»The Son« (Frankreich 2023, Start 26.01.2023)
Regie: Florian Zeller
Besprechung von Franz Witsch
Der siebzehnjährige Nickolas (Zen McGrath) leidet unter Depressionen, mit denen er sich in der normalen Welt seiner geschiedenen Eltern Peter (Hugh Jackman) und Laura (Dern Kate) nicht mehr zurechtfindet. Beide raufen sie sich aufopferungsvoll zusammen, um ihren Sohn zu helfen und werden dabei auch von Peters neuer Freundin unterstützt.
Vergeblich. Nickolas Krankheit nimmt immer größere Ausmaße an, ohne dass seine Eltern helfen können. Sie merken bis zum Schluss nicht, dass sie mit Nicholas Krankheit überfordert sind, auch weil sie nach Erklärungen suchen, insbesondere Peter, die es freilich ohne weiteres in seiner Welt des beruflichen Erfolgs nicht gibt. Dort gibt es auf einer opak-undurchdringlichen Oberfläche für jedes Problem eine Lösung, die keine Frage mehr offen lässt.
Das macht die berufliche Brillanz von Peter aus. Auf die lässt er nichts kommen. Auf dieser Oberfläche klebt er, sie ist seine zweite Haut, durch die weder was hinaus- noch hineindringt. Um nicht zu sagen: an dieser Stelle ist er vollkommen “zu”, auch wenn er sich nach außen locker, überdies zutiefst liebesfähig gibt. Wahrhaftig, weil seine Familienangehörigen mit ihm zusammen auf dieser Oberfläche kleben, von seinem Erfolg sich ernährt fühlen.
Eben bis auf “The Sohn”. Er vermag sich auf dieser opaken Oberfläche von Ursache und Wirkung, die Peter freilich ungebremst in die Welt seiner Familie projiziert, nicht zu halten. Dabei ist Peter ständig versucht, seinen Sohn in diese seine Welt des Erfolgs hineinzuziehen, wogegen dieser sich – zu Recht? – instinktiv wehrt. Ohne dass der Zuschauer gewahrt, dass Nickolas sich aus seiner Perspektive heraus zu Recht wehren könnte, weil diese eben nicht nur in seiner Krankheit aufgeht, und wir uns möglicherweise deshalb alle gegen die Welt des Erfolgs wehren müssten.
In der Welt des Erfolgs finden sich keine Erklärungen für Nickolas Depressionen, weil man dort schon immer alles weiß, noch bevor man auf etwas gestoßen ist, mithin sich alles, einschließlich der Mensch, durchrationalisiert sieht, was nicht niet- und nagelfest ist. Als müsse die ganze Welt in der Welt des Erfolgs aufgehen können, in der alles wunderbar alternativlos transparent, mithin glatt gebügelt ist, sodass Erklärungen apodiktisch aus dem Impuls heraus ausgesprochen werden, um Widerrede gar nicht erst aufkommen zu lassen.
In einer solchen Welt leben wir. Und genau diese Welt ist falsch. Sie gibt es nur auf eine immer brutalere zerstörerische Weise, gegen uns alle gerichtet, selbst gegen Peter, der am Ende des Films den Eindruck erweckt, als komme ausgerechnet er, der Erfolgsmensch, in genau dieser seiner eigenen Welt nicht mehr zurecht. Hier fällt mir einmal mehr Adornos legendärer Satz ein: das Ganze sei das Falsche. Und es gebe kein richtiges Leben im Falschen.
Könnte es sein, dass Nickolas, ohne es zu ahnen, sich genau dagegen wehrt? Im Falschen leben zu müssen? Möglicherweise gibt es also durchaus Erklärungen, solche, die einer Verarbeitung zugänglich wären, freilich nicht kompatibel mit der Welt des Erfolgs, die ihrerseits nur ihre Erklärungen duldet.
Das wird erst ab der zweiten Hälfte des Films ein wenig deutlicher. Bis dahin mag es für den Zuschauer so scheinen, als wüssten die Filmemacher mit Nickolas Erkrankung nicht viel anzufangen. Genau das macht aber die Qualität des Films aus. Die Filmemacher inszenieren den Film auf Augenhöhe mit seinen Figuren und geben sich dabei nicht schlauer als diese selbst oder die Zuschauer. Sie alle wachsen langsam aber sicher bis zum Schluss in die psychischen Gebrechen von Nickolas hinein, freilich, und das ist ein Wermutstropfen, aus der Perspektive eines Beobachters, der jene Gebrechen lediglich von oben herab wahrnimmt, ohne sich und seine (eigene) Welt – sein Innenleben – einzubeziehen, um eigene Verantwortlichkeiten hinreichend markieren zu können.
So gesehen könnte man z.B. auf den Gedanken kommen, dass die Figuren ohne Distanz leben zu dem, was sie den ganzen Tag machen. Der Vater arbeit ohne Distanz zu seiner Welt des beruflichen Erfolgs, mit der er sein Familienleben liebevoll terrorisiert; während die Familienmitglieder nicht weniger ohne Distanz zueinander leben (wollen). Wird eine solche offener spürbar, reagieren sie cholerisch (der Vater), allzu fürsorglich (die Mutter) oder immer extremer depressiv (The Son).
Da reicht es auch nicht, dass die Freundin von Peter in der Lage ist, etwas mehr Distanz aufzubringen, eben weil der Sohn etwas fremder auf sie wirkt, sie allerdings auch den Eindruck macht, dass sie in der Lage ist, das Fremde in sich, ihrem Leben, zu assimilieren. Eine äußerst gesunde Einstellung, die andere Familienmitglieder geradezu extremistisch vermissen lassen.
Derart vermag Peter nicht konstruktiv zu reagieren; z.B. indem er auf einen Vorschlag seiner Freundin eingeht, übers Wochenende ans Meer zu fahren. Das will er nicht über sein Herz bringen, während sein Sohn zur selben Zeit in der Psychiatrie aggressiv vor sich hindämmert.
Peter ahnt nicht, dass er mit seinem Bedürfnis nach Nähe zu seinem Sohn alles hoffnungslos schlimmer macht. Seine Freundin vermag ihn nicht zu überzeugen, weil sie ihm nicht vermitteln kann, dass sie Peter nicht nur aus egoistischen Motiven zwei Tage für sich allein haben möchte. Peter denkt nach, zieht flugs die falschen Schlussfolgerungen aus ihren Wünschen und bleibt, nah am Wasser gebaut, ganz und gar in seiner Rolle als Vater aufgehend, (immer zu) nah an seinem Sohn dran. Seine Exfrau weiß auch nicht mehr und glaubt, mehr Liebe und Zuneigung würde alles besser machen. Sie irren beide komplett.
Selbst der Vater irrt noch zum Ende des Films, als er tränennass wimmert, er habe mit Nickolas alles falsch gemacht. Hat er nicht, zumindest nicht aus seiner Perspektive des beruflichen Erfolgs heraus. Dort hat er einen einzigen Fehler gemacht: als er nämlich zusammen mit seiner überfürsorglichen Ex-Frau den gemeinsamen Sohn aus den Klauen der Psychiatrie herausgeholt hat.
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