Von Hannes Sies
Eine hilfreiche Analyse der USA unter Biden. Biden wird keinen New Deal schaffen, seine Greenwashing- und Sozialprogramme sind halbherzig und zielen eher auf eine Blendung der innerparteilichen Linken. Seine Außenpolitik vereint das Schlechteste des Trump-Regimes mit dem der Clinton-Obama-Clique: Washington wütet jetzt gegen China und Russland zugleich. Weitere Rüstungsorgien und gefährliches Säbelrasseln in Ukraine und Indo-Pazifik drohen.
Der Politökonom Conrad Schuhler legt zunächst eine Nachlese der Trump-Abwahl vor. Die fiel denkbar knapp aus, denn Trump verlor nicht, sondern gewann 10 Millionen Stimmen hinzu. Also doch Wahlbetrug, wie die Trumpisten beim Sturm auf das Kapitol mit ihrem Idol brüllten? Nein, denn die Demokraten gewannen 16 Millionen Stimmen und damit die Mehrheit. Interessant ist, dass Trump bei wohlhabenden US-Wählern zulegen konnte -die haben ihre Liebe zum Rechtspopulismus entdeckt, als Trump auf Umverteilung von oben nach unten, also zugunsten seiner verarmten weißen Wählerschaft verzichtete. Diese sind ihm dennoch treu geblieben, analysiert Schuhler. Biden setzt dagegen Sozialprogramme und außenpolitisch eine Systemkonfrontation „Demokratien gegen Autokratien“, womit er Trumps Kurs gegen China verschärft und Trumps mildere Haltung zu Russland sogar umkehrt -zurück zum Säbelrasseln Richtung Moskau von Hillary Clinton. Eigentlich sollte dies eine erhöhte Kriegsgefahr bedeuten, die Schuhler schon in seinem letzten Buch pessimistisch beschwor. Doch sein vorliegendes Buch scheint eher vorsichtig-optimistischer, bei aber weiterhin hoher Warnstufe für Konflikte in der Ukraine und besonders im Indo-Pazifik-Raum, wohin die Nato just ihren Operationsraum ausdehnte. Das aktuell wieder verstärkt gegen Putin gerichtete Propaganda-Getrommel der Westmedien und -regierungen zielt eigentlich auf eine Unterwerfung Chinas, das unter Moskaus Atomwaffen-Schutzschirm gedeiht:
„Für ein weltweites Patt ist China auf den atomaren Beitrag Russlands angewiesen. Dies ist der wesentliche Grund für den Nachdruck, den die USA auf die Darstellung Russlands als kriegswütigen, barbarischen Akteur legen. Soll China in die Knie gezwungen werden, dann muss auch mit der ‚autoritären Herrschaft‘ in Russland aufgeräumt werden.“ (S.109)
Die USA unter Biden: Republikaner, Demokraten, Plutokraten
Wie sehen die neuen USA unter Biden aus? Was will der neue US-Präsident? Nach Innen will sich Biden als gütiger Pate eines neuen Sozialstaates darstellen, im „Mantel von Franklin D. Roosevelt“ mit dessen New Deal. Doch Schuhler kritisiert die Mickrigkeit dieser Bestrebungen: Nur 1,9 Billionen Dollar schwer ist Bidens „American Rescue Plan“, der Rettungsplan für Amerika, der Ausgleich schaffen soll für die Opfer der Corona-Krise. Drei Billionen mehr will Biden in das Umbauprogramm der Wirtschaft stecken, mit dem die USA dauerhaft die unangefochtene Nr. 1 der Weltpolitik werden und bleiben sollen. Bidens innerparteilicher Linkskontrahent Bernie Sanders wollte über 16 Billionen in einen New Green Deal stecken.
Außerdem ist „Sleepy Joe“ ein „Tricky Joe“ -er tut nur so als wolle er soziale Politik, um die stärker werdende Linke in seiner Partei ruhig zu stellen. Aber leider, leider in der Umsetzung klappe es nicht, wegen der Filibuster-Blockade der Republikaner im Senat. Doch Conrad Schuhler bewertet die Lage anders: Derzeit hätten die Demokraten freie Hand, da sie im Abgeordnetenhaus mit 10 Stimmen vorn liegen und auch im Senat trotz 50 zu 50-Patt eine Stimme mehr haben -es entscheidet beim Patt die Vize-Präsidentin. Nur die Filibuster-Regel gibt der Opposition der geschlagenen Trumpisten ein Vetorecht, wenn sie mit mindestens 40 ihrer 50 Senatoren gegen Biden stimmen -was sie regelmäßig tun. Doch diese Filibusterei könnte Biden jederzeit durch Gesetzesänderung abschaffen -und damit seinem Sozialprogramm einen Durchmarsch sichern. Das will Biden aber nicht, angeblich, um die US-Gesellschaft zu versöhnen. Schuhler weist darauf hin, dass die wahre Spaltung des Landes nicht zwischen Democrats und Republicans liege, sondern zwischen Arm und Reich.
Denn gerechte Teilhabe gibt es für die Mehrheit der US-Bevölkerung nicht. Allein während der Coronapandemie haben, so Schuhler, 600 US-Milliardäre ihr Vermögen von knapp drei auf über vier Billionen US-Dollar gesteigert. Die fünf reichsten wurden um 85 Prozent reicher. Die drei Top-Krösuse, Jeff Bezos (Amazon), Bill Gates (Microsoft) und Warren Buffett (Finanztycoon), verfügen über ein Vermögen, „das erheblich größer ist als das der gesamten unteren Hälfte der Bevölkerung“ (S.32). Sogar die CIA warne schon die Regierung vor der rasanten Ansammlung von Reichtum oben bei wachsender Armut unten in der US-Gesellschaft. Hier sieht der Autor sozialen und politischen Sprengstoff, der faschistische Kräfte mobilisieren können und Donald Trump (oder einem ähnlichen Rechtspopulisten) in vier Biden-Jahren den Weg an die Macht bahnen könnte. Doch dem Geldadel käme ein Trump2.0 gerade recht -ihr obszöner Reichtum explodierte unter Ägide des präsidialen Baulöwen geradezu.
Schuhler prognostiziert „eine baldige Offensive von rechts“, sollte Biden mit sozialen Reformen oder Umverteilung ernst machen, denn die „...Plutokratenklasse wird von der Sorge bewegt, dass Biden gedrängt wird, die Reichen höher zu besteuern.“ (S.137) Damit sind wohl weniger weitere Nazi-Attacken auf Regierungsgebäude gemeint als Lobby- und Propaganda-Kampagnen von Konzernen, Oligarchen und sonstigen Deep-State-Drahtziehern. Echte Einschnitte im Speckgürtel der Ausbeuterklasse sind daher nicht zu erwarten, Biden trickse sich raffiniert darum herum. Auch die Konzerne würde er nicht einmal in der Höhe besteuern, die noch unter Obama fällig war -die Umverteilung von unten nach oben gehe also weiter. Ausflüge in die US-Geschichte untermauern die Kritik, wobei Schuhler auch auf Klassiker wie den sozialistischen US-Literaten Upton Sinclair und seine Medien- und Kapitalismuskritik zurückgreift (S.46/85).
Joe Biden verfolgt die Linie America First genauso wie sein Vorgänger, nur mit anderen Methoden. »Für immer« sollen die USA die führende Kraft in der Welt sein, ist das erklärte Ziel. Der wachsenden Spaltung im Land will er mit »nationaler Versöhnung« und »Respekt« vor den benachteiligten Minderheiten begegnen. Die sind längst zur Mehrheit geworden und Bidens Konzept, durch »mehr Sozialstaat« die Spaltung in immer weniger Gewinner der Globalisierung und eine wachsende Schar von Verlierern erträglicher zu machen, wird scheitern. So lautet die Prognose von Conrad Schuhler. Ebenso wird die Ausrufung eines neuen Kalten Kriegs zwischen den »Demokratien« und den »Autokratien«, wie Außenminister Blinken die neue Systemrivalität nennt, den weiteren Aufstieg Chinas nicht verhindern können. Eine zerrissene Gesellschaft im Innern, der Verlust der Nummer Eins auf dem globalen Feld – wie kann Washington daran gehindert werden, seine verbleibende Machtressource, das Militär, einzusetzen und ein Inferno auszulösen? (Verlagstext)
China schafft sozialen Fortschritt
China sieht Schuhler unvermindert positiv, wie schon in seinem letzten Buch, und verteidigt die Politik Pekings, auch gegen linke Kritiker wie etwa Dieter Sablowski oder Anton Stengl (Buchautor von „Chinas neuer Imperialismus“): „Nach dem blamablen Zusammenbruch des Realsozialismus und dem weiteren Aufstieg der Volksrepublik China als Wortführer des globalen Südens wäre eher eine Neubewertung der Positionen der KPCh vorzunehmen, als dieser nun die Abweichung vom marxistischen Kanon vorzuhalten.“ (S.131)
Die KPCh sei heute nur noch zu einem Drittel klassische Arbeiter- und Bauernpartei, bestehe zu mehr der Hälfte ihrer 92 Millionen Mitglieder (6,4 Prozent der Bevölkerung) aus akademischen Trägern des technologischen Fortschritts. Diese 6,4 Prozent würden eine funktionierende innerparteiliche Demokratie pflegen, was „kulturunkundigen Westlern“ meist aber entgehe (S.128). China habe 700 Millionen Menschen aus absoluter Armut befreit -ein Großteil des ökonomischen Fortschritts der letzten Jahrzehnte weltweit sei damit Peking anzurechnen. Die sozialistisch entstandene chinesische Politik vergleicht Schuhler mit dem Westen, wo PR-Propaganda in den Medien und korruptes Gekungel mit Lobbyisten im Hinterzimmer eine Politik sozialer Ungerechtigkeit produzieren.
„Die Behauptung, der Westen stelle mit seinem Parlamentarismus und seinen freiheitlichen Grundwerten China in den Schatten, ist schon in ihrer Ausgangsunterstellung unbegründet: Es gibt diese Art von demokratischem Ideal nur auf dem Papier der westlichen Demokratie-Propaganda. Die westlichen Gesellschaften sind gekennzeichnet von tiefer sozialer Ungleichheit, vom Vermögens- und Einkommensstatus hängt der Zugang der Menschen ab zu Leistungen wie Gesundheit, Wohnen, Bildung, Beruf und auch und vor allem zu politischem Einfluss.“ S.127
Die Propaganda-Qualität westlicher Grundwerte und Rechtsstaatlichkeit zeigt sich derzeit wohl vor allem, könnte man Schuhler ergänzen, in der brutalen politischen Verfolgung und aktuellen Verurteilung von Wikileaksgründer Julian Assange. Schuhler beleuchtet bei aller Zustimmung auch Mängel in China: Der Zugang zur Parteimitliedschaft sei zunehmend beschränkt, die Ungleicheit wachse auch in China, das inzwischen ähnlich viele Milliardäre hat wie die USA, im Gini-Index für ökonomische Ungleichheit liegt China (mit 0,38) heute zwischen Deutschland (0,35) und den extrem ungerechten USA (0,43 n.Pew, 0,41 n.Weltbank), S.80/101. Eine Kritik der chinesischen Politik von Überwachung und Social Scoring fehlt weiterhin bei Schuhler; ihr wäre aber der fanatische Kontrollwahn der USA durch ihre NSA-Netze und Facebook, Google & Co entgegen zu halten.
Conrad Schuhler: Das Neue Amerika des Joseph R. Biden, Köln, Papyrossa Verlag, 2021, 163 Seiten, 13,90 Euro
Conrad Schuhler, *1940, Diplom-Volkswirt, Studium an den Universitäten Manchester und München, Harkness-Fellow an den Universitäten Yale und Berkeley (USA). Langjähriger Vorsitzender des Instituts für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung (isw) in München.
Siehe auch: Hannes Sies Buchkritik: Conrad Schuhler, Wie weit noch bis zum Krieg?