Von A. Holberg
Werte GenossInnen,
auf die von Euch eingangs genannten Punkte bin ich durchaus eingegangen, nämlich – zusammengefasst – wie folgt:
Das nationale Selbstbestimmungsrecht, insbesondere wenn es sich in Form der auf ethnischer Basis beruhenden Eigenstaatlichkeit ausdrückt, gilt nicht für das Ergebnis einer gewalttätigen Landnahme und damit der Konstituierung eines siedlerkolonialistischen Staates. Das gilt ungeachtet der Tatsache, dass die Geschichte voll von derartigen Vorkommnissen ist (s. u.a. die Ergebnisse der Völkerwanderungen oder sonstiger Eroberungen), es sei denn, man argumentiert mit „das ist nun mal so“, aber dann muss man entsprechend auch bezüglich aller anderen politischen und sozialen Realitäten, die Linke oder gar Marxisten zu recht bekämpfen, argumentieren. Dass Israel ein Staat ist, der mit dem Ziel der ökonomischen und politischen Herrschaft einer – im wesentlichen raumfremden, nämlich einer jüdisch-europäischen – Bevölkerung auf dem seit jahrhunderten von einer arabischen muslimischen und christlichen Bevölkerung bewohnten Region gegründet wurde, kann nicht ernsthaft bestritten werden. Wird es dennoch bestritten, entfällt jede Grundlage für eine sinnvolle Diskussion. Der Begriff der „Siedlerkolonialismus“, der natürlich keineswegs notwendigerweise die völlige Vertreibung oder gar Ausrottung der Vorbevölkerung impliziert, ist im übrigen ja auch kein „nationalistischer“ Kampfbegriff (was „systemcrash“ wohlbemerkt auch nicht behauptet!), sondern wird gerade in Bezug auf Palästina z.B. auch Wolfgang Reinhard („Die Unterwerfung der Welt – Globalgeschichte der europäischen Expansion 1415 – 2015“. (Bundeszentrale für politische Bildung), Bonn 2017, S.1244-51) benutzt und wohl begründet. Das „Argument“, dass die zionistische Bewegung zunächst ihr Projekt durch den Kauf von Land in Palästina von „abwesenden Großgrundbesitzern“ betrieb, bedeutet natürlich keineswegs, dass dieses Projekt nicht auf die Schaffung eines „jüdischen Staates“ gerichtet war, der die Palästinenser notwendigerweise zu Minderbrechtigten innerhalb dieses zu gründenden Staates machen musste oder sie aber durch Vertreibung außerhalb der Grenzen dieses Staates schaffen musste. Es mag einige wohlmeinende „linke“ Zionisten gegeben haben, die das nicht sahen. Für die Palästinenser (diesen Begriff verwende ich der Einfachheit halber für alle arabischen Bewohner des britischen Mandatsgebiets „Palästina“ völlig unabhängig von der Frage, ob oder ab welchem Zeitpunkt sie ein spezifisch „palästinensisches“ Nationalbewusstsein im Gegensatz oder zusätzlich zu einem allgemein arabischen und/oder muslimischen entwickelt haben) bestand daran ziemlich von Anbeginn an kein Zweifel. Die erwähnten Aufstände und sonstigen Gewalttaten waren darauf die Antwort. Insofern machte es für die palästinensischen Bauern durchaus einen Unterschied ob sie Pächter arabischer oder türkischer „absentee landlords“ waren und – wie ausgebeutet auch immer – auf „ihrem“ Grund und Boden bleiben konnten, oder ob sie mit Vertreibung und/oder nationaler Unterdrückung bedroht wurden. Dass die zionistische Bewegung erst im zweiten und dritten Schritt ihre Armeen und terroristischen Gangs gründete, war Ergebnis der Tatsache, dass sie dazu zuvor noch nicht die Kraft hatte, d.h. u.a. nicht genügend zionistische Siedler im Land waren. In dieser Zeit (nach dem Ende des Osmanischen Reichs) begann sie, die sich der Notwendigkeit der Unterstützung durch die europäischen Kolonialmächte von Anfang an bewusst war, allerdings damit, solche Einheiten zunächst als Hilfstruppen der britischen „Protektorats“-Macht aufzustellen. Dass die Palästinenser sich unter ihrer traditionellen Führern wie dem Mufti wehrten und dieser sich den Nazis andiente, war dümmer und kurzsichtiger als die entsprechende Haltung rechtsradikaler zionistischer Gruppen wie der „Stern-Gruppe“, aber in beiden Fällen eben nur das Ergebnis der „der Feind meines Feindes ist mein Freund“-Idee (für die „Stern-Gruppe“ waren die Nazis die Feinde der nicht-zionistischen Juden, die nicht nach Palästina auswandern wollten).
Dass es zur „Vertreibung“ erst nach 1947 kam, ist kein Wunder. Zuvor stand dem die Präsenz der britischen Protektoratsmacht ebenso entgegen wie die fehlende Notwendigkeit angesichts der relativ kleinen Zahl von Juden in Palästina. Erst nach dem 2. Weltkrieg und der durch den UN-Teilungsplan ermöglichte Gründung Israels wurde diese Vertreibung möglich und nötig – nötig angesichts der großen Zahl von Holocaustüberlebenden, denen durch euroamerikanischen Antisemitismus einerseits und den Druck der zionistischen Organisationen andererseits die Übersiedlung in europäische Länder oder die USA möglichst verwehrt wurde, und angesichts des Plans der zionistischen Bewegung, die Palästinenser als Arbeitskräfte möglichst durch Juden aus den arabischen Ländern zu ersetzen. Gezielte Massaker, wie am berüchtigsten das von Deir Yassin gehörten notwendigerweise dazu. Der damalige Chef der „Irgun“ und spätere israelische Ministerpräsident Menahem Begin schrieb entsprechend in der hebräischen Ausgabe seines Buches „Die Revolte – Die Geschichte der Irgun“: „Das Massaker war nicht nur gerechtfertigt, sondern es gäbe ohne der ‘Sieg’ von Deir Yassin auch keinen Staat Israel“ (zitiert nach “Volksstimme“, Wien 4.4.1982)
Zur Frage, ob ich die Position der Verweigerung des Selbstbestimmungsrechts für die jüdischen Israelis (und im übrigen alle Juden der Welt, die nach zionistischer Überzeugung, ob sie wollen oder nicht, sofort israelische Staatsbürger sein können, während das für all die vertriebenen Palästinenser nicht gilt) auch für Australien, USA oder Neuseeland geltend mache: hier ist es in der Tat so, dass die Vorbevölkerung derart klein ist, dass von ihr keine entsprechende Forderung erhoben werden kann und auch nicht wird. Es ist nicht die Aufgabe von Marxisten „nationale“ Bewegungen zu schaffen, die es faktisch in diesem Sinn nicht gibt.
Um jetzt mal abzukürzen, nur noch drei Bemerkungen:
1. Die Palästinser haben sich nicht gegen „Asyl“ für Juden gewandt, sondern gegen deren Vorhaben, auf ihrem (palästinensischen) Land einen Staat unter ihrer Herrschaft zu gründen und daraus leider notwendigerweise folgend einen wesentlichen Teil der palästinensischen Bevölkerung zu unterwerfen und/oder zu vertreiben.
2. Zionistische Provokationen gegen arabische Juden: diese Tatsache wurde in Israel in einem Prozess dargelegt (s. „Ein sensationaller Prozeß in Israel“, Deutsche Volkszeitung, Düsseldorf, 20.4.1978) und wird im übrigen u.a. auch in der von mir erwähnten Rezension angesprochen.
3. Marokko und Westsahara: Das Königreich Marokko ist kein Staat, der seine Existenz auf der Verweigerung des Selbstbestimmungsrechtes für eine irgendwo sonst ansässige Bevölkerung begründet. Wenn man einmal davon ausgeht, dass die F.POLISARIO die authentische Repräsentantin des Mehrheitswillens der westsaharanischen Bevölkerung ist, dann hat Marokko hier eine Art Kolonialprojekt durchgezogen wie einst Frankreich in Algerien. Völlig unabhängig von der Frage, wie es seitdem den Algeriern geht, haben wir natürlich deren nationalen Befreiungskampf unterstützt und das selbstverständlich ohne die Staatlichkeit Frankreichs deswegen in Frage zu stellen. Israel aber gibt es nur in Palästina und nur auf der Basis der Verweigerung des nationalen Selbstbestimmungsrechtes der ursprünglich einheimischen Bevölkerung. In Eurer Replik gibt es noch eine Menge anderer Punkte, auf die ich jetzt aus Zeitgründen nicht eingehen werde, darunter nicht wenige, die sich erledigt hätten, wenn Ihr meine vorige Antwort etwas aufmerksamer gelesen hättet.
Antwort auf die Rückantwort von A. Holberg (v. 08.08.2017) zu Israel/Palästina - 18-08-17 20:48