Philosophie“ (philomag.de). „Zweifellos“ war der Mann „ein Nazi“, heißt es heutzutage – das aber nur als Auftakt dazu, letztlich die Größe seines Denkens zu feiern und ihn mitsamt seinem metaphysischen Antisemitismus als anerkannten Besitzstand der Philosophiegeschichte zu würdigen (siehe Scharf links, 5.1.21).
So gibt es, alles in allem, eine Kontinuität seit 1933, als Professor Heidegger in seiner berühmten Freiburger Rektoratsrede den Anbruch der Naziherrschaft als Einlösung seiner philosophischen Blütenträume begrüßte – und als Ernst Bloch kommentierte: Natürlich hat Hitler (wie Wilhelm II. zum Kriegsbeginn 1914) sofort „die Universitätshure“ gefunden, „die den Kitsch latinisiert und den Betrug mit Finessen à la Schmitt oder Freyer oder Heidegger verbessert“. (Bloch 1973, 74)
Wie die aktuelle Würdigung des „Philosophie-Magazins“ vorführt, soll die Tatsache, dass der „heimliche König“ (H. Arendt) im Reich der Philosophie ebenfalls seinen festen Platz im Dritten Reich hatte und sich von seiner Befürwortung des NS-Aufbruchs auch später nie distanzierte, sofort weiteres Fragen notwendig machen: danach, ob nicht beide Rollen nur zufällig korrespondierten, ob nicht das eine vom anderen unabhängig war? Das führt dann zu dem Fazit, man solle sich in diesem Fall trotz alledem – auch wenn man sich der leidigen Nazi-Angelegenheit bewusst ist – „an der Kraft einer Philosophie erfreuen, die uns einlädt, die Geschichte der Metaphysik neu zu überdenken“.
Trotz alledem
Im deutschen Wissenschafts- und Kulturbetrieb ist mittlerweile klargestellt, dass Heidegger ein bekennender Faschist war. Seit Ende des 20. Jahrhunderts werden die einschlägigen Dokumente veröffentlicht, die diese Haltung belegen (siehe „Sein zum Faschismus“). So hat sich der hiesige Modus der Reinwaschung etwas geändert. Wurde die faschistische Einstellung des Philosophen früher ignoriert, dann als biographisches Randproblem abgetan, so muss heute zuerst eine explizite Trennung von Person und Werk vorgenommen werden, um Letzteres dann hochleben zu lassen.
Im Endeffekt hat das aber für die akademische Rolle dieses Meisterphilosophen keine negativen Auswirkungen. Der Historiker Jan Eike Dunkhase hat in einem Literaturbericht zum neuesten Stand der fachlichen Debatte nach der Veröffentlichung von Heideggers „Schwarzen Heften“ (die noch einmal den genuinen, nie revidierten Standpunkt einer NS-Philosophie verdeutlichten) festgehalten: Während die schwäbische Deutschtümelei „noch als regionale Schrulle zu bewerten ist, bewegen sich Heideggers Stellungnahmen zum Judentum, zu den Juden, zum ‚Jüdischen‘ in einer anderen Dimension ... da können nur Unbeirrbare Antisemitismus in Abrede stellen.“ (Dunkhase 2017) In Abrede stellt der Autor dann aber, dass Heidegger damit ein erledigter Fall ist. Er resümiert vielmehr etliche konstruktive akademische Diskurse und Tagungen, begrüßt z.B. bei einem Sammelband, dass „eine nachdenkliche Stimme am Ende steht, die daran gemahnt, dass die ‚Schwarzen Hefte‘, mehr noch als andere Texte Heideggers, ‚von einer schillernden Mehrdeutigkeit und von teils kaum auflösbaren Spannungen durchzogen‘ sind“.
Dunkhase findet Ansätze hilfreich, die „Heideggers ‚Judenkritik‘ im Kontext seiner Zivilisationskritik relativieren, um letztere als zeitgemäße Globalisierungskritik zu retten“. Er registriert auch anhand einschlägiger Analysen „mit Erleichterung, dass Heidegger wohl ‚in seinem persönlichen Verkehr mit echten Jüdinnen und Juden weitgehend von handgreiflicher Angriffslust freizusprechen‘ sei“. Der Professor hatte sogar, wie man weiß, eine Liebschaft mit einer „echten“ Jüdin (was übrigens auch bei KZ-Wächtern vorgekommen sein soll), wobei der Freispruch mit der Einschränkung „weitgehend“ genial diplomatisch formuliert ist (dass Männern schon mal die Hand ausrutscht, kann ja vorkommen). Letztlich gelangt die Übersicht zu der rettenden, von Habermas 1953 aufgebrachten Formel „Mit Heidegger gegen Heidegger denken“ und zu dem befriedigenden Endresultat, dass mittlerweile im Philosophiebetrieb – nach der medialen Aufregung angesichts der letzten Enthüllungen – „der allgemeine Erregungsgrad vergleichsweise niedrig“ ist.
Das gilt, obwohl in jüngster Zeit, mit dem Erstarken der AfD und verwandter Strömungen, ein neues Moment hinzugekommen ist: Heidegger wird immer deutlicher zur Berufungsinstanz des modernen Rechtsradikalismus. „Die Beschäftigung mit Heidegger in den Medien und auf den Foren der Neuen Rechten ist umfassend und intensiv“, heißt es etwa bei Klaus-Peter Hufer in einer einschlägigen Bestandsaufnahme (Hufer 2018, 92). „Was macht HeiÂdegÂgers Denken so attrakÂtiv für die antiÂdeÂmoÂkraÂtiÂsche Rechte?“, fragt der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik und kommt zu dem Schluss, dass Heideggers frühes JahrÂhunÂdertÂwerk, das 1927 erschieÂnene, als MarkÂstein der ExisÂtenzÂphiÂloÂsoÂphie hochgelobte Buch „Sein und Zeit“, auch als „InbeÂgriff einer völÂkiÂschen PhiÂloÂsoÂphie gelten“ dürfte (Fücks/Becker 2020, 49).
Einen solchen Angriff auf Heideggers Philosophie selber, also auf die Sache, für die der Mann als Erstes steht und für die er sich – über die verschiedenen Regime hinweg – ein Leben lang engagiert hat, findet man sonst kaum. Explizit vertreten und in deutschen Universitäten bekannt gemacht hat eine solche Kritik die damalige Marxistische Gruppe (MG), die 1988 ihre Schrift „Martin Heidegger – Der konsequenteste Philosoph des 20. Jahrhunderts – Faschist“ vorlegte. Diese ist jetzt in einer aktualisierten Neuausgabe wieder aufgelegt worden (Decker 2020). Sie deckt sich aber nur scheinbar mit dem, was neuerdings an kritischen Einschätzungen kursiert. Deren Schwäche zeigt sich exemplarisch an dem Projekt „Gegneranalyse“, aus dem die Publikation „Das alte Denken der Neuen Rechten“ von Fücks und Becker hervorgegangen ist (Näheres dazu in: Telepolis).
Brumlik hält hier zwar fest, dass der berüchtigte § 74 von „Sein und Zeit“ völkische Philosophie in Reinform ist, wiederholt aber letztlich in bester neudeutscher Tradition die bekannte Würdigung Heideggers und spricht den von ihm erklommenen philosophischen Höhen die Anerkennung aus. An seiner „Bedeutung für die Philosophie des 20. Jahrhunderts (dürfte) weder sein Eintreten für Hitler noch seine zuletzt unübersehbar gewordene antisemitische Haltung etwas ändern“ (Fücks/Becker 2020, 52), heißt das Fazit. Der ganze Aufwand landet also wieder da, wo man im Adenauerstaat war: Wer wie Heidegger „uralte Fragen der abendländischen Philosophie“ aufgreift (ebd., 53), hat uns heute – Faschismus hin oder her – immer noch viel zu sagen.
Was aber gar nicht geht
Der allgemeine Erregungsgrad ist in der Tat an dieser Stelle niedrig. Die heutige „Universitätshure“ kann aber auch anders, dann wird sie vergleichsweise fuchtig und verabschiedet z.B. in Gestalt der Hochschulrektorenkonferenz 2019 nach der Terrorattacke in Halle eine Erklärung, die entschieden feststellt, dass an „deutschen Hochschulen kein Platz für Antisemitismus“ ist („Kein Platz für Antisemitismus – Entschließung der HRK-Mitgliederversammlung“). Man denkt natürlich, das ginge gegen rechts. Doch die Entschließung beginnt so: „Die Mitgliederversammlung der HRK unterstützt die Resolution ‚Gegen BDS und jeden Antisemitismus‘ des Jungen Forums der Deutsch-Israelischen Gesellschaft“ sowie weiterer Organisationen bis hin zum RCDS.
BDS steht für die internationale propalästinensische Kampagne „Boycott, Divestment and Sanctions“. Diese will (laut Wikipedia-Eintrag) „den Staat Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch isolieren, um ihre im Jahr 2005 beschlossenen Ziele durchzusetzen: Israel müsse die ‚Okkupation und Kolonisierung allen arabischen Landes‘ beenden, das ‚Grundrecht seiner arabisch-palästinensischen Bürger auf volle Gleichheit‘ anerkennen und ‚das Recht der palästinensischen Flüchtlinge auf eine Rückkehr in ihre Heimat und zu ihrem Eigentum gemäß UN-Resolution 194 schützen und fördern‘.“ Dazu teilt die HRK mit, der Deutsche Bundestag habe „mit Annahme des Antrags Ds. 19/10191 ‚Der BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen‘ beschlossen, die BDS-Kampagne und den Aufruf zum Boykott von israelischen Waren oder Unternehmen sowie von israelischen Wissenschaftlern, Künstlern oder Sportlern zu verurteilen.“ Diesem Beschluss von oben schließt sich die HRK umgehend und hundertprozentig an, mit der Folge, dass ein Gegenboykott in Kraft tritt, nämlich gegen die BDS-Initiative bzw. ihr nahestehende Personen, denen Universitätsräume verwehrt werden etc.
Das betrifft auch jüdische Dissidenten, die den proisraelischen Kurs der BRD nicht teilen, so z.B. das ehemalige Zentralratsmitglied Rolf Verleger, dessen Auftritte an Universitäten verhindert werden sollten. Verleger hat sich Ende 2019 in einem Offenen Brief an den HRK-Präsidenten gewandt und die Behinderung seiner Veranstaltungen geschildert. In seinem Brief betont er, das Konstrukt des „israelbezogenen Antisemitismus“, das dem Bundestagsbeschluss zu Grunde liege, diene dazu, das Eintreten für palästinensische Menschenrechte zu kriminalisieren und Kritiker der israelischen Politik mundtot zu machen.
Nun mag man von der BDS-Bewegung halten, was man will – sie ist erkennbar ein Derivat des Völkerrechtsidealismus und kopiert auch die offizielle Sanktionspolitik der Staatenwelt, wird dabei dann von den hiesigen Behörden mit demselben Instrument, einem Veranstaltungs-Boykott, traktiert –, ihr Kritikpunkt ist jedenfalls eindeutig die zionistische Politik und nicht die Natur oder Wesensart „des Juden“. Sie hat also nichts mit einer Position zu tun, wie sie etwa bei Heidegger vorliegt und weitgehend rehabilitiert ist: die Wesensbestimmung des Judentums mithilfe eines (in diesem Fall: nicht-biologistischen) Rassismus, der eine spezielle Degenerationsstufe in der allgemeinen „Seinsvergesseheit“, dem Grundübel der seinsphilosophisch unbedarften Menschheit, diagnostiziert und zum existenziellen Problemfall stilisiert. Eine Position übrigens, die für den heutigen Rassismus, der eher „kulturalistisch“ als „naturalistisch“ argumentiert, direkt anschlussfähig ist.
Der Antizionismus, der im Fall BDS gebrandmarkt wird, kommt aber von links und stört die Regierungslinie – das erklärt, warum rigoros durchgegriffen wird. Gegen linke Positionen zu mobilisieren, sofern sie sich außerhalb der geregelten Spannbreite des hiesigen Pluralismus bewegen und sich universitär bemerkbar machen, ist sowieso selbstverständlich. Ja es gibt sogar viel Verständnis, wenn konservative Bedenken gegen progressive Entwicklungen des Hochschulbereichs angemeldet werden. So wurde 2020 die Klage laut, dass dort eine linke Meinungshoheit die offene Debatte verhindere. Laut einem Bericht der „Welt am Sonntag“ (15.11.2020) begannen Uni-Professoren, ein Netzwerk zur Unterstützung von Forschern zu gründen, die aufgrund ihrer Thesen unter Druck geraten. Seit der ersten Februarwoche ist jetzt es offiziell als „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ etabliert (siehe FAZ, 10.2.21)
Die Wissenschaftler beklagen mangelnde Meinungsfreiheit, politischen Druck und Einschüchterung an den Hochschulen. Oft genüge bereits der Verdacht, sich mit Thesen und Arbeiten nicht der Kollegenmehrheit anzuschließen, um unter Druck zu geraten (so das Interview mit dem Bonner Soziologen Rudolf Stichweh, General-Anzeiger, 8.12.20). Auch der Deutsche Hochschulverband DHV warnte vor „Einschränkungen der Meinungsfreiheit an Universitäten“. Zur Erläuterung erfährt man in dem Interview mit dem Bonner Soziologen: „Vor allem Vertreter des rechts-konservativen politischen Lagers würden angegangen und eingeschüchtert.“ Stichweh beklagt, es „fehle ein entsprechender Diskurs mit den Vertretern des konservativen und rechten Spektrums“, dieser sei in Deutschland „sogar bewusst vermieden worden und gelte mittlerweile als verpönt“.
So wurde etwa – das eine von zwei Beispielen, die Stichweh anführt – die Vorlesung des AfD-Mitbegründers Lucke gestört, und zwar von einem „guten Dutzend Demonstranten“! Unglaublich, mehr als 12 Studenten kritisieren lautstark einen Professor in einer Lehrveranstaltung statt brav zuzuhören! Möglicher Weise, so wird aus den Beispielen gefolgert, droht eine „Cancel Culture“, vor der die Rechtspopulisten in den USA immer wieder warnen. Ein Thema, das Sarrazin hierzulande ja schon mit seinem millionenfach verkauften Gemeinplatz „Man wird ja wohl noch sagen dürfen“ breit getreten hat.
Und warum gibt es diese bedauerliche Diskursverengung im deutschen Universitätsbetrieb? Der Soziologe-Professor klärt auf: Es ist natürlich „historisch begründet – seit dem Ende des Nationalsozialismus gab es bei uns keine relevanten Rechts-Intellektuellen mehr, außer Carl Schmitt und Martin Heidegger, die aber nicht an die Universität zurückkehren konnten.“ Ein typisch deutsches Defizit, so heißt es weiter, das andere Länder wie Frankreich oder Niederlande nicht kennen! Dabei ist die Bemerkung zu Heidegger falsch, die Lehrerlaubnis wurde ihm nur kurz entzogen, danach lehrte er munter an seiner alten Uni weiter. Und seitdem der ehemalige hochaktive Hochschulrektor das Zeitliche gesegnet hat, ist sein Geist in der deutschen Hochschullandschaft, wie gezeigt, immer noch heimisch. Wer da mit einer Antisemitismus-Resolution im philosophischen Seminar aufträte, würde natürlich sofort im Namen der bedrohten Meinungsfreiheit ausgeschlossen, wahrscheinlich unter hohem Erregungsgrad der Lehrkräfte.
Nachweise
Peter Decker, Martin Heidegger – Der konsequenteste Philosoph des 20. Jahrhunderts – Faschist. München (Gegenstandpunkt) 2020, https://de.gegenstandpunkt.com/.
Jan Eike Dunkhase, Beiträge zur neuen Heidegger-Debatte, H-Soz-Kult, 2017: https://www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-25610.
Ralf Fücks/Christoph Becker (Hg.), Das alte Denken der Neuen Rechten – Die langen Linien der antiliberalen Revolte. Frankfurt/M. (Wochenschau) 2020, www.gegneranalyse.de.
Klaus-Peter Hufer, Neue Rechte, altes Denken – Ideologie, Kernbegriffe und Vordenker. Weinheim (Beltz-Juventa) 2018.