Rezension von Hannes Sies
Graphic Novels können nicht nur kreativ, sondern auch reflexiv sein, wie Warren Ellis in seinem neuen Band beweist. Seine Werke Captain Swing und Äthermechanik habe ich hier bereits besprochen, vor allem Captain Swing zeigte erhebliche Neigung zu antikapitalistischer Revolution. APPARAT ist eher reflexiv angelegt und eine subtile Attacke gegen die derzeit vermehrt vom Comic ins Filmgenre schwappende Superhelden-Thematik. Ellis fragt in APPARAT wie die Comicwelt ohne diese eigentlich lächerlichen „Helden in Strumpfhosen“ aussehen würde und antwortet: Interessanter, intelligenter und stilvoller. Vier nicht zusammenhängende Pulp-Fiction-Stories werden als Teil einer fiktiven Retro-Reihe präsentiert.
Das Apparat-Projekt ist eine Sammlung aus kurzen und sehr kurzen Oneshots (Ellis nennt sie „Graphic Novellas“), die nur eins gemeinsam haben: Sie schreiben, von verschiedenen Zeichnerinnen und Zeichnern umgesetzt, auf die eine oder andere Weise die Erzähltradition der Groschenhefte vom Beginn des 20. Jahrhunderts fort, inklusive Flieger-Assen, Sherlock-Holmes-Klonen und dystopischer Science-Fiction. Verlagsinfo Dantes Verlag
Ellis' düsterer Stil bewegt sich zwischen Cyberpunk und Kriminalstory, wobei seine Wurzeln in der nebenher in autobiografischen Begleittexten von ihm reflektierten Superheldenwelt durchschimmern. Am wenigsten in der grellen Cyberpunkstory Angel trampelt Zukunft, wo ein gepierctes Punkgirl als frustrierte Medizinerin auftritt. Dr.med. Angel lebt in einer Welt, die wir aus Neuromancer, William Gibsons Romanvorlage für den Kultfilm Matrix, kennen. Menschen torkeln im Drogenrausch durch eine detailreich fein gezeichnete Zukunftswelt voller Körperimplantate und digitale Wunder -einige davon tödlicher als andere.
Warren Girard Ellis behauptet, die Übertragung der Mondlandung am 20. Juli 1969 stelle seine erste zusammenhängende Erinnerung dar – da war er anderthalb Jahre alt. Bevor er sich als Autor einen Namen machte, betrieb er, unter anderem, eine Buchhandlung, einen Plattenladen und eine Kneipe... Ellis hat nicht nur einige Bücher geschrieben und unzählige Szenarien für eigene und fremde Comics verfasst, sondern auch Drehbücher für Fernsehserien, Filme und Games... Ellis lebt im Südosten Englands, nah an der Küste, damit er, wie er sagt, „gegebenenfalls schnell abhauen kann“. Wer mehr über Ellis erfahren will, dem sei Apparat – Vier Singles anempfohlen. Darin erzählt Ellis in fünf ausführlichen Nachworten so manchen Schwank aus seinem Leben. Verlagsinfo zum Autor
Schockeffekte und asoziale Punk-Rock-Attitüde sind bei Stadt der Aussteiger vergleichsweise milder ausgeprägt. Der erklärende Ellis-Text dazu weist auf das untergegangene Genre der Piloten-Story hin, die er mit seiner Pilotin wiederbelebt -nach heldischen Kriegerinnen-Abenteuern kehrt sie zurück und konterkariert die Kriegscomics durch eine tragische Liebesgeschichte. Die beiden anderen Comics sind Detektivgeschichten, die wie Äthermechanik (Sherlock Holmes) an berühmte Vorbilder anknüpfen. Frank Ironwine an den versoffenen, aber genialen Polizeiermittler, Simon Spector an einen vergessenen Helden namens Doc Savage, der einst mit seiner Truppe aus Experten knifflige Fälle löste und die Welt vor Schurken rettete -ganz ohne Superkräfte.
Das Konzept fiktiver Auszüge aus fiktiven Serien geht auf und unterhält mit satirischem Augenzwinkern. Wenn dabei die Korruption der reichen und mächtigen Herrschaftseliten angeprangert wird, reicht es zwar nicht zur Belobigung echter Gesellschaftskritik, aber sticht aus der Masse seichter Unterhaltung heraus.
Apparat: Vier Singles, Autor: Waren Ellis, Zeichnerinnen: Jacen Burrows, Laurenn McCubbin, Carla Speed McNeil, Juan José Ryp, 124 Seiten, schwarzweiß, Softcover, 14,00 Euro, Erschienen bei DANTES VERLAG
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