Griechenland im Dezember 2010

28.12.10
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Von Nikos Tamvaklis

Nach den  Kommunal- und Bezirkswahlen im November sah sich die Regierung von G. Papandreou mit einer drastischen Verengung ihres Handlungsspielraums konfrontiert. Zunächst versuchte sie, Stützen in den beiden neuen politischen Formationen zu finden, die kürzlich durch die "Demokratische Allianz" von Dora Bakoyanni, eine Abspaltung der bürgerlichen Rechtspartei "Neue Demokratie", und durch die "Demokratische Linke" von  Kouvelis, ein Spaltprodukt der reformistischen Partei "SYN" entstanden sind.  Diese beiden politischen Gruppierungen, die Umfragen zufolge sozial kaum verwurzelt und wenig glaubwürdig zu sein scheinen, verfügen jedoch über eine kleine Zahl von Parlamentsabgeordneten, die vor allem "Konsens und Verständnis" für die Schwierigkeiten der Regierung und für die Notwendigkeit der Umsetzung des "Memorandum" zeigen und dadurch eine kleine, aber wertvolle Reserve für PASOK-Regierung darstellen.
Aber da die Genehmigung der dritten Tranche des Darlehens durch die Troika bevorstand und das finanzielle Ziel des "Memorandums", das öffentliche Defizit im Jahr 2010 auf 7% zu reduzieren, nicht erreicht wurde, sah sich die Regierung gezwungen, eine neue Welle härtester Kürzungsmaßnahmen zu Lasten der Lohnabhängigen zu verhängen. Andererseits löste der von den Gewerkschaftsverbänden GSEE und ADEDY bereits für den 15. Dezember geplante Generalstreik eine intensive Nervosität im Regierungshauptquartier aus. Die Regierung beschleunigte unter diesem Druck die Annahme der neuen Maßnahmen, des so genannten "übergreifenden Gesetzentwurfs", der vom Parlament am 14. Dezember im Eilverfahren verabschiedet wurde. Der "übergreifende Gesetzentwurf" besteht im Wesentlichen aus zwei Teilen und hat folgende Zielsetzungen:
a) die nach der bereits im vergangenen Frühjahr beschlossene weitere drastische Kürzung des Durchschnittseinkommens der Arbeiter/innen in den DEKO, den staatlichen oder halbstaatlichen "Öffentlichen Unternehmen des Gemeinwohls", zu denen die öffentlichen Verkehrsmittel, die Elektrizitätsgesellschaft DEI, die Wasserwerke etc. gehören. Da die Gewerkschaften in der Privatwirtschaft seit vielen Jahren schrumpfen, bilden die Lohnabhängigen dieses Sektors seit Jahrzehnten das Rückgrat der offiziellen Gewerkschaftsbewegung der GSEE, aber gleichzeitig auch einen wichtigen Pfeiler in der Unterstützung der regierenden PASOK
b) die Sanktionierung grundsätzlich neuer Arbeitsverhältnisse im privaten Sektor, die Abschaffung der bisher in den verschiedenen Branchen geltenden kollektiven Arbeitsverträge und ihre Ersetzung durch Tarifvereinbarungen in den Einzelunternehmen. Dieses neue Arbeitsgesetz wird die Arbeitenden in den kleinen Unternehmen praktisch der Willkür der Geschäftsleitungen ausliefern, da es in ihnen keine Gewerkschaften oder, wenn überhaupt, nur solche gibt, die weitgehend von den  Arbeitgebern kontrolliert werden. Diese Arbeiterinnen und Arbeiter stellen die überwiegende Mehrheit (rund 90%) der Beschäftigten in der griechischen Privatwirtschaft.
Die bürokratische Führung der GSEE, der Vorstand des nationalen Gewerkschaftsverbandes, reagierte auf die einzige Weise, die sie tatsächlich gut beherrscht, und führte Geheimverhandlungen mit den Vertretern der Arbeitgeber und den Ministern. Als dies bekannt wurde, brach ein allgemeiner Aufschrei los, der zum Rücktritt des Vizepräsidenten der GSEE, einem Vertreter des SYN, führte.

Die beiden neuen und zur Zusammenarbeit mit der Regierung bereiten politischen Formationen, die "Demokratische Linke" und die "Demokratische Allianz", waren am 14. Dezember gezwungen, im Parlament oppositionelle Töne anzuschlagen und den "übergreifenden Gesetzentwurf" zu denunzieren. Sogar ein weiterer PASOK-Abgeordneter -nach den vier, die im Mai ihre Zustimmung verweigert hatten- sprach sich gegen die Gesetzvorlage aus und wurde sofort aus der PASOK ausgeschlossen. Der Gesetzentwurf wurde schließlich angenommen, aber die Regierung war in dramatischer Weise isoliert.
Der Generalstreik am 15. Dezember war mit der vollendeten Tatsache des am Tag zuvor verabschiedeten Gesetzentwurfs konfrontiert. Dennoch war die Mobilisierung massiv und militant. Die Kundgebung und Demonstration in der Innenstadt von Athen und vor dem Parlament hatten rund 100.000 Teilnehmer/innen (50.000 nach offiziellen Quellen) und waren damit sicherlich kleiner als die vom 5. Mai, aber mit einer entschlosseneren und sehr kampfbereiten Stimmung. Die wichtigsten Merkmale der Mobilisierung lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
a) Die Koordination der Komitees der Gewerkschaftsbasis (des Verbands der Gewerkschaftsgruppen, in der die antikapitalistische Linke die führende Rolle spielt) bildete die größten und militantesten Blocks der Gewerkschaftseinheiten und der Arbeiter/innen. Die Bürokraten der GSEE- und ADEDY-Führung wagten es nicht, in den Straßen von Athen zu erscheinen. PAME, die Koordination der von der griechischen KP kontrollierten Gewerkschaftsverbände, führte wie üblich eine parallele und separate Demo durch, die aber weder sonderlich massenhaft noch dynamisch war.
b) Die Komitees der Gewerkschaftsbasis und die politischen Organisationen von ANTARSYA marschierten geschlossen die gesamte Demostrecke, obwohl sie von der Polizei massiv mit chemischen Gasen ("Tränengas") angegriffen wurden und die unkontrollierten Aktionen selbsternannter Anarchisten und der "Kapuzenträger" für zusätzliche Verwirrung sorgten.
c) Nach dem Ende der Demonstration marschierte ein großer Block von Teilnehmer/innen  in Richtung der Büros der GSEE und stieß mit der Polizei zusammen, die ihnen den Eintritt verwehrte.
d) Der ND-Abgeordnete und frühere Minister K. Chatzidakis wurde von Bürgern auf der Straße angegriffen und geschlagen. Die Leute, die ihn verprügelten, waren keine Teilnehmer eines Blocks und wahrscheinlich Zuschauer der Demo vom  Bürgersteig aus. Dieser Abgeordnete wird von den Medien systematisch als "ehrlicher und besonnener" Politiker präsentiert. Die Schläge, die er bezog, verursachten einen schweren  Schock sowohl bei den Vertretern der bürgerlichen Parteien als auch bei den Journalisten der Massenmedien, die permanent die Notwendigkeit der Politik des Memorandums propagieren. Sie alle bemerkten plötzlich nicht nur das Ausmaß des Volkszorns, sondern auch die Tatsache, dass diese aufgestaute Wut sich in bedrohlicher Weise gegen sie selbst richtet.
Dies hat viele Medien gezwungen, ihre Aufmerksamkeit nicht noch einmal auf die Tätigkeit der "Anarchisten" und Kapuzenträger zu konzentrieren, sondern auch auf die Stärke und die Militanz der wichtigsten Träger der Arbeiter/innen-Demonstration. In den folgenden Tagen verwandelte eine fortlaufende Streikwelle der in den städtischen Verkehrsbetrieben (Metro, Bus, Straßenbahn) Beschäftigten die Straßen von Athen  in eine reale Verkehrshölle. Die Arbeiter/innen des Nahverkehrs fordern die Rücknahme des "übergreifenden Gesetzentwurfs".
Ebenso versuchte die Regierung noch vor den Weihnachtstagen, einen weiteren Gesetzentwurf über die sogenannte "Auflösung der geschlossenen Berufe" durchzubringen. Dieser Gesetzentwurf  bedroht vor allem die Freiberufler der Mittelschichten (Rechtsanwälte, Ingenieure, Apotheker, Bäcker, Elektriker, Notare u.a.) im Namen des "gesunden Markt-Wettbewerbs".

Tatsächlich geht es darum, den Markt für die Großunternehmen und großen Agenturen zu öffnen, die die gleichen  Dienstleistungen oder Produkte anbieten wollen. Man kann sagen, dass diese Schichten der Zünfte und Freiberufler bisher die zweite Säule der Wählerbasis von PASOK dargestellt haben. Das allgemein angespannte Klima und die inneren Reibungen in der Regierungspartei lösten heftige Reaktionen der Zünfte und Freiberufler aus und zwangen die Regierung, die Abstimmung über den Gesetzentwurf auf nach Weihnachten zu verschieben.
In der Zwickmühle der Politik des Memorandums einerseits und des unerträglichen Drucks durch den Widerstand der Parteibasis andererseits scheint Regierungschef Papandreou wieder bereit zu sein, die PASOK-Abgeordneten, aber auch das griechische Volk wieder mit der Drohung vorgezogener Wahlen zu erpressen. Aber derartige Drohungen nutzen sich bei mehrfacher Wiederholung irgendwann ab. Die Kräfte von ANTARSYA bemühen sich nach ihrem Wahlerfolg im November und in der neuen Etappe der Klassenkämpfe um die Neustrukturierung des Bündnisses durch den Aufbau örtlicher Grundeinheiten, die Wahl von Koordinations-Komitees, die Mitglieder-Registrierung mit den lokalen und die Vorbereitung einer nationalen Delegiert/innen - Konferenz im kommenden Frühjahr.
(Übersetzung: A. Kloke)

 







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