Neuerscheinungen Soziales und Psychologie

27.03.21
KulturKultur, TopNews 

 

Buchtipps von Michael Lausberg

Buch 1

Eva Mona Altmann: Das unsagbare Verschweigen. Holocaust-Literatur aus Täterperspektive. Eine interdisziplinäre Textanalyse, transcript, Bielefeld 2021, ISBN: 978-3-8376-5468-4, 49 EURO (D)

Dies ist die Dissertation von Eva Mona Altmann über Holocaust-Literatur aus Täterperspektive in der Romanistik an der Universität Düsseldorf. Die Arbeit möchte zu zur kritischen Reflektion des Phänomens des Turns to the Perpetrator, der zunehmenden kulturellen Adaption und Rezeption des Täterdiskurses, beitragen. Neben einem umfassenden thematischen Forschungsüberblick legt sie ein interdisziplinäres Modell zur Textanalyse vor, das die spezifische Rhetorik der Täter, die Steuerung von Empathie und Sympathie sowie die Möglichkeit einer textimmanenten Dekonstruktion des Täterdiskurses durch das literarische Verfahren des unglaubwürdigen Erzählens berücksichtigt.

Das Buch gliedert sich in drei große Teilbereiche. Im ersten Teil geht es um eine thematische Einführung in die Grundlagen und Konzepte. Nach einer Benennung der historischen Ereignisse wird das Genre der Holocaust-Literatur vorgestellt. Danach steht das Unsagbarkeitstopos im Mittelpunkt, bei dem sich die Fragen stellen, ob man die Shoah überhaupt in Worte fassen kann und wodurch sich ihre Darstellbarkeit von der anderer Ereignisse und Handlungen unterscheiden. Anschließend wird das Subgenre der Holocaust-Literatur aus Täterperspektive dargestellt und in den größeren Kontext der wissenschaftlichen und künstlerischen Täterdarstellungen eingeordnet. Zuletzt wird der Turn to the Perpetrator in Bezug zur Holocaust-Literatur aus Täterperspektive gesetzt.

Im zweiten Teil wird ein interdisziplinäres Konzept für die Analyse von Holocaust-Literatur aus Täterperspektive entworfen, das aus drei einzelnen Komponenten besteht, welche für die Tätertexte besonders relevanten Aspekte aufgreifen. Die ist erstens die reale Rhetorik der Täter unter besonderer Perspektive der Neutralisationsthese. Dabei geht es darum, wie die Täter über ihre Taten sprechen, wie sie sich selbst sehen und welche Strategien sie verfolgen. Zweitens geht es um Identifikation, Sympathie und Antipathie. Drittens wird das unglaubwürdige Erzählen im Mittelpunkt, wo unter anderen gezeigt wird, welche Strategien oder Mittel dem Autor zur Verfügung stehen, um seinen Erzähler zu beglaubigen oder zu entlarven. Die Erkenntnisse werden in einer Tabelle zusammengefasst. Danach wird noch eine Zusammenfassung geliefert, die insbesondere Gemeinsamkeiten und Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Aspekten aufzeigt.

Der dritte Teil überträgt das Konzept exemplarisch auf zwei französische Romane aus Täterperspektive: La mort est mon métier von Robert Merle aus dem Jahr 1952 und Les Bienveillantes von Jonathan Littell aus dem Jahre 2006. Es folgt eine vergleichende Betrachtung, die markante Merkmale und Charakteristika der beiden Romane zusammenfasst, einander gegenüberstellt und wesentliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede festhält.

Zum Schluss gibt es noch eine Zusammenfassung der wichtigsten Thesen und einen Ausblick auf mögliche Anknüpfungspunkte weiterer Forschung.

Die Ergebnisse sind die folgenden: Texte aus Täterperspektive gehören zwar nicht zur Holocaust-Literatur im engeren Sinne, wohl aber im weiteren Sinne und können eine gattungstypische Zeugnisfunktion erfüllen. Trotz einer sukzessiven Aufweichung der aus dem Unsagbarkeitstopos resultierenden normativen Ästhetik bestehen bis heute Tabubereiche, von denen einer die Täterperspektive ist. Das große Interesse an den Tätern beschränkt sich nicht nur auf den Holocaust, vielmehr handelt es sich beim Turn to the Perpetrator um ein gesamtgesellschaftliches Phänomen, das im Zusammenhang mit aktuellen Ereignissen und Entwicklungen steht. Obwohl die Auseinandersetzung mit den Tätern zu einem analytischen Verständnis der Tatzusammenhänge beiträgt und als Prävention dienen kann, kann anderseits auch eine Faszination ausgelöst werden, die bis hin zu Nachahmungstaten führen kann. Daraus leiten sich vielfältige Anforderungen an eine verantwortungsvolle Täterdarstellung ab, die je nach Medium und Thema im Detail variieren.

Die systematisierte Auswertung brachte wiederkehrende Argumentationsmuster und narrative Strukturen zutage, die sich den fünf Strategien Schweigen/Verschweigen, Ablenken, Bestreiten, Gestehen und Teilgeständnis/Teilbestreiten zuordnen lassen. Sprache dient den Tätern mitnichten nur zur Abbildung und Wiedergabe, sondern auch zur Verschleierung und Legitimation ihres Handels, was anhand der Neutralisationstheorie gezeigt wurde. Ausreden ermöglichen den Tätern eine fortgesetzte Selbstdarstellung und –wahrnehmung. Es gab sehr viele Textmerkmale, die sowohl die Täterrhetorik als auch für die Empathie- und Sympathiestreuung sowie wie die (Un)-Glaubwürdigkeit des Erzählens eine Rolle spielen, zum anderen beeinflussen und bedingen sich auf einer übergeordneten Ebene die Befunde der einzelnen Kategorien gegenseitig.

Die Betrachtung von La mort est mon métier ergab, dass der Täter vor allem als Opfer der gesellschaftlichen und familiären Umstände erscheint, was zu Beginn der Erzählung eine starke Empathie mit ihm zeigt, die erst gegen Ende durch den Dialog mit verschiedenen anderen Figuren wieder dekonstruiert wird, die dann die Täterrhetorik als unglaubwürdig erweisen. Die Untersuchung von Les Bienveillantes zeigte, dass sich der Roman einer einfachen identifikatorischen Lektüre widersetzt, aber auch die Möglichkeit des imaginierten Widerstandes und die (Un)glaubwürdigkeit des Erzählers gleich am Anfang explizit thematisiert werden, ist die Täterrhetorik im Folgenden sehr komplex.

Die vergleichende Betrachtung verdeutlichte, dass es sich um zwei sehr unterschiedliche Texte handelt. Das Konzept erwies sich für beide als geeignet und kann „als tauglich für die Analyse von Holocaust-Literatur aus Täterperspektive gelten.“ (S. 398)

Als Ansatzmöglichkeiten für weitere Forschungen werden von daher die Analyse von weiteren Holocaust-Zeugnissen aus Täterperspektive oder die Modifikation des Konzeptes auf andere Textsorten, Medien, Tätertypen und thematische Kontexte empfohlen.

Die letzten beiden Abschnitte beschreiben gut den Stellenwert dieser gelungenen Arbeit. Das Konzept ist strukturiert und vielseitig anwendbar, wobei der Aspekt des Transportierten des Selbstbilds und die biografische Detailanalyse noch mehr Gewicht bekommen könnte. Wobei für künftige Forschungen berücksichtigt werden muss: Da vieles in der Lektüre unappetitlich zu lesen sein dürfte, sollte die emotionale Abwehr sich dennoch nicht so sehr in der Analyse widerspiegeln. Da bedarf es auch eine partielle emotionale Distanz des/der Analysierenden.


Buch 2

Anja Röhl: Das Elend der Verschickungskinder. Kindererholungsheime als Ort der Gewalt, Psychosozial Verlag, Gießen 2021, ISBN: 978-3-8379-3053-5, 39,99 EURO (D)

Als Verschickungskinder werden für Kinder und Jugendliche, die zur Durchführung von Maßnahmen der Gesundheitshilfe außerhalb des Elternhauses in Heimen untergebracht waren. Dies warn Kinder und Jugendliche von zwei bis zehn Jahren, deren Gesamtkonstitution durch, Unterernährung, Mangelernährung oder Mangel an Licht, Luft und Bewegung bereits gefährdet war als auch chronisch kranke. Millionen von ihnen wurden von der Nachkriegszeit bis in die 1990er Jahre in der Bundesrepublik für meist sechswöchige Aufenthalte in Heime an der See oder in den Bergen verbracht wurden. In vielen Fällen gab es in diesen Heimen zu Formen psychischer und physischer Gewalt, die Erziehungsmethoden wurden zum Teil noch aus der NS-Ideologie abgeleitet. Diese Taten wurden lange Zeit verschwiegen, verschleiert oder Hinweise ignoriert.

Die Autorin Anja Röhl war selbst Verschickungskind und berichtet in diesem Buch über ihre eigenes Schicksal und den Ergebnissen ihrer Recherchen tausender Betroffener, die Methoden in den Heimen und den Hintergründen.

Das Buch beginnt mit Röhls Motivation, das Buch zu schreiben und sich mit ihrer eigenen Vergangenheit und die anderer Betroffener auseinanderzusetzen, zu dokumentieren und systematisch auszuwerten.

Im ersten Teil stellt sie die Grundlagen und die Ursachen für die millionenfache Gewalt, Demütigungen und Missbrauch von Kindern und Jugendlichen über vier Jahrzehnte dar. Dies waren unterschiedliche Facetten: Von der Brechung des Willens der Kindern, körperliche und seelische Misshandlungen, Sadismus, sexueller Missbrauch oder die als medizinisch sinnvoll getarnten Versuche für die angebliche Erforschung der körperlichen und geistigen Entwicklung und den möglichen Störungen und Erkrankungen des Nervensystems von Kindern und Jugendlichen.

In diesem Zusammenhang wertet sie nicht nur zeitgenössische Quellen, Erfahrungsberichte und Literatur von und über die Heime aus, sondern auch medizinische und pädagogische Fachliteratur. Anhand von Biografien weist sie nach, dass NS-Täter und Mitläufer auch in der Nachkriegszeit fachlich anerkannt waren und zum Teil bestimmende Positionen hatten und Lehrbücher aus der NS-Zeit auch weiterhin als Lehrmittel eingesetzt wurden. Auch die finanziellen Aspekte für die Heime und der dort angestellten Personen wird näher beleuchtet.

Daran schließen sich konkrete Erfahrungsberichte an. Aus allen Teilen der BRD in verschiedenen Heimen gibt es Erinnerungen von Betroffenen. Dazu gibt es auch Hinweise auf Spätfolgen, Traumata und Schweigen aus Scham, Angst sowie ungehörter Schicksale tauchen dort auf. Jedes wehrlose Schicksal ist individuell, Röhl streut zu diesen authentischen Schilderungen manchmal zeithistorische Hintergründe ein. Bindungsängste, psychosoziale Folgen wie Persönlichkeitsstörungen oder andere Folgen für das weitere Leben kommen auch zur Sprache. Auch der Vertrauensverlust gegenüber Eltern und Erwachsenen durch die nicht für wahr erachteten oder als Phantasieprodukte von Kindern gewerteten Berichte danach wird beleuchtet. Eine wenig kritische Beleuchtung der NS-Pädagogik und teilweise Ansätze aus dieser Zeit in Heimen der Kinderlandverschickung werden offenkundig. Autoritäre, überhaupt nicht kindgerechte Erziehungsmethoden wie Bestrafungen für lapidare Verfehlungen, Gewalt bei normalem kindlichen Verhalten wie Schreien, Weinen oder Bettnässen durch Pfleger weisen in diese Richtung.

Am Ende gibt die Autorin noch einige Forschungsdesiderata auf den Weg, vor allem die Frage nach den Ursachen für Gewalt, Demütigungen und Missbrauch und der Schweigespirale darüber.

Das Buch bricht mit einem Tabu der westdeutschen Nachkriegsgeschichte und bringt die grausamen Erziehungsmethoden und die Phänomene an Tageslicht und in einen Zusammenhang. Es ist eine gute Mischung zwischen Hintergrundaufarbeitung und Erlebnissen von Zeitzeugen, deren grausame Berichte teilweise erschüttern.

Es zeigt aber der bruchlose Übergang mancher NS-Ideologien in die postfaschistische BRD, vor allem die Wiederbeschäftigung führender Täter, Pädagogen und Mediziner.

Erschreckend aus heutiger Sicht ist, dass den Kindern und Jugendlichen in vielen Fällen nicht geglaubt wurde und wie dadurch Traumata entstehen konnte, die bis heute fortwirken. Die Ursachenforschung müsste natürlich nochmal intensiviert werden. Das Buch bietet aber gute Grundlagen zu weiteren Forschungen zum Beispiel zu einzelnen Heimen oder handelnder Personen. Auf jeden Fall bricht das Buch die Schweigespirale und lässt – wenn auch spät – eine Aufarbeitung möglich machen.


Buch 3

Serge K. D. Sulz: Mit Gefühlen umgehen. Praxis der Emotionsregulation in der Psychotherapie, Psychosozial Verlag, Gießen 2021, ISBN: 978-3-8379-3058-0, 32, 90 EURO (D)

Serge K. D. Sulz bietet Psychotherapeut*innen jeder Therapierichtung einen Weg zu einer effizienteren Therapie, in deren Mittelpunkt die Emotionsregulation steht. So kann eine effektive emotive Gesprächsführung auf wissenschaftlicher Basis angeeignet werden. Durch das integrative Moment des Ansatzes kann jeweils das Emotionale dem Kognitiven beigefügt werden.

Im ersten Teil werden die biosoziale Theorie der Emotionsregulation von Linehan, die neurobiologische Emotionstheorie von Damasio und die klinische Emotionstheorie von Sulz vorgestellt.

Im zweiten Teil geht es dann um die praktische Umsetzung. Dort geht es zunächst um die Grundlagen der emotiven Gesprächsführung, des metakognitiven Gesprächs und das Embodiment. Danach wird die Umsetzung der Emotionsregulation beschrieben Einflussnahme erstreckt sich auf die Dauer, die Intensität, den Ausdruck und das spezifische Erleben der Emotionen. Die Regulation kann je nach Kontext verschiedene Formen annehmen und auf unterschiedliche Strategien zurückgreifen. Die Notwendigkeit von Informationen über die gesamte Lebensgeschichte von Patient*innen und die primären Erfahrungen mit Eltern und Familie stehen dann im Mittelpunkt. Dort gilt es herauszufinden, inwiefern die Eltern nicht in der Lage oder willens waren, ihrem Kind genügend mitzugeben, was eine ungestörte kindliche Entwicklung gewährleistet hätte. Danach folgt eine Anleitung der Charakterisierung des heutigen Menschen: seine Motive, Erleben und Handeln, Kognitionen und den Stand seiner psychosozialen Entwicklung.

Danach geht es um den Erwerb von Achtsamkeit. Dort werden sowohl die regelmäßigen täglichen Achtsamkeitsübungen von Kabat-Zinn als auch die Veränderung des Bewusstseins von Achtsamkeit im Alltag von Linehan vorgestellt. Es werden weiterhin die fünf Schritte der Emotionsexposition präsentiert. Trauerexposition, also das Verhindern der Trauervermeidung sowohl internal als auch external, wird dann in fünf Schritten beschrieben. Es folgen die Einbeziehung von entwicklungspsychologischen Aspekten und verschiedene Entwicklungsstufen der Patient*innen. Es gilt dabei zu beachten, dass viele Patient*innen bei Stress von einem rationalen Modus in einen unreifen emotionalbeherrschenden Kindmodus.

Am Ende geht es um das Abschied nehmen in und von der therapeutischen Beziehung. Dabei wird betont, dass es die Aufgaben von Therapeut*innen darin liegt, den Patient*innen glaubhaft zu versichern, dass er für ihn verfügbar bleibt, dass die Therapie zwar zu Ende ist, aber nicht die Beziehung.

Es gibt noch ein Literaturverzeichnis und zwei Vordrucke im Anhang.

Die Emotionstherapie zeigt seit längerem, dass mit ihr wirksame Ergebnisse erzielt werden können. Achtsamkeitstraining als Prozess der Selbst- und Weltwahrnehmung wird in vielen Bereichen jenseits der Psychotherapie großgeschrieben. Dass es ein brauchbarer Ansatz ist, sollte feststehen. Um diesen auch umzusetzen, braucht es allerdings etwas Übung vor allem bei der Angst- und Trauerexposition. Die Grundlagen dazu werden in diesem Buch auf jeden Fall gut erläutert und für die Anwendung bereitgestellt.



Buch 4

Donald W. Winnicott: Reifungsprozesse und fördernde Umwelt, Psychosozial Verlag, Gießen 2021, ISBN: 978-3-8379-2983-6, 34 EURO (D)

Donald W. Winnicott zählt zu den bedeutendsten Wegbereitern der Kinderpsychotherapie. Er arbeitete lange am Kinderkrankenhaus Paddington und in seiner eigenen Praxis. Die dortigen Erfahrungen markierten den Grundstein zu Psychologie und Entwicklung des Kindes.

In diesem Buch sind seine Abhandlungen aus den Jahren 1957 bis 1963 gesammelt dargestellt. Darin verbindet Winnicott die Freud’sche Erkenntnis, dass psychische Störungen und Fehlentwicklungen in der frühen Kindheit gründen, mit der Tatsache, dass Säuglinge voll und ganz von der mütterlichen Fürsorge abhängig sind. So gelingt es ihm, dass nicht alle Störungen im klassischen Ödipuskomplex wurzeln, sondern oft weit tiefer in die Kindheit zurückreichen. Dabei spielt seine Annahme von einer „ausreichend guten Bemuttern“ eine große Rolle: „Das anfänglich entstehende Ich ist zunächst fast abhängig vom stützenden Ich der Mutterfigur und von der sorgfältig abgestuften Verweigerung ihrer Abgrenzung. Dies ist ein Teil dessen, was ich als ‚ausreichend gutes Bemuttern‘ bezeichnet habe; auf diese Weise nimmt die Umwelt ihren Platz unter den anderen wesentlichen Zügen der Abhängigkeit ein, in der sich der Säugling entwickelt und in der er primitive psychische Mechanismen einsetzt.“ (S. 12)

Die vorgestellten Texte sind veröffentlichte und bislang unveröffentlichte Abhandlungen Winnicotts. Dabei wird folgendes Schema angewandt: Es finden sich keine Verweise oder Fußnoten als Edition, sondern stattdessen will der Index die Wechselbeziehungen zwischen den in Winnicotts Abhandlungen erörterten Theorien und Konzepte zeigen. Dort werden die Hauptthemen in Unterkategorien aufgeteilt und so im Index eingeführt, dass die verschiedenen Folgerungen und Begleitvorstellungen eines Gedanken für die Leser*innen zugänglich sind. Die Grundbegriffe Freuds sind im Index in ihrer Beziehung zu Winnicotts Erörterungen oder Erweiterungen der gleichen Begriffe angeführt.

Außerdem gibt es drei Bibliografien. Die erste enthält alle Bücher und Artikel, auf die im Text Bezug genommen wird. Die zweite ist eine Liste der Schriften Winnicotts von 1926 bis 1964. Die dritte enthält die wichtigsten, nach 1963 erschienenen Arbeiten Winnicotts.

Der Vorteil des Buches liegt an der Zusammenfassung wichtiger Texte von Winnicott und seine Auseinandersetzung mit Freud, die nicht extra zusammengesucht werden müssen und der weiterführenden Literatur dazu. Die Übersetzung aus dem Englischen ist auch gut gelungen.

Die Art und Weise der Edition ist dagegen eher verwirrend und kann nicht überzeugen. Die Texte sind zwar authentisch gehalten ohne Kommentare, dennoch hätte dieses eine Buch besser in zwei aufgeteilt werden sollen, mit einer längeren Einführung zu Entstehungsgeschichte und Inhalt des jeweiligen Textes, um einen besseren Input zu bekommen.


Buch 5

Ingrid Riedel: Vom Geheimnis der zweiten Lebenshälfte. Frauen finden zu sich selbst, Patmos, Ostfildern 2021, ISBN: 978-3-8436-1281-4, 18 EURO (D)

Die C. G. Jung-Expertin und Psychotherapeutin Ingrid Riedel beschreibt in diesem Buch anhand vieler Beispiele, wie Frauen in der zweiten Lebenshälfte neue Perspektiven auf sich und die Welt entdecken. Dies bedeutet konkret, die Zeit ab dem 40ten Lebensjahr.

Die Wende zur zweiten Lebenshälfte ist mit vielen Veränderungen und Dynamiken verbunden: „Die zweite Lebenshälfte ist, (…) die letztlich entscheidende. Die Zeit wird kostbarer, der Sinn für Lebensqualität, für den Wert eines jeden gelebten Augenblicks, für das Wesentliche wächst: Und damit wandeln sich allmählich die bisherigen Werte.“ (S. 10)

In den Kapiteln stehen die Fähigkeit zur Gestaltung des eigenen Lebens und die innere Wahrnehmung von sich und der Umwelt im Mittelpunkt. Sie sind eingeteilt in drei Schwerpunkte: die Frau an der Schwelle (40tes Lebensjahr), die Frau im Wandel (50tes Lebensjahr) und die gewandelte Frau (ab dem 60ten Lebensjahr). Danach geht es noch um die nahende Begegnung mit dem Tod, „das Wahrseinlassen nicht nur unserer Endlichkeit, sondern auch das Heranlassen der emotionalen Erfahrung, dass unser persönliches Sterben ansteht, unausweichlich sein wird.“ (S. 169)

Der Ausdruck des Lebensgefühls und des Stimmungsbildes sowie altersspezifische Fragen stehen dort im Mittelpunkt. Die Wechseljahre und die Menopause werden als Chance gesehen und nicht nur mit Beschwerden verbunden. Die Thesen ab dem 60ten Lebensjahr sind wesentlich identisch mit denen aus Riedels früherem Buch „Die gewandelte Frau“. Insgesamt wird viel mit psychologischen Beispielen und Allegorien gearbeitet und Elemente der Spiritualität hinzugezogen.

Im Anhang findet man noch Anmerkungen und ein Literaturverzeichnis.

Dieses Buch ist eine spezielle Sichtweise aus der Sicht von C. G. Jungs Psychologie und Philosophie. Diese werden als Entwicklungsmöglichkeiten dargestellt, um sie im eigenen Leben umzusetzen. Dabei steht die Zeit der Wechseljahre und das innere Erleben und Wachstum im Vordergrund. Also eher ein mentaler Begleiter, lebenspraktische Fragen treten in den Hintergrund.


Buch 6

Heinz-Peter Röhr: Vom klugen Umgang mit Gefühlen. Wie man Kontrollverlust überwindet, Patmos, Ostfildern 2020, ISBN: 978-3-8436-1279-1, 18 EURO (D)

Dies ist ein Ratgeber des Pädagogen und Psychotherapeuten Hans-Peter Röhr über verschiedene Möglichkeiten des Kontrollverlustes der eigenen Gefühle. Dies sind zum Beispiel verschiedene Arten von (übersteigerten) Ängsten und Störungsbildern, innere Blockaden, destruktive Selbstbezeichnungen Grübeln oder der Blick auf die eigene Persönlichkeit. Mithilfe der emotionalen Intelligenz ist es möglich, den eigenen Gefühlszustand zu erkennen und dann richtig mit ihm umzugehen.

Dazu präsentiert er viele Beispiele aus seiner Arbeit in einer Fachklinik für Suchtabhängige und auch viel psychologisches Hintergrundwissen, das mit Diagrammen, Tabellen und Schaubildern angereichert ist.

Im ersten Kapitel geht es tiefenpsychologisch um Gefühle und den Aufbau des Gehirns. Dort erklärt er auch, wie es zum Kontrollverlust über Gefühle kommt und welche Auslöser oder Verhaltensweisen dafür typischerweise verantwortlich sind. Danach stellt er die Amygdala-Klärung vor, eine Methode, die im Alltag bei der Bewältigung destruktiver Gefühle und Kontrollverlust helfen kann.

In den folgenden Kapiteln geht es um verschiedene Bereiche des Kontrollverlustes, zu denen er verschiedene, konkrete Lösungen erarbeitet und auch Mut zur Veränderung zuspricht. Dies sind Sorgen/Grübeln, Angst/krankhafte Angst, Ärger/Wut, Hass, Selbstwertgefühl, Persönlichkeit, blockierte Gefühle. Hinter jedem Kapitel gibt es noch eine Zusammenfassung.

Im Anhang werden noch Esssucht, Kaufsucht, die neuesten Forschungen zu psychodelischen Drogen und die Betrugsmasche im Internet Love-Scamming, die zu einer emotionalen Abhängigkeit führt kurz dargestellt. Außerdem gibt es die Anmerkungen und eine Literaturliste.

Natürlich hat niemand eine vollkommene Kontrolle über seine Gefühle. Hier werden viele Strategien aufgezeigt, die helfen, negative Gefühle, auch im Hinblick auf subjektive Ängste, zu erkennen und diese dann durch gewohnheitsmäßige Übung so zu ändern, dass sie nicht mehr belastend wirken. Es werden viele psychologische Kniffe gezeigt, die zu mehr Lebensfreunde und Selbstakzeptanz. Wobei berücksichtigt werden muss, dass die Beschäftigung mit eigenen negativen Glaubenssätzen oder Einstellungen eine Menge Kraft erfordert.









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