Neuerscheinungen Diverses

17.03.23
KulturKultur, TopNews 

 

Buchtipps von Michael Lausberg

Buch 1

Michail Chodorkowski: Wie man einen Drachen tötet. Handbuch für angehende Revolutionäre, Europa Verlag, Berlin u.a. 2023, ISBN: 978-3-95890-573-3 ,10 EURO (D)

Der russische Dissident und vehementer Kritiker des Putinismus, Michail Chodorkowski, stellt in diesem Buch Überlegungen für die Zeit nach Putin an und legt einen weitreichenden Entwurf für ein demokratisches Russland vor. Dabei geht es zwar um konkrete Politik, aber auch um ideengeschichtliche und strukturelle Dimensionen, die grundsätzlicher Natur sind.

Grundsätzlich ist sich der Autor sicher: „So oder so, das Regime (Putins, M.L.) wird enden“. (S. 9) Die Sorge ist, dass das Nachfolgeregime auch autokratischer Natur sein wird, will Chodorkowski diesen Teufelskreis immer wieder auftretender autokratischer Macht in Russland durchbrechen. Und neue gesellschaftspolitische und institutionelle Voraussetzungen für eine echte parlamentarische Republik schaffen. „Die kulturellen, wirtschaftlichen und gesellschaftspolitischen Bremsen, die das Abgleiten in autoritäre Bahnen verhindern, sind in unserem Land noch sehr schwach ausgeprägt.“ (S. 15)

Er fordert einen grundsätzlichen, nachhaltigen Bruch mit autoritären Traditionen und Praktiken in Russland. Dazu sei eine demokratische Revolution, der Aufbau einer föderalen parlamentarischen Republik mit einer entwickelten lokalen Selbstverwaltung zwingend notwendig. „Das Land, das jahrhundertelang daran gewöhnt war, sich selbst von oben zu sehen, muss lernen, sich von unten zu betrachten.“ (S. 17)

Er sieht einen machtpolitischen Dualismus, der sich in der Geschichte abwechselt und immer gezeigt hat. : Regierungschef/Zar-Regionalmachthaber/Regionalzaren. Daraus müsse ein Dreieck werden, ergänzt um lokale Selbstverwaltung. So würden „Elemente von check and balances“ entstehen, „ohne, die eine echte Demokratie undenkbar ist“. (S. 19)

Dies präzisiert er im Folgenden und nennt weitere Elemente zum Aufbau einer demokratischen Gesellschaft.

Die Analyse Chodorkowski ist sehr lesenswert, er macht eines der Grundübel, nämlich die autoritären Traditionen und das fehlenden demokratisch-zivilgesellschaftliche Denken und Handeln in Russland aus. Der Vergleich Stalinismus und Putinismus ist zwar historisch falsch, es sein denn, der Autor will nur den autoritären Charakter beschreiben.

Sein Ansatz der Stärkung der lokalen Selbstverwaltung ist richtig und notwendig, der geforderte radikale Bruch natürlich auch, um Demokratie langfristig zu etablieren. Andere Elemente wären noch die „Sehnsucht nach einem starken Mann“, der autoritäre Charakter und der Einfluss der Kirche, Nationalismus und imperiale Denkkategorien.

Diese Übel gibt es in geringerem Maße natürlich auch in westlichen Demokratien, das sollte nicht vergessen werden.

Nachhaltige Demokratie ist aber auch nur zu erreichen, wenn Plutokratie und Oligarchie in Russland wenigstens halbwegs eingedämmt wird, die wirtschaftliche Macht ist immer verbunden mit politischer Macht. Demokratie und soziale Teilhabe gehören immer zusammen.


Buch 2

Camilla Läckberg: Kuckuckskinder. Erica Falck ermittelt, 3. Auflage, List, Berlin 2022, ISBN: 978-3-471-35175-8, 22,99 EURO (D)

Fünf Jahre lang mussten Fans der Krimi-Serie um Erica Falck und Patrik Hedström auf den elften Band warten. Dieser schwedische Krimi spielt wie so oft im eigentlich pittoresken und beschaulichen Fjällbacka. Nicht nur die Ermordung eines Fotografen sorgt für Entsetzen, dem schließen sich weitere Morde an, die wegen der Verbindungen untereinander mit dem ersten in Zusammenhang stehen könnten.

Das gesellschaftliche Ereignis des Jahres steht in Fjällbacka an: Der berühmte Literat Henning Bauer und seine Frau Elisabeth, eine bekannte Verlegerin, wollen ein großes Fest mit vielen Gästen zur ihrer goldenen Hochzeit feiern. Zur selben Zeit, wo das Fest seinen Höhepunkt erreicht, wird in seiner Wohnung der Fotograf Rolf Stenklo, ermordet. Stenklo war mit den Bauers befreundet und beschäftigte sich gerade mit der Konzeption einer Ausstellung über vergangene Geschehnisse der Bauers.

Patrik Hedström und sein Team übernehmen sofort. Es besteht immer noch aus denselben Personen: Polizeichef Bertil Mellberg, Gösta Flygare, Paula Morales, oder Martin Molin. Deren private Geschichten und Weiterentwicklungen knüpfen an dem Vorgängerband „Die Eishexe“ an.

Neben den polizeilichen Ermittlungen beschäftigt sich Erica Falck natürlich auch mit dem Tod Stenklos. Sie wirft einen Blick in Stenklos Vergangenheit und stößt dabei auf einen Todesfall aus dem Jahre 1980. Dabei handelt es sich um die Trans*Frau Lola und ihre Tochter Julia, die eine wurde erschossen, die andere starb bei einem Wohnungsbrand. Liegt der Schlüssel für die Ermordung Stenklos in der Aufarbeitung der Vergangenheit?

Doch auch die Gegenwart bietet viel Neues. Eine regelrechte Mordserie entwickelt sich, wodurch sich immer neue Konstellationen ergeben und die Spannung hochgehalten wird.

Der neue Band von spannend geschrieben und es gibt auch dieses Mal parallel erzählte Handlungsstränge, die zum Schluss stimmig verflochten werden. Mit dem Schwerpunkt Trans*Menschen und der gesellschaftliche Umgang damit wird ein aktuelles Thema angesprochen. an wird immer wieder aufs Neue zum Umdenken gezwungen und ist dann dennoch vom Plot überrascht, wo sich die Ereignisse überschlagen. Die früheren Bände zu kennen, ist keine Grundvoraussetzung für die Lektüre.

 

Buch 3

Antonia Baum: Siegfried. Roman, Claassen, Berlin 2023, ISBN: 978-3-546-10027-4, 24 EURO (D)

Antonia Baum legt in diesem Roman ein Psychogramm einer Frau vor, die zwischen alten Rollenerwartungen und neuen Ansprüchen nicht zurechtkommt. Sie weiß nicht weiter und beschließt eines Tages, nicht zur Arbeit, sondern in die Psychiatrie zu fahren. Dies wird aus Sicht einer namenlosen Frau erzählt, die im Wartezimmer der Notfallambulanz ihr Leben und ihre Situation beleuchtet, während es immer wieder Rückblenden aus ihrer Vergangenheit gibt. Nur dieser Tag in der Ambulanz wird in der Gegenwart erzählt.

An diesem Tag hat sie nicht mehr die Kraft, die Fassade, die sie jahrelang gepflegt hat und sich dabei selbst belogen hat, aufrechtzuerhalten. Dort hofft sie, ihre Ruhe zu haben, Verantwortung abgeben zu können und ihr Leben zu ordnen.

Was für diese aussichtslos erscheinende Situation gesorgt hat und was sie belastet, wird im weiteren Verlauf des Romans in Erinnerungen und Rückblenden auf Schlüsselmomente ihres Lebens deutlich.

Der Hauptteil ihres Denkens dreht sich um ihren Stiefvater Siegfried. Ein wenig wie der Held aus der Sage drückt er seit Kindestagen der Familie den Stempel auf, ist beruflich erfolgreich und ein Vertreter der alten Generation. Sein übergroßer Schatten wird schon im Cover erwähnt, er ist der bestimmende Faktor, dem die weiblichen Mitglieder sich unterordnen. Wie ihre leibliche Mutter, die jedoch nur ein Randaspekt darstellt. Dagegen steht Hilde, die Mutter von Siegfried, bei der die Erzählerin oft Zeit verbringt, eher im Vordergrund.

Gemäß des tradierten Modells hat sie heute mit ihrem Freund eine kleine Tochter und vermittelt den äußeren Schein einer glücklichen Familie.Hinter dieser Fassade gibt es jedoch Abgründe seelischer Art. Lieblosigkeit bis hin zu psychischer Gewalt, was niemals nach außen dringen darf, über das nicht gesprochen wird und anstatt problematisiert, hingenommen und verdrängt wird.

Die Erzählerin hat die Strukturen aus ihrer Kindheit und Jugend verinnerlicht und als Erwachsene übernommen. Sie hat bisher immer den äußeren Schein gewahrt und gelernt, alles zu schlucken und mit sich selbst ausgemacht, bis zu ihrem Hilferuf in der Psychiatrie.

So wird eine Frau ohne Demaskierung offen gelegt, die Rollenmuster gewohnt ist, seit ihrer Kindheit zu erfüllen, psychische Gewalt und wenig Liebe erfahren hat. Diese Muster haben sich bis heute bei der Partnerwahl, in der Ehe und ihrer Beziehung zu dominanten Männern durchgezogen.

Es ist ein trauriger, nachdenklich machender Roman. Viele Fragen werden nicht beantwortet, was wahrscheinlich beabsichtigt ist. Zum Beispiel wie es der namenlosen Frau weiter ergangen ist oder warum sie nicht eine von vielen Notfallnummern gewählt hat. Die Rückblenden sind manchmal verwirrend, da sie nicht chronologisch sind und die Zuordnung schwerfällt.

Das Plus des Romans sind die detaillierten Charakterdarstellungen und die Beschreibung der Atmosphäre.


Buch 4

Big Ideas. Das Chemie-Buch. Big Ideas – einfach erklärt, DK, München 2023, ISBN: 978-3-8310-4633-1, 26,95 EURO (D)

Ein Redaktionskollektiv widmet sich in der Reihe „Big Ideas“ der Welt der Chemie. Dieses Buch erzählt in über 95 wichtigen Meilensteine die Geschichte der Chemie von der Antike bis heute und erläutert zentrale Theorien und Entdeckungen, die für die Chemie und ihre Nachbardisziplinen bedeutsam sind.

Anschauliche Infografiken sowie originelle Illustrationen und beeindruckende Fotografien visualisieren komplexe chemische Abläufe und erleichtern den Zugang zur facettenreichen Welt der Chemie.

Kurzporträts über die führenden Chemiker*innen wie die Nobelpreisträger*innen Marie Curie, Alexander Fleming, Linus Pauling und Osamu Shimomura rücken die Menschen ins Rampenlicht, die hinter den großen Entdeckungen der Chemie stecken.

Das Buch startet mit praktischer Chemie in der Antike mit Metallen, den vier Elementen und Naturphilosophie (Atome). Weiter geht es mit dem Zeitalter der Alchemie und chemischen Errungenschaften. Danach wird das Zeitalter der Aufklärung mit chemischen Neuerungen verbunden. Die Entdeckungen der Zeit vor der Industriellen Revolution und Theorien und Analysen, die gleichbedeutend mit Fortschritt waren, kommen dann zur Sprache.

Das Maschinenzeitalter und das Atomzeitalter mit Entdeckungen nehmen den größten Platz ein. Das 21. Jahrhundert und die weitreichenden Veränderungen auch der Gentechnik oder neue Impfstofftechnologien schließen die Kapitel ab.

Im Anhang werden weitere bedeutende Persönlichkeiten und Wegbereiter der Chemie in kurzen Biografien behandelt. Außerdem gibt es ein Glossar für Fachausdrücke, ein Register zum Nachschlagen, den Zitatnachweis und den Bildnachweis.

Das Buch ist eine populärwissenschaftliche Geschichte der allgemeinen Chemie.

Sowohl alle wichtigen Begriffe und Konzepte als auch die großen Forscherpersönlichkeiten und ihre Beitrage zur Chemie werden behandelt.
Von hohem didaktischen Wert ist die gute Bebilderung. Es besitzt das bewährte übersichtliche Darstellungsformat mit Glossar und Register und daher sowohl als Lehrbuch für Einsteiger*innen als auch als Nachschlagewerk geeignet.








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