Buchtipps von Michael Lausberg
Buch 1
Harriet Häußler: Die Schöpfer des Kunstmarkts. Von den Anfängen in der Antike bis zur Digitalisierung in der Gegenwart, transcript, Bielefeld 2022, ISBN: 978-3-8376-6452-2, 39 EURO (D)
Im Gegensatz zur angelsächsischen Forschung gibt es im deutschsprachigen Raum wenig Monografien über den Kunstmarkt. Harriet Häußler gibt erstmals in diesem Buch einen profunden Einblick in die wechselhafte Geschichte des Kunstmarktes von der Antike bis zur Gegenwart und dem digitalen Zeitalter. Es wird gezeigt, mit welchen Verkaufsstrategien und Ausstellungsprogrammen, mit welcher architektonischer Gestaltung und welchen Veranstaltungen Kunsthändler, Galeristen und Auktionatoren ihre Ziele seit Jahrhunderten verfolgen und wie Sammler darauf reagieren.
Zuerst werden die antiken Anfänge des internationalen Kunstmarktes dargestellt. Archäologische Ausgrabungen zeigen, dass bestimmte Kunstwerke, Schmuck und Luxusobjekte für den häuslichen Gebrauch schon vor mehr als zweitausend Jahren über weite Strecken gehandelt und vertrieben wurden. Der erste überlieferte Handel, der sich auf Kunst spezialisierte, geht auf die Phönizier im 1. Jahrtausend v. Chr. Zurück.
In der Renaissance entwickelte sich das Verhältnis Künstler- Sammler neu. Der Beruf des Kunsthändlers etablierte sich als anerkannte Berufsgruppe. Im 17. Jahrhundert wurden vor allem zwei Verkaufskanäle besonders in den Niederlanden zunehmend beliebt: die Auktion und die Lotterie. Das Auktionswesen erlebte seine erste Blüte in der niederländischen Republik auch aufgrund von neu erschlossenen internationalen Handelswegen. Die Kunstlotterien von Werken bekannter Maler führten zu einer Popularisierung der Kunst.
Das Entstehen des modernen Kunstmarktes im 18. Jahrhundert mit heute noch existierenden Auktionshäusern Sotheby’s und Christie’s in London, die Begeisterung von Sammlerpersönlichkeiten wie Friedrich dem Großen in Preußen und Kunstpräsentation in einem elitären Zirkel anstatt in privaten Wunderkammern, um die ökonomische, soziale und politische Stellung zu demonstrieren, sind Schwerpunkte.
Im 19. Jahrhundert wurden die Kunstvereine neben den Verkaufsgalerien zu Orten, an den sich das Bürgertum bilden und informieren konnte. Sie unterstützten dabei direkt den Kunsthandel, da ihre Mitglieder häufig zu Kunden von Galerien wurden. Die neu gegründeten Museen und ihre häufig bürgerlichen Stifter waren ein weiteres Markenzeichen der Epoche.
Das 20. Jahrhundert wird geteilt präsentiert, die Zeit vor 1945 und danach. Ersteres mit den zwei Weltkriegen, wo viele Künstler, Händler und Sammler aus Europa, besonders aus Deutschland, nach Amerika flohen und die neuen europäischen Kunstrichtungen bekannt machten. Der Kunstmarkt war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von der Durchsetzung der Avantgarde-Kunst geprägt.
In der zweiten Hälfte erlebten Auktionshäuser einen enormen Bedeutungszuwachs. In den Jahrzehnten zuvor bestimmten Händler, Galeristen, Künstler und Sammler die Regeln des Kunsthandels. In der BRD erblühte der Kunsthandel der Nachkriegszeit in der BRD besonders im Rheinland, in der DDR wurde als Kontrollorgan VEN Bildende Kunst und Antiquitäten, das dem Ministerium für Kultur unterstellt wurde, gegründet. Es sollte den sozialistischen Kunstmarkt planwirtschaftlich organisieren.
Im 21. Jahrhundert kam die zunehmende Digitalisierung dazu, nach dem Ende des Kalten Krieges auch neue Märkte. Seit der Jahrtausendwende wurde Kunst immer häufiger als eine Art Investment als Anlage gesehen. Es entstand der neue Berufszweig des Art Consultant, der ein bestimmtes Kunstwerk und dessen Angebotspreis analysieren, um eine Kaufentscheidung zu erleichtern. Innerhalb der letzten Jahre entwickelte sich das Auktionsgeschäft zu einem einflussreichen Wirtschaftszweig mit einigen wenigen Protagonisten. Das neue Medium der NFT’s entsteht.
Einige farbliche Werke werden im Laufe des Buches gezeigt.
Im Anhang gibt es ein ausführliches Literaturverzeichnis, ein Abbildungsverzeichnis und die Anmerkungen.
Die wichtigsten Thesen sind: Der Kunstmark folgt seit Jahrhunderten denselben Prinzipien, nämlich das Dreieck Künstler, Händler und Sammler. „Es lässt sich erkennen, dass einzelne herausragende Sammler immer wieder maßgeblich die Entwicklung des Marktes beeinflussen. Sie nahmen eine Vorreiterrolle ein, entwickelten und erprobten neue Präsentationsformen. Daher dürfen auch sie wie Galerien, Kunsthändler, Auktionatoren und Künstler als ‚Schöpfer‘ des Kunstmarktes gelten.“ (S. 210)
Beweggründe wie Investitionsbereitschaft, Machtdemonstration, Distanzierungswille, Exklusivität, der Wunsch, Kunstwerke im Privaten für sich zu haben oder mit der Öffentlichkeit zu teilen, sind Beweggründe für das Kaufverhalten. Höchstpreise für Einzelwerke gibt es nicht nur heute, sondern sind in der Geschichte wiederholt vorgekommen.
Dies ist eine gute Einführung in die verschiedenen Phasen, Prozesse und Akteure der Kunstmarktgeschichte, der meist immer von den Grundbedingungen des oder der Zeitalter geprägt werden. Jedenfalls in Grundzügen als Überblick wird dies deutlich gemacht, als Basis für detailliertere Forschungen kann das Buch auch dienen.
Gut sind die Einführungen vor den einzelnen Kapiteln, wo sie allgemeine Entwicklungen mit denen des Kunstmarktes verknüpft. Hervorzuheben ist auch der umfangreiche Anhang.
Buch 2
C. Koppen/T.C. Vollmer: Architektur als zweiter Körper. Eine Entwurfslehre für den evidenzbasierten Gesundheitsbau, Gebrüder Mann, Berlin 2022, ISBN: 978-3-7861-2678-6, 69 EURO (D)
Wie berücksichtigen und erfüllen Gesundheitsbauten der Zukunft die Bedürfnisse erkrankter Menschen? Der Strukturwandel im deutschen Gesundheitswesen erfordert neue, zukunftsfähige architektonische Konzepte, die sich aus einer vertieften Menschenkenntnis einerseits und einem neuen Architekturverständnis andererseits ableiten.
Das Buch verbindet empirische Erkenntnisse der Modernen Architekturpsychologie mit einem neuartigen Verständnis von Architekturästhetik und -qualität zu einer Entwurfsmethodik, die das Erleben der Patientinnen und Patienten ins Zentrum stellt. „Architektur als zweiter Körper“ wird wichtigste Hülle einer sich fürchtenden Seele im kranken Leib.
Die Synthese aus explorativem und evidenzbasiertem Entwerfen setzt sich zum Ziel, veraltete Strukturen und Anforderungen im Krankenhausentwurf zu durchbrechen und gleichzeitig den Wandel der universitären Lehre einzuleiten.
Die Entwurfslehre dieses Buches wird am Beispiel des Comprehensive Cancer Center (CCC) dargelegt, da diese ambulanten Gesundheitseinrichtungen für an Krebs Erkrankte in idealer Weise den allgemeinen Strukturwandel im deutschen Gesundheitswesen aufzeigen.
In der längeren Einleitung werden zunächst die neue Rolle der Architektur im sich wandelnden Gesundheitswesen und das Beispiel des Comprehensive Cancer Center (CCC) behandelt. Danach wird sowohl das Umdenken im Krankheitsfall als auch das Umdenken um Gesundheitsbau dargestellt. Zum Abschluss wird das Münchener Lehrmodell vorgestellt.
Das Münchener Lehrmodell hat seinen Ursprung in der Auseinandersetzung mit dem erkrankten Menschen und den daraus ableitbaren Qualitätskriterien, Architekturkonzepten und Entwurfsentscheidungen. Es stellt eine Methode vor, innovativ, schöpferisch und effizient am Strukturwandel des Gesundheitswesens teilzunehmen. Die veränderte Wahrnehmung von Körper und Raum gemäß der Theorie der Raumanthropodysmorphie wird als Schlüssel zu einer Architektur, wo der Mensch im Mittelpunkt steht, von Gesundheitseinrichtungen der Zukunft gesehen.
Im ersten Entwurfsschritt „Durchbrechen“ wird sich der Entwurfsaufgabe angenähert. Der zweite Entwurfsschritt „Durchmessen“ beginnt mit essentiellen Begriffsklärungen. Danach folgt die ausführliche Darstellung von sieben Umgebungsvariablen, deren wissenschaftliche Herleitung und Einbettung in einen akademischen Forschungskontext sowie die Darlegung ihrer Bedeutung für die Entwicklung von Entwurfskriterien. Danach gibt es einen Einblick in die Anwendung der Umgebungsvariablen als Instrumentarium der Qualitätsanalyse von Gesundheitsbauten. Es wird aufgezeigt, wie Studierende beim Besuch Münchener Kliniken Analysetechnik einüben. Dies bedeutet die systematische Erhebung und Deutung wissenschaftlicher Daten, den Umgang mit Umgebungsvariablen und deren Zusammenhang mit Entwurfskriterien.
Im dritten Entwurfsschritt „Designen“ modellieren wissenschaftlich hergeleitete oder existente Faktoren das Fühlen zu einer funktionierenden Form. In der Synthese aus explorativem und evidenzbasiertem Entwerfen entsteht der anzustrebende architektonische Entwurf.
Zum Abschluss gibt es noch ein umfangreiches Literaturverzeichnis.
Die hier dargelegten Grundsätze sind keine Spinnerei oder Träumereien wirklichkeitsferner Architekten und Planer. Schon in seinem Buch „Die Unwirtlichkeit der Städte“ beschrieb der Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich in den 1960er Jahren, wie Lärm, drängelnde Menschen, monotone Stadtbilder und schlechte Gestaltung und Städtebau nach funktionalen und profitorientierten Gesichtspunkten die Gesundheit der Menschen bedroht.
Wie sehr Architektur krank machen kann, ist in vielen Studien und Berichten belegt. Architektonisches Bauen sollte nicht nur funktional gestaltet sind, sondern so, dass Menschen sich in ihnen wohlfühlen und besser gesund werden. Healing Architecture nimmt zum Beispiel Bezug auf das Konzept des healing environment, welches hauptsächlich auf Forschungsergebnisse der Neurowissenschaften und der Umweltpsychologie aufbaut, und erweitert dieses Konzept um architektonische Fragestellungen (z.B. baukonstruktive, programmatische und städtebauliche).
Dazu gibt es den empfehlenswerten Band von Katharina Brichetti und Franz Mechsner, worin sie Projekte heilsamer Architektur vorstellen und verbinden dies mit Einsichten aus Psychologie, Neurobiologie und Phänomenologie, um zu zeigen, was menschenfreundliche Raumgestaltung ausmacht. Im Mittelpunkt steht dabei die Wirkung gebauter Umwelt auf das Erleben im Sinne einer »Rehumanisierung von Architektur« (Gernot Böhme). Dieser kann als Erweiterung des Buches herangezogen werden.
Dieses Buch gibt wichtige Impulse für die Gestaltung von Gesundheitseinrichtungen mit einer den Bedürfnissen des Menschen folgenden und die Genesungsprozesse fördernden Architektur und zukünftige Forschungen. Es werden viele hilfreiche Grundrisse, Zeichnungen und Bilder des fertigen Objekts gezeigt.
Buch 3
Barbara F. Walter: Bürgerkriege. Warum immer mehr Staaten am Abgrund stehen, Hoffmann und Campe, Hamburg 2023, ISBN: 978-3-455-01510-2, 26 EURO (D)
Immer häufiger kommt es rund um den Globus zu Bürgerkriegen. Barbara Walter ist eine der renommiertesten Expertinnen auf diesem Gebiet.
Walter forscht seit Jahrzehnten zu der Frage, welches die wiederkehrenden Muster sind, die auf eine baldige Eskalation in einer Gesellschaft hindeuten. Ausgehend von verschiedenen Bürgerkriegen auf der ganzen Welt erklärt sie, unter welchen Umständen Staaten in Aufruhr und Chaos abgleiten.
Die Situation in den USA mit dem Tiefpunkt der Erstürmung des Kapitols sind am ausführlichsten. Durch Fallstudien des gewalttätigen Konflikts, der aus der Identitätspolitik resultiert, die von Demagogen und ihren Lügen konsequent bedient werden, machen deutlich, auf welchem antidemokratischen Kurs sich die USA derzeit befindet.
Dies wurde durch vier Hauptfaktoren verursacht. Erstens die Wandlung der Partei der Republikaner, um ihre eigentlichen Ziele durchzusetzen. Sie wurden zu einer Fraktion, die auf Identität beruht, und verließen die Grundlagen einer Partei, die auf Politik basiert. Dies sind Steuersenkungen für die Reichen, Regulierungssenkungen für riesige, extrem wohlhabende Unternehmen, Leistungskürzungen (z. B. Sozialversicherung und Medicare) oder Minimierung der Anstrengungen gegen den Klimawandel. Ein politischer Dialog wird nicht wirklich angestrebt, Konfrontation ist das oberste Ziel. Dies sieht man an ihren Wählern: Sie sind überwiegend Weiße, christlich konfessionell, haben niedrige Bildung, leben in ländlichen Gegenden und sind meistens männlich.
Zweitens werden die Rolle von Nachrichtensendern, Blogs und Social-Media-Kanälen beleuchtet. Dort haben sich Verschwörungsideologien und falsche Anschuldigungen ohne Beweis verselbständigt und normalisiert. Republikanische Wähler haben so ein einfaches Weltbild, ohne sich mit unterschiedlichen Standpunkten, sozialwissenschaftlicher Forschung oder Fakten beschäftigen zu müssen.
Drittens wird die Gewaltbereitschaft von organisierten Paramilitärs und rechten Milizen wie die Proud Boys genannt. Die Übergriffe von Charlottesville bis hin zum Sturm auf das Kapitol und die zunehmende Radikalisierung nach verlorenen Wahlen sind dort Schwerpunkte.
Viertens sind die die Geldgeber und Persönlichkeiten wie Donald Trump, die ihre eigenen Kanäle und Plattformen nutzen, um Menschen aufzuwiegeln, rassistische Botschaften zu senden und Wahlen nicht anzuerkennen. Das Buch untersucht bei den Ursachen der Spaltung der USA auch die extreme rechte in den USA, white supremacy und die politischen Streitpunkte und Kipppunkte.
Als Vorbeugung und Reaktionen auf diese Art von Bürgerkriegen werden die „Sozialen Medien“ in die Pflicht genommen, um nicht länger als Instrument für das Verbreiten von Lügen zu dienen und die Grenzen der Meinungsfreiheit beim Aufruf von Hassbotschaften zu respektieren. Außerdem bedarf es administrative und gesetzliche Änderungen an Wahlgesetzen, Stimmenauszählung und Finanzierung von Wahlen und ein Mehr an Transparenz, um Ereignissen wie dem Sturm auf das Kapitol im Vorfeld entgegenzutreten.
Das Buch behandelt als Schwerpunkt traditionell gewachsene Demokratien wie die in den USA. Es wird immer mit Daten unterfüttert, ist also seriös und dient keinen voyeuristischen Absichten. Und hat neben einer fundierten Analyse auch einige Vorschläge dazu, was sich ändern sollte.
Dass das neueste Trauerspiel und die Schande von Brasilia, einem nominellen demokratischen Land, nicht enthalten ist, ist logisch. Vielleicht in einem Fortsetzungsband, das Thema dürfte leider virulent bleiben.